Maibaum:Gemeinsam anschieben

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Im Olchinger Ortsteil Geiselbullach, an der Grenze zwischen städtischem und ländlichem Leben, stellen Einwohner zusammen mit Vereinsmitgliedern den Maibaum vor dem Schloss auf. Es ist der elfte und möglicherweise letzte an dieser Stelle

Von Erich C. Setzwein, Geiselbullach

Es ist kurz vor Elf, als ein erschrockenes Raunen durch die Zuschauerreihe am Straßenrand geht. Gerade ist den etwa 30 Männern an den "Schwalben" der 30 Meter hohe Geiselbullacher Maibaum zurückgerutscht. Ein wenig schwingt der weiß und blau lackierte Stamm mit dem blechernen Hahn auf der Spitze noch hin und her, dann rutschen die Maibaumaufsteller die vier Zangen am Stamm entlang dorthin, wo sie Halt vermuten. Denn der Maibaum wie seine Aufsteller sind patschnass vom Dauerregen, der es an diesem 1. Mai so schwer macht, den Baum vor dem Geiselbullacher Schloss in die Senkrechte zu bringen.

"Da hint' no, schau da vorn", ruft Hans Plabst den Männern zu, die die vier mit Seilen verbundenen Stangenpaare justieren. Diese "Schwalben" und eine ganze Menge Muskelkraft bewegen den dreieinhalb Tonnen schweren Baum Stück um Stück nach oben. Im unteren Drittel, das schon mit einem Bolzen in der stählernen Bodenkonstruktion befestigt ist, sichert ein Bagger mit einer Kette den Baum vorm Umkippen. Schlossbesitzerin Karin Stürzer mag eigentlich dort gar nicht hinschauen, ist doch dort der Rasen erst wieder hergerichtet worden. "A bisserl Flurschaden", kommentiert Robert Meier die schwarzen Erdbatzen unter den Zwillingsreifen des Baggers. Der Vorsitzende des Feuerwehrvereins Geiselbullach und Zweite Bürgermeister der Stadt Olching ist für die Organisation zuständig und greift während der Aufstellphase als Moderator zum Mikrofon. Später wird sich erst herausstellen, dass die Aufsteller selbst die Wiese mit den Apfelbäumen in Matsch verwandelt haben, als sie sich mit ihrem ganzen Gewicht in den Boden pressten, um zu schieben. Die vom Regen durchweichte Wiese ist nur ein Problem, das die Mitglieder von Schützenverein, Feuerwehrverein und Sportverein sowie die freiwilligen Geiselbullacher haben, als sie den Maibaum in traditioneller Weise aufstellen. Im Nachbarstadtteil Esting geht es mit einem Kran, kraft- und gefahrlos, vor dem Geiselbullacher Schloss ist natürlich Kraft, aber auch langjährige Erfahrung gefragt. Und die hat Hans Plabst, der in seiner roten Regenjacke mal hierhin, mal dahin eilt, um die Richtung und den Winkel zu prüfen, um das Setzen der Schwalben zu kontrollieren und schließlich zu kommandieren: "Hau ruck!"

Es ist an der elfte Maibaum, der vor dem Anwesen von Johann und Karin Stürzer aufgestellt wird. Auch heuer wieder stammt der Baum aus einem Stürzerschen Forst bei Fürstenfeldbruck, er wurde im Januar geschlagen und am 17. April in die große Halle auf dem Schlossgelände gebracht. Seitdem wurde er nicht nur gut bewacht - nur der erste, erinnert sich Johann Stürzer, wurde seinerzeit geklaut - , sondern der Stamm wurde auch bearbeitet. Schälen, schleifen, markieren, streichen, die Tafeln herrichten, Bohrungen anbringen, alle diese Aufgaben kommen alle drei Jahre wieder, und es sind meist dieselben Mitarbeiter. "Manche Leute sehe ich nur dabei", sagt Koordinator Robert Meier, der sich um den "ganzen Papierkram" kümmert. Aber allen hat Meier auch heuer wieder angemerkt, wie gerne sie diese Arbeit machen, wie stark das Zusammengehörigkeitsgefühl in dem kleinen Olchinger Stadtteil doch ist. Der Ort an der Amper liegt an der Schnittstelle zwischen städtischem und dörflichem Leben, er wird mit den Neubauten - in Kürze auch gegenüber dem Schloss und der Kapelle Sankt Nepomuk - immer städtischer und nur die Wiesen lassen noch erahnen, dass dort einmal Landwirtschaft betrieben wurde. Inzwischen gibt es nur noch zwei Landwirte im Ort, Stürzer und Plabst, und beide helfen auf ihre Weise zusammen, dass alle drei Jahre ein Maibaum aufgestellt werden kann.

Robert Meier erinnert sich noch an den alten Geiselbullacher Maibaum, der um das Jahr 1968 abbrach und auf seinem Schulweg landete. Danach ist die Tradition wohl eingeschlafen, bis sie von der Familie Stürzer, die das Schlossgut übernommen hatte, wiederbelebt wurde. Johann Stürzer erzählt von seinem Heimatort Großhadern - auch einmal ein Bauerndorf am Stadtrand - wo im Zentrum ein Maibaum stand. Seit 1985 steht also wieder ein Maibaum an der Straße vor dem Schloss, aber es ist gut möglich, dass es das letzte Mal ist. Denn gegenüber, wo einmal die Schlosswirtschaft stand, hat ein Bauträger das Gebiet "Am Schlossgarten" entwickelt und will 14 Häuser, 26 Wohnungen sowie ein Wohn- und Geschäftshaus bauen. Zwischendrin soll so viel Platz übrig sein, in dessen Zentrum ein Maibaum stehen könnte. Ob es so kommt, weiß Robert Meier noch nicht, er sagt aber, es sei ein "Wunsch" der Gemeinde gewesen. Meier ist es wichtig, dass es immer "der Maibaum der Ortschaft" ist, und da es bald neue Einwohner geben werde, hätten sie gleich etwas, womit sie sich identifizieren könnten. Vielleicht finden sich auch dort bald solche Kümmerer wie Meier oder all die anderen, die gerne mitanpacken, wenn es um Tradition in ihrem kleine Ort geht. Meier jedenfalls ist nicht nur während der Vorbereitungen mit dem Einholen der Genehmigungen vollauf beschäftigt gewesen, auch am Freitagvormittag macht er einen geschäftigen Eindruck.

Derweil haben die Männer die Zangen wieder verrutscht und einen neuen Ansatzpunkt gesucht. Sie müssen dabei aufpassen, dass sie die Tafeln nicht beschädigen, auf denen der Ort im wahrsten Sinne des Wortes geschildert wird. Das Schloss ist auf einer Tafel aufgemalt, die Kapelle und die Wirtschaft, die Zeichen der Vereine sind zu erkennen - auch dies Identifikationsmerkmale der Geiselbullacher. Um kurz nach halb zehn Uhr haben sie mit dem Anheben begonnen, es geht auf viertel nach elf Uhr zu. Jung und Alt sind durchnässt, die wollenen Trachtenjacken haben sich vollgesogen und schauen irgendwie länger aus als zuvor, die Schutze verschmutzt, die Hände bei neun Grad über Null gerötet und klamm. Die Stimme von Hans Plabst wird immer heiserer. "Das gehört dazu", scherzt Hans Bieniek, früher Polizeibeamter in der Olchinger Inspektion und an diesem Tag mit dem Einsammeln der Maßkrüge beschäftigt. Bieniek bietet Plabst spaßeshalber ein Noagerl an, das bei der Außentemperatur sicher immer noch recht frisch sein dürfte, doch der Angesprochene macht nur eine wegwerfende Handbewegung. Plabst, dem das Wasser über die Jacke rinnt, hat jetzt nur noch Augen für die letzte Etappe, für die letzten Zentimeter. Um 11.13 Uhr gibt er das Kommando und alle schieben an. Es wäre jetzt nur noch ein Handbreit, und weil jetzt alle so viel Lust verspüren, fertig zu werden, schieben alle noch mal kräftig an, bevor das letzte "Hau ruck" kommt.

© SZ vom 02.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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