Serie: Aus Liebe zum Verein:Geburtshelfer von Gröbenzell

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Zu Anfang kümmert sich der 1910 gegründete Interessenverein um die Verbesserung der Lebensverhältnisse der ersten Siedler im Moos. Dann verhilft er den Bürgern als deren politisches Sprachrohr zur Selbständigkeit. Inzwischen gilt der Einsatz der Mitglieder dem Zusammenhalt im Ort

Von Gerhard Eisenkolb, Gröbenzell

Die politischen Auseinandersetzungen in Gröbenzell erscheinen in einem anderen Licht, wenn die Umstände der Gründung der jungen Gemeinde vor 63 Jahren berücksichtigt werden. Da heftige Diskussionen der Gröbenzeller um das Für und Wider der Eigenständigkeit diesen Prozess begleiteten, gehört der kontrovers geführte politische Diskurs von Anfang an zu den konstituierenden Elementen der expandierenden Siedlung im ehemaligen Moos. Die Zustimmung für die Unabhängigkeit war groß. Nur wollte eine Minderheit der Siedler, die östlich vom Gröbenbach wohnten, nach München eingemeindet werden. Damals gab es jedoch einen Verein als Institution, der diese Auseinandersetzung federführend begleitete und ein übergeordnetes Ziel formulierte.

Das politische Sprachrohr der Gemeinde in Gründung war der Interessenverein Gröbenzell (IVG). Dieser genoss nach dem Zweiten Weltkrieg ein derartiges Ansehen, dass ihn die Staatsregierung sogar damit beauftragte, die Erhebung der damals noch zu Olching, Geiselbullach, Puchheim, Langwied und Aubing gehörenden Ortsteile zu einer unabhängigen Kommune zu betreiben.

Deshalb können IVG-Vertreter behaupten, den einzigen Verein in Bayern zu vertreten, auf den die Gründung einer Gemeinde zurückgeht. Dementsprechend selbstbewusst sind die Verantwortlichen beim IVG noch immer, obwohl sich die Aufgaben mit dem Festakt der Erhebung zur Gemeinde am 1. August 1952 geändert haben. Eines ist seit der Vereinsgründung 1910 jedoch gleich geblieben: Die Nachfahren sehen noch immer ihre Hauptaufgabe darin, den Zusammenhalt der Gröbenzeller und deren Identifikation mit der Gemeinde zu fördern sowie den Charakter der Gartenstadt zu bewahren und, wenn möglich, die zunehmende Verstädterung zu kritisieren.

Historischer Ort: Am 1. August 1952 feiern die Gröbenzeller vor der Bahnhofswirtschaft in der Kirchenstraße die Erhebung zur Gemeinde. (Foto: Gemeinde Gröbenzell/oh)

"Ich glaube der Charakter von Gröbenzell ist nicht städtisch", erklärt denn auch der ehemalige IVG-Vorsitzende August Staedel. Deshalb positionierte sich der IVG-Vorstand beim Bürgerentscheid zur Stadterhebung gegen dieses Anliegen. Gröbenzell sollte eine Vorstadtgemeinde im Grünen bleiben. Der 77 Jahre alte Staedel ist das Gedächtnis der Vereins, schließlich erstellte er 1980 zusammen mit dem Studiendirektor Karl Mergenhagen die Chronik zum 70-jährigen Bestehen des IVG.

Der Verein entstand 1910 aus einer Notsituation heraus, für die die Bezeichnung "Interessenverein" gleichsam als Programm steht. Laut Staedel war Gröbenzell 1910 noch eine Moossiedlung, in der vor allem Torfstecher, Kleinbauern und Münchner wohnten, die hier ein Wochenendgrundstück erworben hatten. Nur kümmerte sich damals niemand wirklich um die Belange der Menschen, die sich hier im Niemandsland zwischen München, Olching und Puchheim angesiedelt hatten.

1950 hatten die Gröbenzeller für die Eigenständigkeit votiert. (Foto: Gemeinde Gröbenzell/oh)

Es gab keine Straßen, die diesen Namen verdient hätten, sondern nur gesandete Wege mit tiefen Fahrspuren von Fuhrwerken. Obwohl Gröbenzell damals schon 30 Anwesen hatte, fehlte neben einer Straßenbeleuchtung vieles, was ein Gemeinwesen ausmachte: eine Schule, eine Kirche oder eine Post gab es nicht. Und auch Züge hielten nur unregelmäßig. Mit dem IVG bekamen die Gröbenzeller plötzlich eine eigene Interessenvertretung, die die Lebensverhältnisse verbessern und den Ort verschönern wollte.

Zeitweise erfolgte das im Verbund mit anderen Institutionen wie dem Freilandverein, aus dem später die Gröbenzeller Freilandgenossenschaft hervorging, in der wiederum der IVG bis 1925 für einige Jahre ganz aufgegangen war. Das war nicht weiter tragisch. Schließlich verfolgte die Freilandgenossenschaft lange Zeit identische Ziele wie der IVG. Er versorgte die Siedler nach dem Ersten Weltkrieg mit Baumaterial und Krediten, wobei Behörden dessen genossenschaftliche Organisationsform mehr schätzten als einen Verein.

Eine Minderheit trauerte der Zugehörigkeit zu München nach. (Foto: Gemeinde Gröbenzell/oh)

Als die Freilandgenossenschaft 1925 aber in eine GmbH mit dem Namen "Darlehenskassenverein Gröbenzell umgewandelt wurde und den Tätigkeitsschwerpunkt auf die landwirtschaftliche Warenvermittlung und die Darlehensgewährung verlegte, gründete sich der Interessenverein ein zweites Mal. Ziel war nach wie vor die Verbesserung der Lebensverhältnisse in der weiterhin auf mehrere Gemeinden aufgeteilten Siedlung.

Ein Beispiel für das Wirken des IVG sind die Bemühungen um die 1925 errichtete Postagentur. Für die Erstellung der Posträume brachte der Verein 250 Reichsmark auf, zum Gehalt des Postagenten steuerte er in der ersten Zeit 15 Reichsmark im Monat bei. Bis dahin hatten die östlich des Ascherbaches gelegenen Ortsteile zur Post Lochhausen, der westliche Teil zu Olching gehört.

1930 scheiterte der erste Versuch zur Gründung einer Gemeinde Gröbenzell noch an der Schulfrage. Der IVG-Vorstand sah mit dem Schritt in die Selbständigkeit die Verbesserung der Schulverhältnisse gefährdet und stellte deshalb dieses Vorhaben zurück. Misstrauensanträge der Mitglieder gegen diese "ohne Abstimmung, ja ohne Fühlung mit Vereinsmitgliedern" gefasste Vorstandsentscheidung lehnte die Generalversammlung im September 1931 schließlich mit Mehrheit ab. Das spricht für den Bürgersinn der Gröbenzeller. Sie wollten schon damals in wichtige Entscheidungen über ihr Gemeinwesen eingebunden werden.

Mit solch wegweisenden Entscheidungen sind (von links) Reiner Brand, August Staedel und Marina Kinzel vom IVG-Vorstand nicht mehr konfrontiert. (Foto: Carmen Voxbrunner)

"Los von Olching" lautete die Parole, als der spätere Gemeinderat Alfons Vorderwülbecke im Februar im Auftrag des Kreistags von Fürstenfeldbruck zur "Vorbesprechung der Selbständigmachung der Ortsteile Gröbenzell als Gemeinde" einlud. Das Votum der 33 Anwesenden, bei denen es sich laut Niederschrift nur um Männer handelte, fiel einstimmig aus. Da die Ortsteile der fünf Gemeinden damals zusammen schon mehr als 5000 Einwohner hatten, wurde die Frage der materiellen und finanziellen Existenzfähigkeit positiv beurteilt. Diskutiert wurden drei Möglichkeiten: die Angliederung an München, die Schaffung einer eigenen Gemeinde, die sich dem Landkreis Fürstenfeldbruck anschließt, oder die Schaffung einer eigenen Gemeinde, die zum Landkreis München gehört. Alle drei Optionen fanden Befürworter. Diese Sitzung wird als Wiederaufleben des Interessenvereins nach der NS-Schreckensherrschaft bezeichnet.

Bestimmt wurden an diesem Februarabend 1948 nicht nur die Mitglieder einer Kommission, die die Verhandlungen im Landratsamt zur Gründung der Gemeinde führen sollten. Danach begannen die Vorbereitungen der Gründungsversammlung für den Interessenverein, der im Mai 1949 unter dem neuen Namen "Bürgervereinigung mit Gewerbegruppe" als erster Verein im Landkreis mit Lizenz der Militärregierung offiziell wieder zugelassen wurde. Bei einer geheimen Volksbefragung sprach sich am 17. Dezember 1950 eine Mehrheit von 65 Prozent der Gröbenzeller für eine eigene Gemeinde im Landkreis Fürstenfeldbruck aus. Gegen den Anschluss an Bruck waren die Einwohner des östlichen oder Münchner Teils der Gemeinde. 1138 der Gröbenzeller gehörten zum 40. Stadtbezirk Aubing-Langwied. Dort rief ein "Bürgerausschuss" zusätzlich die 1138 Einwohner zur Teilnahme an einer Postkartenaktion auf. Vom Rest gehörten 3442 zu Olching, 495 zu Geiselbullach und 173 zu Puchheim. Der größte Teil der Gemeindefläche stammt von München (280 Hektar), gefolgt von Olching (221), Geiselbullach (64) und Puchheim (18).

Der Landtag hörte jedoch auf die später wieder in Interessenverein umbenannte Bürgervereinigung Gröbenzell. "Tief liegende Gründe für einen Zwiespalt sind in keiner Form vorhanden", stellte dessen Vorstand in einem Brief an alle Abgeordneten fest. Werde dem Antrag der Bevölkerung entsprochen, werde "jede Unruhe im Ort schnellstens verschwunden sein und bestehen wird eine einmütige Einwohnerschaft links und rechts des Gröbenbaches, wie dies jahrzehntelang seit den ersten Anfängen Gröbenzells der Fall war."

© SZ vom 14.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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