Grafrath:Landschaftsschutz contra Gewerbe

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Über die Erweiterung des Gewerbegebietes Wahlfeld können die Grafrather am Sonntag in einem Bürgerentscheid abstimmen. (Foto: Johannes Simon)

Zum dritten Mal binnen kurzer Zeit entscheiden die Grafrather über ein großes Planungsvorhaben der Gemeinde. Im aktuellen Fall geht es auch um die Frage, ob Wirtschaftsinteressen wichtiger sind als die Natur

Von Heike A. Batzer, Grafrath

Soll das örtliche Gewerbegebiet erweitert und dafür Landschaftsschutzgebiet geopfert werden? Darüber befinden an diesem Sonntag die Grafrather. 3000 Wahlberechtigte aus Grafrath und dem Ortsteil Mauern sind aufgerufen, zwischen 8 und 18 Uhr über ein Bürgerbegehren als auch über ein konkurrierendes Ratsbegehren abzustimmen. Fast 13 Prozent von ihnen - am Mittwoch waren es laut Gemeinde 381 Bürgerinnen und Bürger - stimmten bereits per Briefwahl ab.

Es ist der dritte Bürgerentscheid in Grafrath binnen zweieinhalb Jahren. Rechnet man das um, stimmen die Grafrather alle zehn Monate über ein Thema in ihrer Gemeinde ab. Das ist Landkreisrekord. Zuletzt äußerten sie sich zu einem Supermarkt in der Ortsmitte (Februar 2014) und zum Klosterwirt (Dezember 2013).

Bürgermeister Markus Kennerknecht (parteifrei) rechnet mit mindestens 60 Prozent Wahlbeteiligung, auch "wegen einer gewissen Emotionalisierung" im Vorfeld, wie er sagt. Denn das Thema hatte, wie in der Vergangenheit auch andere städteplanerische Fragen in Grafrath, zu heftigen verbalen Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern geführt. Viele Bürger hatten zunächst einfach Kritik am Vorhaben der Gemeinde geübt, das kleine Gewerbegebiet Wahlfeld vergrößern zu wollen, das im Norden der Gemeinde liegt - eingezwängt zwischen Landschaftsschutzgebiet, Bahnlinie, Forstlichem Versuchsgarten und Wohngebiet. Bei der Gemeinde gingen etwa 400 Einwendungen dagegen ein, später sammelte ein sich formierendes Aktionsbündnis Grafrath fast 900 Unterschriften gegen das Projekt. Damit war das Quorum für einen Bürgerentscheid locker erreicht.

Umstritten ist das Vorhaben vor allem deshalb, weil für die Erweiterung Landschaftsschutzgebiet aufgegeben werden müsste. Auch die Untere Naturschutzbehörde im Landratsamt, wo die Gemeinde bereits im vorigen Sommer die Herausnahme von 26 000 Quadratmetern aus dem Landschaftsschutz beantragt hatte, meldete Bedenken an. Das 1979 ausgewiesene Landschaftsschutzgebiet Obere Amper weist demnach eine besondere Form auf als "stark bewegtes Gelände", geformt "durch die Vorlandvergletscherung der letzten Eiszeit". Eine Umwandlung der jetzt landwirtschaftlich genutzten Fläche in eine Gewerbefläche sei ein "erheblicher und nachhaltiger Eingriff in das Landschaftsbild" und würde eine "größere Landschaftswunde" hinterlassen, so die Behörde. "Sind Sie dafür, dass die Gemeinde Grafrath ihr Vorhaben aufgibt, das Gewerbegebiet an der Jesenwanger Straße in das Landschaftsschutzgebiet hinein zu erweitern?", lautet deshalb die Frage des Bürgerbegehrens. Man sei nicht gegen weiteres Kleingewerbe in Grafrath, sagt das von Susanne Linder, Oliver Detenhoff und Martin Hoffmann geführte Aktionsbündnis, aber "gegen Gewerbe am falschen Platz".

Kurioserweise liegt die umstrittene Fläche nicht nur im Landschaftsschutzgebiet, sondern findet sich auch im Flächennutzungsplan der Gemeinde. Die Befürworter eines vergrößerten Gewerbegebiets - vorwiegend eine große Koalition aus CSU und SPD, ergänzt um die beiden Gemeinderätinnen der Frauenliste - indes führen vor allem die Gewerbesteuer als Hauptargument an und stellten dem Bürgerbegehren ein eigenes Ratsbegehren entgegen. Die Grafrather müssen deshalb über zwei Fragen sowie über eine Stichfrage abstimmen, die den eher unwahrscheinlichen Fall entscheiden soll, dass beide Begehren mehrheitlich mit Ja oder Nein beantwortet werden. Das Ratsbegehren lautet so: "Befürworten Sie die Absicht der Gemeinde, im Bereich Wahlfeld/Jesenwanger Straße angegliedert an das bereits bestehende Gewerbegebiet für ortsansässige Unternehmer eine Erweiterungsmöglichkeit von insgesamt nicht mehr als 1,4 ha unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer Bevorratung von Grundstücken, u.a. auch für soziale Einrichtungen zu schaffen?"

Im zuständigen Fürstenfeldbrucker Kreistag fand noch keine Abstimmung über die zunächst beantragte Herausnahme von 26 000 Quadratmetern aus dem Landschaftsschutz statt. Das Verfahren ruhe bis zum Ausgang des Bürgerentscheids, heißt es aus dem Landratsamt. Mittlerweile will die Gemeinde nurmehr 14 000 Quadratmeter beanspruchen, also jene im Ratsbegehren genannten 1,4 Hektar.

Ausgelöst hatte die Pläne der Erweiterungswunsch der im Gewerbegebiet ansässigen Firma Cabero Wärmetauscher, die zusätzliche 3000 Quadratmeter Fläche haben möchte. Das Aktionsbündnis fragt nun in einem offenen Brief an Bürgermeister Kennerknecht, warum denn nie eine Sonderlösung für Cabero diskutiert worden sei. Auch sei es falsch, den Eindruck zu vermitteln, Cabero würde ohne Erweiterung Mitarbeiter entlassen, sagen die Erweiterungsgegner.

Unterstützt wird das Bürgerbegehren von den Grünen und der Gruppierung Bürger für Grafrath.

© SZ vom 08.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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