Inklusion:Selbstbestimmt statt bevormundet

In die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention kommt langsam Bewegung

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Inklusion bedeutet, dass alle Menschen, mit und ohne Behinderung, in allen Lebensbereichen selbstbestimmt leben können. "Sie beendet das aufwendige Wechselspiel von Exklusion (also ausgrenzen) und Integration (wieder hereinholen)", schreibt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Dass die politischen Rahmenbedingungen dafür verbessert wurden, lag vor allem an der im Dezember 2006 beschlossenen Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN). Seit Mai 2008 ist sie in Kraft, 2009 wurde sie von Deutschland ratifiziert. Sie schafft keine Sonderrechte, sondern konkretisiert allgemeine Menschenrechte für die Bedürfnisse behinderter Menschen.

In den Neunzigerjahren hatte sich in der Behindertenpolitik in Deutschland ein Paradigmenwechsel vollzogen - "weg von Bevormundung und paternalistischer Fürsorge hin zu selbstbestimmtem Leben und Teilhabe", heißt es im 2011 verabschiedeten nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Der Aktionsplan mit dem Namen "Unser Weg in eine inklusive Gesellschaft" soll die Behindertenpolitik "aus der sozialen Nische" holen und Inklusion als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verankern. Zudem war 2006 in Deutschland ein Gleichbehandlungsgesetz in Kraft getreten, das Menschen im Arbeitsleben und zivilen Rechtsverkehr vor Benachteiligungen - nicht nur aufgrund von Behinderung, sondern auch wegen ethnischer Herkunft, Rasse, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Alter oder sexueller Identität - schützen soll. Bayern hat seit 2003 ein eigenes Behindertengleichstellungsgesetz.

Doch auch in der Bundesregierung weiß man, dass "Menschen mit Behinderungen bis heute entgegen von Recht und Gesetz immer wieder eingeengt, benachteiligt und diskriminiert werden". Das sei bereits der Fall, wenn sie ausschließlich über Beeinträchtigungen und Defizite wahrgenommen würden. Dabei leben in Deutschland fast zwölf Prozent der Menschen mit einer festgestellten Behinderung. Nur vier bis fünf Prozent wurden auch damit geboren, die Mehrzahl der Behinderungen wird im Laufe des Lebens erworben.

2013 verabschiedete auch das bayerische Kabinett einen eigenen Aktionsplan für Bayern, der, so heißt es darin, "kein starres Gebilde" sein, sondern im Laufe der Zeit fortgeschrieben werden soll. Der Bund hat dies bereits getan und Ende Juni dieses Jahres die zweite Auflage des Nationalen Aktionsplans zur UN-Behindertenrechtskonvention (NAP 2.0) verabschiedet, der auf den ersten Aktionsplan aufbaut. Erstmals bringen sich dabei alle Bundesressorts mit unterschiedlichen Aktivitäten, Projekten und Initiativen in den Aktionsplan ein.

Dass nicht alle Gesetzesvorhaben automatisch zu Verbesserungen für die Betroffenen führen, darauf machen derzeit verschiedene Fach- und Wohlfahrtsverbände aufmerksam, die Nachbesserungen fordern am neuen Bundesteilhabegesetz, das Bundestag und Bundesrat im Herbst verabschieden wollen. An manchen Stellen befürchten sie sogar Leistungseinschränkungen und Verschlechterungen gegenüber dem geltenden Recht. Viele bisher Anspruchsberechtigte drohten aus dem System zu fallen, wenn in Zukunft dauerhafter Unterstützungsbedarf in fünf von neun Lebensbereichen nachgewiesen werden müsse, lautet einer der Kritikpunkte. Auch müssten behinderte Menschen selbst entscheiden können, wo und wie sie wohnen und leben wollen, fordern die Verbände. Betroffene könnten ihren Alltag weniger selbstbestimmt gestalten, wenn sie sich, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, Unterstützungsleistungen wie den Einsatz von persönlichen Assistenten teilen müssten.

Inklusion in allen Lebensbereichen ist freilich nur möglich, wenn sie auch vor Ort umgesetzt wird. Zahlreiche Städte und Landkreise haben bereits eigene Teilhabe- und Aktionspläne verabschiedet, die Landeshauptstadt und der Landkreis München zum Beispiel oder die Landkreise Rosenheim und Unterallgäu, auch große Unternehmen wie die Telekom, Fraport, RWE, SAP oder auch Organisationen wie die Katholische Jugendfürsorge der Diözese Augsburg. Und vielleicht trifft nichts so sehr zu wie der Satz, den die Autoren aus dem Unterallgäu in ihren Aktionsplan geschrieben haben: Inklusion, heißt es dort, "ist nicht eine zusätzliche Aufgabe zu allem anderen dazu. Inklusion ist vielmehr eine Grundhaltung, die jede politische Entscheidungsfindung, alles Verwaltungshandeln und auch unsere Alltagskultur durchdringen will. Davon sind wir noch weit entfernt." Die Aktionspläne sollen dabei helfen, dass es vorangeht.

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