50 Jahre Planie Puchheim:Ein Stück Heimat

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Wolfgang Dubbels lebt seit 1974 in dem Stadtteil. Er half, die Interessengemeinschaft der Mieter aufzubauen, die in Auseinandersetzungen mit den Immobiliengesellschaften einige Missstände beheben konnte

Von Peter Bierl, Puchheim

"Wohnen da noch Menschen?", fragt sich Wolfgang Dubbels, als er mit seiner Familie im Zug sitzt. Es ist ihre allererste Fahrt nach Puchheim. Hinter Aubing fährt die Bahn auf einer langen freien Strecke zwischen Wiesen und Feldern dahin. Auch bei anderen Großstädtern mag die Gegend in den frühen Siebzigerjahren solche Gefühle geweckt haben. Jedenfalls bekommen Dubbels und seine neuen Nachbarn in der Planie am Anfang einen Mietnachlass von zehn Prozent eingeräumt. Die Immobilienbesitzer übernehmen sogar die Maklergebühren.

Zwar herrschte in München auch damals schon Wohnungsnot, aber soweit außerhalb wollten viele doch nicht wohnen, erzählt Dubbels. Im Sommer 1973 waren die ersten Geschossbauten in der Planie fertig, im März des folgenden Jahres zog die Familie in eine Wohnung in der Kennedystraße ein. Die Gebäude waren alle fertig, aber manche innen noch nicht ausgebaut. Die Grünanlagen fehlten, rings um die Häuser sei noch Baustelle gewesen, erinnert er sich. Die Bahnhofstraße, die ins Altdorf führt, war damals noch für den Autoverkehr offen. Immerhin war die Planie eines der ersten Viertel in Puchheim mit geteerten Straßen.

Die Planie: ihre Wohnhäuser,...

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(Foto: Stadtarchiv Puchheim.)

...Bagger beim Ausheben zum Baugeginn 1971...

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(Foto: Stadt Puchheim)

...und Bewohner aus der Türkei beim Tanz.

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(Foto: Carmen Voxbrunner)

Streitbarer Planiebewohner: Wolfgang Dubbels.

Die Familie Dubbels lebte sich schnell ein. Die ersten Kontakte ergaben sich über die Kinder, Sandkasten-Freundschaften entstehen. Die Eltern passten gegenseitig auf die Kinder auf. Manche zogen im Lauf der Zeit wieder weg, aus beruflichen Gründen, weil sie sich irgendwo anders eine Wohnung gekauft oder ein Haus gebaut hatten. Am Anfang dachte er auch daran, wieder wegzugehen. Dubbels ist gelernter Versicherungskaufmann. Er stammt aus Münster und ist über Hamburg und München nach Puchheim gekommen. "Aber wenn man sich so stark engagiert, dann schlägt man ganz andere Wurzeln", sagt er.

Bald nach dem Einzug gab es Ärger wegen der Nebenkosten- und Heizkostenabrechnungen. Er sollte umgerechnet einige 100 Euro nachzahlen, die Nachbarn ebenso. Einige Mieter wollten sich das nicht gefallen lassen und taten sich zusammen. Das war der Start der Interessengemeinschaft Planie. Sie bekamen vom Eigentümer alle Unterlagen zur Verfügung gestellt, um nachzurechnen und nachzumessen. Sie fanden heraus, warum die Kosten für sie so hoch ausfielen: Der Eigentümer hatte die Fixkosten nur auf vermietete Wohnungen umgelegt, einige standen aber noch leer. Die Heizkosten waren falsch zugeordnet und die Wohnungen zu groß berechnet. "Der Sachverständige hat alle Wohnungen geschrumpft", sagt er, bei ihm von 100 auf 93 Quadratmeter. Am Ende waren 150 Klagen anhängig. Die Mieter setzten sich durch.

Streitbarer Planiebewohner: Wolfgang Dubbels. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Sie erreichten vor Gericht auch, dass Wasserzähler eingebaut wurden, um den Verbrauch korrekt festzustellen. Der Eigentümer ließ kleine Wertstoffhöfe einrichten, so dass die Planie ein Vorreiter bei der Mülltrennung wurde. Die getrennten Stoffe wie Papier und Plastik sammelte damals noch der Hausmeister ein. Das Herz der Initiative war Ottmar Steigleder, jahrelang der erste Vorsitzende. Er starb mit 85 Jahren. Dubbels war erst sein Stellvertreter, dann sein Nachfolger. Er ist inzwischen 68 Jahre alt.

In Hochzeiten waren sie damals 50 bis 80 Stunden pro Woche ehrenamtlich im Einsatz für sich und die Nachbarn. Dubbels sieht es als "moralische Pflicht" an. Trotz der Auseinandersetzungen sei das Verhältnis zu den Eigentümern, damals der Viktoria-Versicherung, gut gewesen, betont Dubbels. Die Verwaltung war vor Ort, "man konnte alles klären". Mehrfach wechselten die Eigentümer. Von dem einen mussten sie Akteneinsicht vor Gericht erstreiten, der nächste stellte ihnen ein Büro zur Verfügung. Heute würde sich die Hausverwaltung nicht mehr richtig um die Anlage kümmern und sei nicht präsent, klagt Dubbels. Die Häuser sind in die Jahre gekommen, schon ein Außenanstrich wäre überfällig.

Die Interessengemeinschaft löste sich allmählich auf, zuletzt waren es noch fünf Aktive. "Wir bekamen immer mehr Knüppel zwischen die Beine geworfen", erzählt Dubbels. Die verbliebenen Mitglieder beschlossen 2011, den Verein aufzulösen. Die Veteranen vergangener Mieterkämpfe sind gerade noch damit beschäftigt, das Büro zu räumen, wo sich bis zu 400 Ordner stapeln. Ihre Lautsprecheranlage haben sie dem Mehrgenerationenhaus ZAP geschenkt. Das Vereinsvermögen fließt an die Stadt für einen sozialen Zweck. Übrig geblieben ist ein Stammtisch mit etwa acht Leuten. Dubbels selbst ist weiter aktiv. Er gehört der Steuerungsgruppe "Soziale Stadt" an, einem Projekt, mit dessen Hilfe die Stadt die Planie aufwerten will. Bis heute wohnt er gerne hier. Die Hausgemeinschaft sei intakt, viele Bekannte und Freunde lebten vor Ort. Er könne alles zu Fuß erledigen, sei vom Straßenverkehr abgeschirmt, genieße den Ausblick auf die Puchheimer Promenade und wohne fast im Grünen. "Es ist ein Stück Heimat", sagt Dubbels.

© SZ vom 08.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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