Ganztagsunterricht:Mittags ist Schluss

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Rhythmisierter Unterricht, verteilt auf Vormittag und Nachmittag, gilt Bildungsforschern zufolge als Schulform, die individuelle Förderung am besten umsetzen kann. Mittelschulen und Förderzentren betonen die Vorteile. Dennoch gibt es sie an keinem einzigen Gymnasium im Landkreis

Von Heike A. Batzer

Es war nur eine einzige Anfrage. Eine Mutter habe sich bei ihm erkundigt, ob das Gymnasium Puchheim denn nicht auch die gebundene Form der Ganztagsschule anbieten würde, erinnert sich Georg Baptist, der Schulleiter. An den Gymnasien im Landkreis Fürstenfeldbruck herrscht kaum Bedarf, die Schüler regelmäßig ganztags unterrichten zu lassen. Das Landratsamt hatte sich im Vorjahr an seinen weiterführenden Schulen umgehört, nur die Realschulen in Unterpfaffenhofen und Puchheim meldeten daraufhin Interesse an. In Unterpfaffenhofen gibt es seit Schuljahresbeginn je eine Ganztagsklasse in der fünften und sechsten Jahrgangsstufe, an den beiden ebenfalls vom Landkreis betriebenen Sozialpädagogischen Förderzentren ist die gebundene Ganztagsschule ebenfalls eingerichtet. Von den Grundschulen im Landkreis hat nur jede sechste gebundene Ganztagsklassen, von den Mittelschulen knapp die Hälfte. Das deckt sich durchaus mit dem Bild, das Bayern bei der Einrichtung der Ganztagsschule abgibt. Laut der Studie "Ganztagsschulen in Deutschland" der Bertelsmann-Stiftung werden nirgendwo in Deutschland anteilig weniger Kinder ganztägig unterrichtet als im Freistaat.

Dabei gilt gebundener Ganztagsunterricht Bildungsforschern zufolge als optimale Unterrichtsform. Sie "bietet die besseren Rahmenbedingungen, um jedes Kind individuell zu fördern", sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung im Vorjahr bei der Präsentation der Studie "Ganztagsschulen in Deutschland". In der 2. Jako-o-Bildungsstudie, die das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid 2012 durchgeführt hat, sprachen sich 70 Prozent der befragten Eltern für eine Ganztagsschule aus. Die Mehrheit davon (38 Prozent) bevorzugt allerdings eine Einrichtung mit freiwilligem Nachmittagsprogramm.

Das trifft durchaus auch den Tenor an den Landkreisgymnasien. Dort gibt es seit vielen Jahren die offene Ganztagsschule, bei der die Kinder nach dem regulären Unterricht betreut werden. "Das ist ein wunderbares Modell und funktioniert ausgezeichnet", sagt Walter Zellmeier, Schulleiter des Viscardi-Gymnasiums in Fürstenfeldbruck. Rund 100 ältere Schüler kümmern sich an seiner Schule als "Trainer" um rund 120 Schüler der Unterstufe und betreuen sie bei der Erledigung der Hausaufgaben. "Das tut auch der Atmosphäre an der Schule gut. Da sind viele mit Herzblut dabei." Die gebundene Ganztagsschule sei an Gymnasien, an denen die Schüler ohnehin bereits an mehreren Nachmittagen Unterricht haben, nicht leicht zu installieren. So müsse man bei beispielsweise bei einer Ganztagsklasse der achten Jahrgangsstufe in einer Klasse sämtliche Zweige und Sprachenwahlen unterbringen. Organisatorisch schwierig, meint Zellmeier.

Rhythmisierter Unterricht über Vormittag und Nachmittag verteilt hat sich vor allem an den beiden Sonderpädagogischen Förderzentren in Fürstenfeldbruck und Germering bewährt. Zunächst habe man befürchtet, dass die Kinder sich beschwerten, dass sie nicht wie anderen mittags nach Hause gehen dürfen, erzählt Rita Malterer-Forster, die Leiterin der Eugen-Papst-Schule in Germering. Doch die Sorge bestätigte sich nicht: "Den Kindern macht es Spaß." Im Grundschulbereich führt die Eugen-Papst-Schule einen Ganztags- und einen Halbtagszug, die fünfte und sechste Klasse sind nur noch ganztägig. Im Gegensatz zur offenen Ganztagsschule, die von Trägern wie der Arbeiterwohlfahrt, Nachbarschaftshilfe oder der Gesellschaft zur Förderung beruflicher und sozialer Integration (gfi) getragen werde, sei die gebundene Form "in das Schulkonzept integriert. So kann man auch ein erzieherisch-pädagogisches Konzept verwirklichen", sagt Malterer-Forster.

Weil offene und gebundene Form anders organisiert sind, können sie auch nebenher existieren. Wie an der Wittelsbacher Mittelschule in Germering. Mit Ausnahme der achten Klasse gibt es dort in allen Jahrgangsstufen eine gebundene Ganztagsklasse. Für diese Form des Unterrichts würden mittlerweile mehr Eltern ihre Kinder anmelden als für die Regelklasse, sagt Schulleiterin Ruth Hellmann.

Immer mehr Eltern wünschen nachschulische Betreuung ihrer Kinder, auch, um Beruf und Familie besser in Einklang bringen zu können. Vom kommenden Schuljahr an wird an der Grundschule am Niederbronner Weg, die das Grundschule Mitte heißen wird, erstmals in der Großen Kreisstadt Fürstenfeldbruck rhythmisierten Ganztagsunterricht an einer Grundschule angeboten werden. Seit zwei Monaten gibt es diese Form auch für eine erste Klasse an der Ährenfeldschule in Gröbenzell. Für ihre Grundschule in Esting erarbeitet die Stadt Olching gerade ein Sanierungskonzept, das auch einen Ganztagszweig integrieren soll.

Wenn immer mehr Grundschulen gebundenen Ganztagsunterricht anbieten, wird der Druck auf Gymnasien und Realschulen, hier nachzuziehen, steigen. "Ich glaube schon, dass man, wenn das an der Grundschule eingeführt ist, erwartet, dass es danach weitergeht", sagt Hermann Baumgartner, Direktor des Gymnasiums Gröbenzell. Beim nächsten Informationsabend für potenzielle Fünftklässler will er das Thema zur Sprache bringen. "Wenn Bedarf da ist für den gebundenen Ganztag, bin ich sehr offen." Mit dem Schülerrückgang, der bereits eingesetzt hat, könnten auch an den bislang überfüllten Gymnasien Räume für den Ganztagsunterricht frei werden. Denn Ganztagsunterricht brauche mehr Platz, an den Realschulen in Unterpfaffenhofen und Puchheim werden dafür neue Räume gebaut. Die renovierte Mensa sei bereits ein Beitrag für eine mögliche Ganztagsform, sagt Baumgartner. Sie hat jetzt ganztägig geöffnet, Oberstufenschüler können sie nachmittags als Cafeteria nutzen. "Wir müssen ein angenehmes Umfeld anbieten. Schule als Lebensraum und Kommunikationszentrum, das gehört beim Ganztag dazu", sagt Baumgartner.

Georg Baptist vom Gymnasium Puchheim sieht die Probleme eher bei den älteren Schülern, deren "Freiheitsdrang" der ganztägigen Beschulung entgegen stehe. Aber auch er sagt: "Das ist keine grundsätzliche Ablehnung." Auch Baptist versucht bereits, andere Formen des Unterrichts einzuführen. Zum Beispiel mit dem "flexiblen Klassenzimmer", das mit Hilfe verschiebbarer Tafeln und Dreieckstischen, die zu verschiedenen Konstellationen zusammengesetzt werden können, das Arbeiten in Gruppen erst richtig möglich macht.

Denn einen großen Vorteil bietet die Ganztagsschule. "Die Eltern sagen, sie müssten sich jetzt nicht mehr mit ihren Kindern wegen der Hausaufgaben streiten", sagt Rita Malterer-Forster. Hausaufgaben im klassischen Sinne gibt es dann nicht mehr, Wiederholungen und Intensivierungen sind in den Tagesrhythmus an der Schule integriert. Das weiß auch Ruth Hellmann: "Der Hausaufgabenstress ist dann raus aus dem Familien."

© SZ vom 09.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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