Gröbenzell:Der Wahn im Wartezimmer

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Sie alle haben einen Tick und warten auf den Arzt: Szene aus der TiG-Theater-Inszenierung von "Toc Toc" (Foto: Günther Reger)

Die Inszenierung von "Toc Toc" des Gröbenzeller TiG-Theaters fängt gut an und hört gut auf. Dazwischen aber hat sie mit einer eingearbeiteten Videoprojektion einen Durchhänger

Von Valentina Finger, Gröbenzell

Samuel Beckett ist mit einem Theaterstück über das Warten berühmt geworden. Was in "Warten auf Godot" passiert, erklärt sich bereits im Titel. Mehrfach wird den beiden Protagonisten von einem Boten mitgeteilt, dass der Erwartete bald eintreffen werde. Doch er kommt nicht. Also schlagen sie die Zeit tot. Im Grunde ist das die Handlung des doppelten Einakters. Es ist schwer vorstellbar, dass Laurent Baffie Becketts Wartende nicht wenigstens im Hinterkopf hatte, als er 2005 seinen bekanntesten Bühnentext "Toc Toc" schrieb, den das Theater TiG aktuell im Gröbenzeller Bürgerhaus aufführt.

In der Komödie kommen sechs Charaktere im Wartezimmer einer Arztpraxis zusammen. Was für einen Doktor sie aufsuchen, ist schnell ersichtlich. Alle Sechs haben einen Tick - die Abkürzung "Toc" im Dramentitel steht für den französischen Sammelbegriff für Zwangsstörungen. Wie der Botenjunge bei Beckett vertröstet die Sprechstundenhilfe (Günther Bülig) des augenscheinlich bis zuletzt nicht auftauchenden Arztes die Patienten wiederholt. Und noch etwas haben Aufführungen von "Godot" und Karin Spangenbergs "Toc Toc"-Inszenierung gemeinsam: Als Zuschauer wünscht man sich stellenweise, das eigene Warten hätte endlich ein Ende.

Die zentrale Monopoly-Runde, mit der sich die Gruppe auf der Bühne die Wartezeit verkürzt, kommt einem im Zuschauerraum vor wie eine Ewigkeit. Ein künstlerischer Kniff der Regisseurin sollte es wohl sein, die lange Szene nicht live zu spielen, sondern in einem zuvor aufgenommenen Video an die Wand zu projizieren. Tatsächlich wird auf diese Weise im Publikum eine Parallele zur Sachlage im Stück hergestellt: Es ist, als würden einem in einer Wartesituation die Methoden zur Selbstbeschäftigung ausgehen, weswegen man sich einem Film zuwendet, der zur Überbrückung gespielt wird. Nur ist dieser repetitiv, monoton ohne Schnitt gedreht und so ermüdend, dass die darauf folgende Pause wie eine Erlösung wirkt.

Während Spangenbergs Inszenierung gut anfängt und gut endet, wird sie in der Mitte so zur stumpfen Amateurfilmvorführung, die einem nur gelegentlich einen matten Schmunzler entlockt. Dass der Rest der Darbietung überzeugt, ist in erster Linie auf die sensible Figurengestaltung der Schauspieler zurückzuführen. Insbesondere Ingo Jergens als Zahlenfanatiker Vincent und Thomas Höltzel als Tourette-Kranker Fred ragen dabei heraus.

In der Interpretation durch Jergens ist Vincent der Durchschnittsmann, der sich trotz Rechenzwangs wie ein Normaler unter Irren fühlt und mit seiner Stammtisch-Präsenz das Dargebotene dominiert. Die Anfälle und Zuckungen, die die Rolle des Fred ausmachen, werden von Höltzel völlig ungekünstelt in sein Spiel integriert. So lässt er die Gefahr des Lächerlichen, die mit solchen Nachahmungen einhergeht, weit hinter sich und schafft es hingegen, Mitleid für einen Mann hervorzurufen, dessen Störung sein Leben zerstört.

Eine auffallende Leistung ist auch Pegamund Häuslers Darstellung von Bob. Den jungen Mann, der von Symmetrie besessen ist und nicht über Linien gehen kann, interpretiert sie als flattriges Fantasiewesen, das sich in seiner eigenen Welt wohlfühlt, obgleich es unter seinem Wahn leidet. Die Dynamik mit den restlichen Akteuren funktioniert meist, ist pointiert und durch die vielen Reize abwechslungsreich, nur selten verfehlt eine Aktion ihren Moment. Heike Maltan spielt die sauberkeitsfanatische Blanche, Jutta Hatzold die ständig ihre eigenen Sätze wiederholende Lili und Barbara Chlumsky tritt in der Rolle der von Kontrollzwang geplagten Marie auf. Letztere äußert immer wieder die Sorge, ihren Zug zu verpassen. Ironischerweise verlassen ein paar Zuschauer unter demselben Vorwand die Aufführung nach dem Durchhänger zur Halbzeit. Dass die Inszenierung sich nach der Pause wieder aufraffen konnte, haben sie verpasst. Vielleicht hätten sie lieber noch etwas gewartet.

Nächste Aufführungen von "Toc Toc" im Bürgerhaus Gröbenzell: 17./18. März um 20 Uhr und 19. März um 17 Uhr; Karten unter 0152/34790218

© SZ vom 13.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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