SZ-Serie: Dauerbrenner - Projekte in der Endlosschleife:Zu schnell gewachsen

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Wegen großer neuer Wohngebiete gilt die Stadt Olching als jung und familienfreundlich. Die rasante Expansion hat jedoch Folgen für die Infrastruktur. Es müssen weitere Kindertagesstätten gebaut werden, Straßen sind überlastet und die Kommune ist finanziell überfordert

Von Julia Bergmann, Olching

Wäre alles so gekommen wie geplant, Olching wäre kollabiert, meint Bürgermeister Andreas Magg. Das Schwaigfeld, das größte neue Wohngebiet Olchings, das in den Neunzigerjahren ausgewiesen wurde, sollte eigentlich innerhalb von nur zehn Jahren fertiggestellt sein. Ein Segen für die Stadt, dass daraus schließlich doch 20 wurden. Denn mit den vielen Neubürgern, oft jungen Familien mit Kindern, wurde die Stadt zwar insgesamt jünger, dafür aber auch schlagartig voller. Und für eine Kommune bedeutet das vor allem eines: Sie muss im großen Stil in die Ausbau der Infrastruktur investieren.

In Olching begann alles 1998. Das große Neubaugebiet wurde ausgewiesen und mit den ersten Häusern kamen die jungen Familien. Nach und nach stieg der Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen und die Stadt musste reagieren. So entstanden in den vergangenen zehn Jahren allein vier kommunale und zwei private Kinderbetreuungseinrichtungen, einige der bereits bestehenden wurden erweitert. Das Schwaigfeld ist mittlerweile fast fertiggestellt. Auch das zweite größere und neuere Wohngebiet auf dem ehemaligen Mannesmann-Gelände wurde zum Wohnbaugebiet umgestaltet, nur bedeutet das für die Kommune noch lange nicht, dass auch der Ausbau der Infrastruktur ein Ende hat. Nach wie vor investiert Olching in den Neubau von Kinderbetreuungseinrichtungen. Momentan entsteht an der Ludwigstraße eine provisorische Einrichtung in Containern. Der feste Neubau soll an der Münchner Straße entstehen. Geplant ist, dass die Einrichtung, nachdem der Neubau fertiggestellt sein wird, umzieht und die Containeranlage wieder aufgelöst wird. "Aber das sehe ich noch nicht", sagt Bürgermeister Andreas Magg. Immerhin sei nicht abzusehen, wie sich der Bedarf insbesondere im Kinderkrippen-Bereich in den kommenden Jahren entwickle. Die Eltern kämen schließlich allerfrühestens, wenn ihr Kind geboren wurde und melden einen Bedarf an. "Und selbst das ist faktisch schon zu spät", meint Magg. Denn stelle sich heraus, dass nicht ausreichend Plätze verfügbar sind, und wolle die Stadt reagieren, etwa mit einem Neubau, reiche die Zeit, bis die Kinder das Krippeneintrittsalter erreicht haben, für Planung und Bau schlichtweg nicht aus. "Das ist für uns ein Blindflug allererster Klasse", sagt Magg.

Doch während die einen das zu rasche Wachstum für diese Entwicklung verantwortlich machen, relativiert FW-Fraktionsvorsitzender Ewald Zachmann, der zu der Zeit, als das Schwaigfeld ausgewiesen wurde, Erster Bürgermeister war. Von zu raschem Wachstum könne seiner Meinung nach nicht die Rede sein. Dass die Stadt in den vergangenen 10 bis 15 Jahren verstärkt in den Ausbau der Infrastruktur investieren musste, sieht er viel mehr darin begründet, dass sich die Ansprüche und Lebensumstände der Bevölkerung verändert haben. Viel mehr Frauen als noch vor 20 Jahren würden heute nach der Geburt ihrer Kinder wieder in ihren Beruf zurückkehren wollen. Das räumt auch Magg ein. Hätte es diesen Wandel nicht gegeben, meint er, hätte man die Situation trotz der gestiegenen Einwohnerzahl im sozialen Bereich händeln können. Dennoch, für Magg steht fest, die Stadt ist einfach zu schnell gewachsen. "Rein subjektiv muss man nur die Augen aufmachen, um das zu sehen", sagt er.

Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, schlagen sich aber nicht nur im Bereich der Kinderbetreuung nieder. Auswirkungen hat eine steigende Einwohnerzahl auch auf die Verkehrswege, die Zahl der Autos, Busse, Motorräder. Auch was den Verkehr betrifft, betont Zachmann: "Es wird auch vergessen, dass der Motorisierungsgrad der Bevölkerung exponentiell gestiegen ist." Tatsache ist, dass die Olchinger Hauptstraße stark von Durchgangsverkehr belastet ist, der Pendelverkehr von und nach München auf der Münchner Straße hat stetig zugenommen. Doch Tatsache ist auch, wie Bauamtsleiter Markus Brunnhuber bereits bei einer Veranstaltung im Mai im Rahmen der Gesamtneuaufstellung des Flächennutzungsplan betont hat: "Das Verkehrsnetz von Olching stößt sehr schnell an seine Grenzen. Die sechsgleisige Bahnstrecke, die Amper und die Amperauen lassen sich nicht so einfach über- oder unterqueren."

Darauf verweist auch Stadtentwicklungsreferent Alfred Münch. "Wir können den Verkehr nur beruhigen, versuchen, ihn zu verflüssigen", meint er. Schon seit Jahren überlege man im Rahmen eines Arbeitskreises, wie das in der Hauptstraße konkret umsetzbar sei. Münch plädiert für einen sogenannten shared space. Einer Fläche also, die keine Funktionszuweisungen mehr trifft, die keine Fahrbahnen, Radwege oder Fußwege markiert, eine Fläche in der sich jeder Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt bewegt. Einen solchen shared space kann sich auch Zachmann gut vorstellen. Gleichzeitig betont er, eine Bewusstseinsänderung bei den Menschen, weg vom Auto hin zum Fahrrad sei dringend notwendig. Damit dürfte er auch den Nerv der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Ingrid Jaschke treffen. Sie sieht den größten Nachholbedarf, so betont sie seit Jahren, im Ausbau von Fahrradwegen in und um Olching.

Der Wachstum der vergangenen Jahre habe noch ein Manko zu Tage gefördert, findet Magg. Die Kommune habe lange Zeit nicht gesehen, dass man nicht nur neuen Wohnraum, sondern auch mehr Arbeitsplätze, sprich Gewerbe, brauche. "Wir haben in Olching zu lange versucht, auf einem Fuß zu stehen", betont er. Tatsächlich sei es aber so, dass ein Einwohner die Kommune unterm Strich mehr koste als sie über die Einkommenssteuerbeteiligung von ihm einnimmt. "Das Geld, das eine Kommune durch die Gewerbesteuer einnimmt, braucht man, um den Teil zu finanzieren, der am Ende den Einwohnern zu Gute kommt", so Magg. Also um Kulturangebote oder eine Kinderbetreuung einzurichten. Mit der Ausweisung des Gewerbeparks Geiselbullach habe man begonnen, das nun nachzuholen. Für 2016 werden Einnahmen in Höhe von 7,2 Millionen Euro erwartet, rund 1 Millionen davon stammt aus dem Gewerbepark.

Mit dem Flächennutzungsplan, der Anfang des Jahres vom Stadtrat verabschiedet wurde, tritt Olching nun auf die Bremse. Es sollen keine weiteren großen Wohngebiete mehr ausgewiesen werden. Konsolidierung heißt das Stichwort, auf das sich die Stadträte jetzt unablässig berufen. Man setzt auf Nachverdichtung, "nicht mehr quantitatives Wachstum, sondern qualitatives", wie Magg es ausdrückt. Mit den Auswirkungen des Wachstums wird Olching dennoch für viele Jahre beschäftigt sein.

So muss zum Beispiel diskutiert werden, wann, ob und wo ein Ganztagszweig an Grundschulen eingeführt wird, denn die Kinder, die noch vor ein paar Jahren ins Krippen- oder Kitaalter gekommen sind, werden älter und brauchen nach wie vor auch nach 13 Uhr noch Betreuung, wenn deren Eltern einer Erwerbstätigkeit nachgehen. "Gerade für die, die aus wirtschaftlichen Gründen ganztags arbeiten müssen, müssen wir unser Möglichstes tun, um Betreuung und Bildung zu vereinbaren", sagt Münch. Zudem wird sich Olching mit der Frage beschäftigen müssen, wo und unter welchen Bedingungen Nachverdichtung genehmigt werden wird. Und die Kommune muss in den kommenden Jahren auch in die Sanierung ihrer Bestandsbauten investieren. Nicht zuletzt fällt ein Stichwort, das gerade jetzt in aller Munde ist: Integration. Und damit sind nicht die Asylsuchenden gemeint, sondern, viel allgemeiner, die Integration der Neu- und Altbürger.

"Die Menschen müssen sich nach wie vor mit der Stadt identifizieren können", so der Bürgermeister. Man wolle nicht, dass die Neubürger zwar in Olching schlafen, sich aber außerhalb als Münchner verstehen, dass der Wohnort sozusagen austauschbar wird. Ob das gelungen sei? "Ja, es hat funktioniert, aber es ist gut, jetzt zu stoppen", sagt Magg.

© SZ vom 29.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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