Jodeln:Verdrängte Laute

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Hedwig Roth (links) übt mit zehn Frauen und zwei Männern im Olchinger Amperhof das Jodeln. (Foto: Günther Reger)

Im Kurs von Hedwig Roth lernen die Teilnehmer, ganz aus sich herauszugehen

Von Ekaterina Kel, Olching

Für manche ist das Jodeln ein Anlass, über die feinen Sonderheiten der Sprache nachzudenken, zum Beispiel über die Verwandtschaft mancher Konsonanten. Was ist es denn jetzt - ein "l" oder ein "2"? "Wenn ich wüsste, ob es ein 'rororo' oder ein 'lololo' ist, dann könnte ich damit besser umgehen", sagt Lisa, eine der zwölf Teilnehmer des Jodelworkshops von Hedwig Roth, den diese an der Musikschule 3klang im Amperhof in Olching anbietet.

"Du musst zu Loriot", lautet Roths Antwort. Das Lachen in der Runde ist daraufhin groß. Roth versucht, die von ihr produzierten Jodellaute zu erklären. Sie zupft ein paar Saiten ihrer Gitarre, und macht dazu "lo" und "ro", abwechselnd, probiert es selbst aus, mischt auch mal ein "do" dazu. Dann sagt sie: "Es ist genau dazwischen" - ihre Schüler protestieren leicht, nehmen es aber mit Humor. Dies ist der Moment, in dem sie verstehen, dass Jodeln eine Kunst ist, die zu beherrschen Jahre dauert. Was Roth hier an einem Tag von 10 bis 17 Uhr machen kann, ist vor allem Entertainment. Und viel lockeres Zusammensein. Wenn man dabei noch etwas singen kann, auch ruhig mal etwas ausprobieren kann, wozu einem sonst der Raum fehlt - perfekt.

Der Saal im Amperhof ist von warmer gelber Farbe durchleuchtet. Die Sonnenstrahlen werden von roten Gardinen gedämpft und sanft in den Raum geleitet. Dort sitzen die zwölf Jodelschüler in einem Stuhlkreis. In ihrer Mitte sorgt eine große weiße Kerze auf einem seidenen Tuch für das richtige Ambiente. Hedwig Roth hält eine Gitarre in der Hand, spielt ein paar Dur-Akkorde und macht vor: "Jalaruho-o, jarahuhu-u". Dann blickt sie Brigitta an, eine Frau in ihren Sechzigern mit grau melierten Haaren und einem großen Tuch um den Köper. Brigitta erwidert: "Jahuo-o-o, rihaja". Das Frage-Antwort-Spiel zieht Roth mit jedem einzelnen ihrer Schüler durch. Auch mit den beiden einzigen Männern im Kurs, die mit den richtigen Tönen stark zu kämpfen haben. Warum sie trotzdem gekommen sind? "Mir gefällt dieses Bayerische daran", sagt einer. Dass sie als Männer in der klaren Unterzahl sind, störe sie nicht, schließlich sei das bei Singkursen und in Chören auch immer so.

In der Pause - um die Stimmbänder zu entspannen und einen Schluck Wasser zu nehmen - kommen die Teilnehmer dazu, sich zu unterhalten. Die meisten kennen sich erst seit ein paar Stunden, die Stimmung ist aber ausgelassen, es wird viel gelacht. Ingrid und Evelyn stehen in der Nähe ihrer Thermoskannen und strahlen richtig. Als eine Freundin ihr vorgeschlagen hatte, in den Jodelkurs zu gehen, erzählt Ingrid, sei ihre erste Reaktion gewesen: "Sag mal, geht's noch?" Mittlerweile sei sie richtig froh, dass sie sich doch getraut habe. In ihrer Jugendzeit in den Achtzigern sei alles Bayerische verpönt gewesen, erinnert sich die Frau aus Vaterstetten, die extra auf die andere Seite von München gefahren ist, um an Roths Jodelkurs teilzunehmen. Damals hätte sie so etwas scheinbar Veraltetes wie Jodeln abgelehnt. Heute kommt das alles wieder - und Ingrid hat keine Berührungsängste mehr. Für Evelyn aus Olching ist Jodeln schon lange kein Hexenwerk mehr. Schon vier oder fünf verschiedene Jodellehrer habe sie erlebt. Bei Roth gefalle ihr besonders, dass sie die Teilnehmer sehr schnell und sehr anspruchsvoll ans Jodeln heranführe. Der Spaß in der Gruppe sei ihr auch sehr wichtig. Die Menschen, das merke sie, seien alle so naturverbunden - "guter Kontakt zur Natur gehört für mich zum Jodeln dazu", sagt sie.

Nach der Pause probiert Roth es mit chorischer Arbeit. Ihre Jodelschüler sollen aufstehen und mal so richtig aus sich rausgehen. Die Frauen, das sei bekannt, hätten mehr Schwierigkeiten, in die Bruststimme zu kommen, die beim Jodeln unumgänglich ist. Und immer, wenn eine Teilnehmerin einen kleinen Solopart zum Besten geben soll, sagt Roth: "Probier' es mal so: hey, hey hey", sie ruft dann richtig laut in den Raum, so als ob sie einen Taschendieb aufhalten wollte. Dann macht die Schülerin: "Hey", aber eher so, als hätte sie solch einen Laut aus der Tiefe ihrer Brust schon lange nicht herausgebracht. "Sag ma, tuscht du nie rumschreie?", fragt Roth keck in ihrem Allgäuer Dialekt. Die Frauen, die meisten zwischen 40 und 50 Jahren, sollen hier bei Roth einen Raum haben, in dem sie sich mal so richtig ausschreien können.

"Jodeln ist wie vom Sprungbrett springen", sagt Jodellehrerin Hedwig Roth, "entweder du springst oder eben nicht." Dazu gehöre eben auch ein bisschen Mut. Und den beweisen die Teilnehmer ganz sicher noch in ihrem Kurs - spätestens dann, als sie das experimentelle freie Jodeln nach Art des Hubert von Goisern und seiner neuen Volksmusik mit geschlossenen Augen ausprobieren - und sich dabei wahrlich wacker schlagen.

© SZ vom 26.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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