Gedenken:Der dritte Stolperstein im Landkreis

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Gunter Demnig verlegt an diesem Mittwoch eine Gedenkplatte vor dem Grafrather Rathaus. Sie erinnert an Wassyl Zhyhalük. Der Ukrainer war im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiter in die Gemeinde verschleppt worden

Von Ariane Lindenbach, Grafrath

Unschuldig und vertrauensvoll schaut der junge Mann, ein Bub fast noch. Es ist ein Schwarz-Weiß-Foto, der ärmlichen Kleidung nach ist es aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Dieses Bild von dem damals 16 Jahre alten Wassyl Zhyhalük, aufgenommen spätestens 1942 in der Ukraine, hat den Anstoß gegeben, dass Simone Schmid das Schicksal des gebürtigen Ukrainers recherchierte. Er lebte zwei Jahre lang als Zwangsarbeiter in Grafrath, bevor er Ende 1944 ins Konzentrationslager Flossenbürg deportiert wurde und im Februar 1945 starb. An diesem Mittwoch verlegt der Initiator der Stolpersteine Gunter Demnig zum Gedenken an Wassyl Zhyhalük einen Stein vor dem Rathaus von Grafrath. Dank Schmids Recherchen kommen auch zwei Verwandte von Zhyhalük.

Simone Schmid, Jahrgang 1941 und wie ihr Mann in Grafrath aufgewachsen und geblieben, sitzt in ihrem Wohnzimmer. Vor ihr auf dem Tisch hat sie einen Aktenordner aufgeschlagen, daneben liegt griffbereit ihr Notebook, alles voller Informationen zu Wassyl Zhyhalük. Die Frau mit dem gepflegten Kurzhaarschnitt deutet auf Zhyhalüks Foto: "Das hat mich nicht mehr losgelassen." Woher der damals 16-Jährige kam, warum er wieder gehen musste und vor allen Dingen, was mit ihm dann passiert ist, ließ Schmid keine Ruhe. Sicherlich habe das auch etwas mit ihrer eigenen Familiengeschichte zu tun, erläutert sie. Der jüngste Bruder ihrer Mutter wurde 1944 als Soldat der Wehrmacht vermisst und kehrte nie mehr zurück. "Ich glaube meine Großmutter ist an gebrochenem Herzen gestorben", die ganze Geschichte habe sie "mein ganzes Leben lang beschäftigt". Zudem auch die Familie ihres Mannes jahrzehntelang ein "Familiengeheimnis" zum Dritten Reich gehütet hat.

Wassyl Zhyhalük, hier auf seiner Arbeitskarte. (Foto: oh)

Politisch war die Grafratherin schon immer. Pazifismus, soziale Gerechtigkeit und Nächstenliebe waren ihr wichtig. Anfang der 1970er Jahre gründete sie den Ortsverein der SPD mit (dem sie seit vielen Jahren nicht mehr angehört), saß im Gemeinderat und engagierte sich im kulturellen Bereich. Dadurch entstanden immer wieder neue Projekte, unter anderem die regelmäßige Mithilfe zur Vorbereitung von Ausstellungen am Bauernhofmuseum Jexhof.

So half die 73-Jährige auch bei den Vorbereitungen zu der Ausstellung "Nationalsozialismus im Brucker Land" im Jahr 2010. Bei ihren Recherchen in Grafrath, bei den Gesprächen mit zwei Schwestern, die inzwischen beide verstorben sind, erfuhr sie erstmals von dem jugendlichen Zwangsarbeiter in ihrem Heimatort. Wie Schmid berichtet, lebte Wassyl Zhyhalük zwischen 1942 und Ende 1944 als landwirtschaftlicher Helfer auf dem Hof der Familie der beiden Schwestern. "Beide haben sehr liebevoll von ihm gesprochen", offiziell habe er zwar nicht mit den Mädchen reden dürfen, doch die beiden fanden damals Wege für einen heimlichen Kontakt. "Ich denke, er ist gut behandelt worden", resümiert Simone Schmid 70 Jahre später. Doch wie sie von den beiden Schwestern erfuhr, "hat ihn einer hingehängt", angeblich sollte er jemanden im Dorf beschimpft haben. Daraufhin wurde Wassyl Zhyhalük im Dezember 1944 in das KZ Flossenbürg gebracht, wo sich seine Spur verlor.

Genau diese Spur wollte Schmid aufspüren. Sie schrieb an die KZ-Gedenkstätte, und als sie zunächst keine befriedigende Auskunft bekam, hakte sie zwei Jahre später wieder nach. Sie bekam zwei E-Mail-Adressen, von denen eine falsch war. Doch dank ihres beharrlichen Nachhakens stieß sie schließlich auf Sören Fuß aus Haslach im Kinzigtal. Fuß, ein früherer Stadtrat, hat sich der Aufarbeitung der Geschichte seines Ortes gewidmet, wo es zu Nazizeiten ein Arbeitslager gab. Von ihm erfuhr Schmid, dass Zhyhalük am 12. Februar 1945 in dem Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof mit 222 weiteren Opfern in einem Massengrab verscharrt wurde.

Das Bild von Wassyl Zhyhalük hat Simone Schmid dazu getrieben, das Schicksal des 16-jährigen ukrainischen Zwangsarbeiters zu recherchieren. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Doch damit hatte Schmid ihre Mission erst halb erfüllt. Über das Institut für Zeitgeschichte gelangte sie an eine ukrainische Internetadresse, einen Tag später rief sie der "Herr Vitaly" von "irgendwo aus der Westukraine", der Heimat Wassyls, an. Es bedurfte vieler Telefonate und der tatkräftigen Unterstützung des Stadtrats mit dem unaussprechlichen Nachnamen, bis er die Familie Zhyhalük ausfindig gemacht hatte. Wassyls Mutter starb kurz nach dem Krieg, sein Vater wurde über 90, "er hat immer gehofft, dass Wassyl zurückkommt". Heute leben noch ein Neffe und eine Nichte Wassyls. Neffe und Sohn kommen zu der Verlegung des Stolpersteins, der die drei Bürgermeister der Verwaltungsgemeinschaft ganz unbürokratisch zustimmten.

Der Künstler Gunter Demnig wird den Stolperstein an diesem Mittwoch um 9 Uhr vor dem Rathaus verlegen. Am Sonntag, 31. Mai, um 17 Uhr findet zum Gedenken an Wassyl Zhyhalük eine Lesung im Dachsaal Marthashofen statt; der Eintritt ist frei.

© SZ vom 27.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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