Fürstenfeldbruck:Zu hohe Dosis

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Eine Ärztin muss erneut eine Geldstrafe zahlen, weil sie zu große Mengen an Betäubungsmittel verschreibt. Die Medizinerin sieht mit ihrer Verurteilung die Behandlung von ADHS-Patienten gefährdet

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

In Zukunft will sich die Medizinerin wohl weigern, ADHS Patienten zu behandeln. Das sagt die angeklagte Ärztin aus dem Landkreis zumindest während ihrer Gerichtsverhandlung vor dem Brucker Amtsgericht. Und damit ist sei sie im Landkreis nicht alleine. Die Staatsanwaltschaft warf ihr bereits zum dritten Mal vor, sie habe einem Patienten regelmäßig eine zu hohe Dosis eines zur ADHS-Behandlung zugelassenen Medikaments verschrieben. Ein Vorwurf, den die Angeklagte in dieser Form nicht gelten lassen will. Sie räumte zwar ein, satt der zulässigen Höchstdosis von 80 Milligramm 120 verschrieben zu haben, argumentierte aber mit einer Ausnahmeregelung, die es Medizinern in begründeten Einzelfällen erlaube, die Tageshöchstdosis für das Medikament, das unter die Gruppe der Betäubungsmittel fällt, zu überschreiten.

Weil ihr Patient unter einer besonders schweren Form von ADHS leidet, die mit einer schweren Drogensucht einhergeht, sei die hohen Medikation erforderlich gewesen, sagte die Angeklagte. Das Verlangen ihres Patienten nach Drogen hätte sich durch die hohe Medikation verringert. Dem Staatsanwaltschaft warf sie vor, mit der Anklage ihre Arbeit als Ärztin zu behindern. "Ärzte fürchten sich vor der Verfolgung der Staatsanwälte", sagte sie. Aus diesem Grund gebe es bei der Versorgung von ADHS-Patienten einen wachsenden Engpass. Allein im Landkreis kenne sie acht Fälle, in denen Ärzten wegen ähnlicher Delikte verurteilt worden seien und sich deshalb weigerten, ADHS-Patienten zu therapieren. Richter Johann Steigmayer bestätigte das der SZ nach der Verhandlung.

Vor Gericht sollte nun die Frage geklärt werden, ob die Entscheidung der Ärztin aus medizinischer Sicht notwendig gewesen ist. Der einbestellte Gutachter, ein Gerichtsmediziner vom Institut für Rechtsmedizin der LMU München, äußerte daran seine Zweifel. Zum einen sei die Dokumentation der Ärztin unzureichend und zu lückenhaft, um einen Ausnahmefall erkennen zu können; zum andern habe sie die Dosierung zunächst nicht wie sonst üblich auf das Körpergewicht des Patienten abgestimmt. Während die Angeklagte meinte, diese Herangehensweise sei veraltet, pochte der Gutachter darauf, dass sich die Dosierung am Richtwert von einem Milligramm des Wirkstoffes auf ein Kilogramm Körpergewicht orientieren hätte müssen. Aber die Ärztin habe die Therapie sofort mit einer Medikation von 120 Milligramm begonnen. Üblicherweise steige man mit 10 Milligramm ein und steigere je nach Bedarf um 10 weitere Milligramm pro Woche.

Die Angeklagte erklärt, sie habe dem Patienten die hohe Dosis verschrieben, weil er ihr sagte, er habe an seinem früheren Wohnort bereits 120 Milligramm pro Tag bekommen. Überprüft habe sie das nicht. Ein Fehler, so der Gutachter. Nicht nur, weil man davon hätte ausgehen müssen, dass ein bekanntlich Drogensüchtiger in einer solchen Frage lüge, sondern auch, "weil man Leute damit umbringen kann". Immerhin, so betonte er weiter: "Das Nebenwirkungsprofil von Methylphenidat geht hin bis zum plötzlichen Herztod."

Zudem hätte die Angeklagte, um die Ausnahmeregelung geltend machen zu können, sicherstellen müssen, dass ihr Patient die Medikamente tatsächlich selbst einnimmt. Dieser aber lebte bereits, als die Behandlung begonnen hatte, mit seiner schwer drogensüchtigen Partnerin zusammen, was der Ärztin auch bekannt war. Der Argumentation des Gerichts zu Folge sei nicht sicher gewesen, dass er die Medikamente nicht an seine Partnerin weitergibt. Richter Steigmayer meinte, die Ärztin hätte den Patienten dreimal täglich zur Einnahme einbestellen müssen. Als die Ärztin erklärte, aufgrund ihrer Sprechzeiten sei ihr das nicht möglich, meinte der Richter, sie hätte diese Pflicht auch an eine andere behandelnde Medizinerin übertragen können. "Wenn das nicht möglich war, hätten sie das Medikament vielleicht nicht verschreiben dürfen."

Die Meinung der Ärztin, die Dosierung hätte angesichts des Schweregrads der Erkrankung ihres Patienten sogar noch höher ausfallen müssen, hält der Gutachter für absurd. Die Angeklagte erklärte, dass das Verlangen ihres Patienten nach Drogen durch eine noch höhere Gabe des Medikaments noch deutlicher verringert hätte werden können. Die Antwort des Gutachters: "Man könnte genauso sagen, je mehr Heroin einer zur Verfügung hat, desto geringer wird sein craving sein."

In seinem Schlussplädoyer betonte der Staatsanwalt, die Angeklagte zeige keinerlei Schuldeinsicht. Immerhin wurde sie bereits in einem ähnlichen Fall zu einer Strafe von 50 Tagessätzen à 100 Euro vor dem Amtsgericht verurteilt. Gegen ein weiteres Urteil zu 50 Tagessätzen hat die Angeklagte Berufung eingelegt. Auch nach der ersten Verurteilung hatte die Ärztin nachweislich an ihrer Verschreibungspraxis nichts geändert. Er fordert eine Freiheitsstrafe von insgesamt neun Monaten.

Der Verteidiger - der Ehemann der Ärztin, der keine juristische Ausbildung durchlaufen hat - plädierte für einen Freispruch, bevor seine Ausführungen in krude Verschwörungstheorien abglitten, denen zufolge "die Scientology-Sekte" eine massive Hetzkampagne gegen Methylphenidat führe und so das Gesundheitssystem und in Teilen auch die Justiz unterwandere. Ausführungen, die - wie Steigmayer betonte - nichts mit dem Fall zu tun hätten und schließlich auch nichts an dem Urteil von 150 Tagessätzen à 100 Euro änderten.

© SZ vom 15.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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