Mammendorf:Rabattschlacht um Pillen und Salben

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Die Apotheker im Landkreis machen sich Sorgen um ihre Zukunft. Grund ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, der die Preisbindung rezeptpflichtiger Arzneimittel aufgehoben hat

Von Karl-Wilhelm Götte, Mammendorf

Kommt es zu einem Apothekensterben im Westen des Landkreises Fürstenfeldbruck? "Dann werden Menschen bis zu 20 Kilometer fahren müssen, um eine Apotheke zu finden, die Nacht- oder Notdienst hat", sagt der Mammendorfer Apotheker Thomas Benkert. Er ist Vorsitzender der Bayerischen Landesapothekerkammer und kritisiert das kürzlich ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), das die deutsche Preisbindung für rezeptpflichtige Arzneimittel für ausländische Anbieter aufgehoben hat und auch Rabatte erlaubt. Somit kann die niederländischen Versandapotheke Doc-Morris (Jahresumsatz: 300 Millionen Euro) künftig auch verschreibungspflichtige Medikamente mit Preisnachlässen an deutsche Kunden verschicken.

"Das zerstört eine optimale Struktur bei uns", sagt Benkert und sorgt sich um den Schutz der Patienten. Deutsche Apotheken unterliegen der Preisbindung und dürfen ihren Kunden keine Rabatte einräumen. Benkert sieht ein weiteres gravierendes Problem auf die Kranken zukommen. "Es geht auch um Arzneimittelfälschungen, die durch den Versandhandel ein Einfallstor bekommen", behauptet der Chef der Landesapothekerkammer. Zusammen mit der Bundesvereinigung der deutschen Apothekerverbände (ABDA) ist er bereits in Berlin vorstellig geworden, um von der Bundesregierung ein Verbot des ausländischen Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln zu fordern. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat zugesagt, sich für ein entsprechendes Verbot einzusetzen.

"Kleinen Apotheken könnte ein Drittel ihres Umsatzes wegbrechen", befürchtet Benkert, zumal diese vor allem von Rezepten leben würden. Ein Apotheker verdient im Durchschnitt etwa fünf Euro an jedem verschreibungspflichtigem Medikament. "Egal wie teuer das Medikament ist", erläutert Apothekerin Barbara Stiglmaier, die die Ahorn-Apotheke in Fürstenfeldbruck mit einer zusätzlichen Filiale im "Citypoint" betreibt. Die Gewinnmarge sei relativ bescheiden. Zudem könnten die Versandapotheken, weil sie größere Stückzahlen ordern, zu günstigeren Konditionen einkaufen. "Das verstärkt das Ungleichgewicht noch mehr." Auch Stiglmaiers Germeringer Kollege Gerhard Menges sieht das EuGH-Urteil kritisch. "Die ausländischen Versandapotheken betreiben doch 'Rosinenpicken'", sagt Menges, der die Apotheke "Roter Löwe" in den Germeringer Einkaufspassagen (GEP) vor zwei Jahren eröffnet hat. "Wir machen die Beratung und die Notdienste, eine Versandapotheke benötigt sicherlich nur ein Callcenter und nimmt dort Bestellungen entgegen." Die Extra- oder Zusatzleistungen, die die Präsenzapotheken erbringen, könne die Versandapotheke nicht leisten.

Da sind die zahlreichen Rezepturen, zum Beispiel eine spezielle Salbe, die in der Apotheke gemixt wird. "Das wird die Versandapotheke sicherlich nicht machen", prophezeit Stiglmaier. Menges und Stiglmaier sind auch überzeugt, dass sie an Schnelligkeit bei der Lieferung eines verschreibungspflichtigen Medikaments von keiner ausländischen Versandapotheke übertroffen werden können. "Wenn jemand um 15.30 Uhr bei mir bestellt, hat er das Medikament zwei Stunden später", bekräftigt Stiglmaier. Die steuerlichen Vorteile einer niederländischen Versandapotheke seien ebenfalls beachtlich, so Landesapothekerchef Benkert. Deutsche Apotheker müssten 19 Prozent Umsatzsteuer abführen, Doc-Morris sicherlich erheblich weniger. Gerhard Menges erläutert, dass er, wenn er ebenfalls wie Doc-Morris in Aussicht stellt, einen Rabatt von zwei Euro oder mehr pro Medikament gewähren müsste, also sein Gewinn sich von fünf auf drei Euro oder weniger reduziere, dass er dann große Mühe habe, sein Personal weiterhin zu bezahlen. Menges, der viel Wert auf gute Beratung legt, bietet im GEP kundenfreundliche Öffnungszeiten bis 20 Uhr abends an. Er macht die Hälfte seines Umsatzes mit rezeptpflichtigen Arzneien, bei Stiglmaier sind es etwa 60 Prozent.

Gerhard Menges hat vor zwei Jahren im Germeringer Einkaufszentrum Gep seine Apotheke "Roter Löwe" eröffnet. (Foto: Günther Reger)

Zwei Euro Rabatt sind für Benkert noch längst nicht das Ende einer möglichen Rabattschlacht, die Versandapotheken den deutschen niedergelassenen Apothekern liefern könnten. Benkert ist überzeugt: "Es gibt genügend von der Zuzahlung befreite Patienten, den könnten sie gleich eine Gutschrift von fünf Euro einräumen." Diskutiert werden bis zu zwölf Euro Rabatt pro Medikamant. Sogenannter freier Wettbewerb sei bei Medikamenten nicht angebracht. "Gesundheit darf man nicht mit Schuhen, Obst und Hemden verwechseln", erklärt der Vorsitzende der Landesapothekerkammer. Doc-Morris beliefert schon jetzt Kunden in Deutschland mit nichtrezeptpflichtigen Medikamenten. Das habe Konsequenzen für die Produktvielfalt in den Apotheken. "Dadurch sind zum Beispiel Ginkgo-Präparate weitgehend abgewandert", sagt Benkert. Dabei brauche jede Apotheke diese Mischkalkulation mit Erträgen aus rezeptpflichtigen und freien Medikamenten. Gerade auf dem Land, zum Beispiel im Westen des Landkreises, würden noch viele kleine Apotheken von den Rezepten leben. "Bricht da ein Drittel des Umsatzes weg", so Benkert, "dann ist so eine Apotheke nicht mehr rentabel." Schon jetzt müssten Bürger aus Hattenhofen, Althegnenberg, Unterschweinbach oder aus anderen kleineren Orten, wo es keine Apotheke gibt, nach Mammendorf, Mering, Maisach oder Odelzhausen ausweichen.

© SZ vom 05.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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