Gröbenzell:Braune Hochburg

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Historiker legt die Nazi-Vergangenheit der Gemeinde offen

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Im Bezirk Fürstenfeldbruck tat sich die NSDAP nach ihrer Wiedergründung 1925 schwer, Anhänger zu gewinnen. Eine Ausnahme stellte Gröbenzell dar. Die Siedlung entwickelte sich von 1929 an zur Hochburg. Bei der Reichstagswahl 1930 erzielten die Nazis ein Traumergebnis von mehr als 35 Prozent, weit über dem Durchschnitt in Deutschland, Bayern und Fürstenfeldbruck. Wie es dazu kam, versucht Historiker Kurt Lehnstaedt zu erklären. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der braunen Vergangenheit seines Wohnortes. Die Ergebnisse hat er im vergangenen Jahr in einem Buch publiziert. Am Dienstag referierte er beim Historischen Verein im Veranstaltungsforum Fürstenfeld. Der promovierte Historiker hat für den raschen Aufstieg der Nazis in Gröbenzell zwei Erklärungen parat, eine soziologische und eine politische.

Die kleine Siedlung im Moor war aufgrund der günstigen Grundstückspreise und dem Bahnanschluss für Pendler attraktiv. Bis 1929 wuchs die Bevölkerung in dem Bereich, der zur Gemeinde Olching zählte, auf etwa 1100 Personen an, immerhin ein Drittel der Gesamtbevölkerung Olchings. Dort war das politische Leben durch die Arbeiterbewegung geprägt, es gab einen proletarischen Sportverein, die SPD stellte den Bürgermeister. In den meisten anderen Gemeinden des Landkreises dominierten die katholische Kirche und die Bayerische Volkspartei (BVP), eine rechtsgerichtete und antisemitische Partei. Der allgemeine Trend wiederholte sich auf lokaler Ebene: Wo Arbeiterbewegung oder Katholizismus fest verwurzelt waren, fasste die NSDAP schwerer Fuß.

Die Wahlergebnisse, die Lehnstaedt präsentierte, zeigen, dass zwar die Arbeiterparteien SPD und KPD in Gröbenzell bis zu ihrer gewaltsamen Zerschlagung 1933 ihre starken Positionen behaupten konnten. Was fehlte, war ein fest gefügtes katholisches Milieu, das die Mittelschichten hätte binden können. So aber liefen in Gröbenzell wie anderswo gerade diese bürgerlichen Bevölkerungsgruppen zu den Nazis über. Der zweite Faktor, den Lehnstaedt anführte, war die politische Situation. Das Gebiet der späteren Gemeinde Gröbenzell teilten sich fünf Kommunen. Die meisten Bewohner gehörten zu Olching, die übrigen lebten auf Puchheimer, Graßlfinger, Aubinger und Langwieder Flur. Zweimal scheiterte eine Sezessionsbewegung, 1924 und 1929. Mangels politischer Eigenständigkeit spielten die Vereine eine große Rolle, so Lehnstaedt, für die Freizeitgestaltung, als Selbsthilfeorganisationen wie der Darlehensverein und der Interessenverein, der kommunale Anliegen wahrnahm. Dank akribischer Recherche hat Lehnstaedt nachgewiesen, dass etliche Vorstände mit den Nazis sympathisierten oder sogar Parteimitglieder waren. Dazu gehörten der Reichsbahnbeamte Paul Gradwohl vom mitgliederstärksten Gartenbauverein, Adalbert Duschl, ein Wortführer der Sezessionisten, oder der Pasinger Stadtvikar Werner Pürckhauer, der den Evangelischen Verein leitete.

Der Begriff der Zustimmungsdiktatur, der sich für die NS-Herrschaft herausgebildet hat, lässt sich auf lokaler Ebene gut nachvollziehen. Überwachung und Terror zielten auf Minderheiten, die Masse der deutschen Volksgenossen, wie sie im Jargon der Partei hießen, erwies sich als Mitläufer und aktive Täter. Seit 1934 baute die NSDAP jene Massenorganisationen aus, die den Alltag kontrollierten und strukturierten, wie etwa die NS-Volkswohlfahrt, die in Gröbenzell den dritten Kindergarten im Landkreis einrichtete. In diesen Verbänden kamen viele Gröbenzeller unter, mindestens 23 hauptberuflich. Etwa ein Drittel gehörte der Partei an, was beachtlich ist, als niemand dazu gezwungen wurde, manche sogar ohne Schaden wieder austraten. Rechnet man die diversen NS-Verbände dazu, schlossen sich etwa 80 Prozent der Gröbenzeller den Nationalsozialisten an, hat Lehnstaedt ausgerechnet. Kein Wunder also, dass nach Kriegsende die Täter im Regelfall nicht bestraft, sondern die Verbrechen tabuisiert wurden.

Als die NSDAP ihre politischen Gegner ausgeschaltet hatte und fest im Sattel saß, gingen ihre Anhänger daran, ihr Ideal einer deutschen Volksgemeinschaft umzusetzen. Das bedeutete Ausgrenzung, Bedrohung, Verfolgung und schließlich Mord an Menschen jüdischer Herkunft sowie Menschen, die als nicht erbgesund eingestuft wurden, wobei die Diagnosen völlig willkürlich oder widersprüchlich sein konnten. Detailliert zeichnete Lehnstaedt in seinem Vortrag den Leidensweg dieser Menschen in Gröbenzell nach.

Kurt Lehnstaedt, Gröbenzell in den Jahren 1933 bis 1945. Die fünfteilige Siedlung im Nationalsozialismus, München 2015, Volk Verlag, 296 Seiten, 29,90 Euro.

© SZ vom 05.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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