Fürstenfeldbruck:Weltenkinder

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Vor 40 Jahren wurde der Brucker Kindergarten Sankt Bernhard eingeweiht. Damals galten Buben oder Mädchen mit norddeutschem Dialekt als Exoten. Heute haben 60 Prozent einen Migrationshintergrund

Von Felix Sommerfeld, Fürstenfeldbruck

Gerd Müller schießt die deutsche Nationalmannschaft im Sommer zum Weltmeistertitel im eigenen Land, Willy Brandt legt sein Amt als Regierungschef nieder und Helmut Schmidt wird neuer Bundeskanzler - es ist das Jahr 1974. An der Sankt-Bernhard-Straße in Fürstenfeldbruck werden zur gleichen Zeit die Mauern hochgezogen für den neuen Kindergarten, der ein Jahr später eröffnet und eingeweiht wird. Am Sonntag nun feiert die Einrichtung ihr 40-jähriges Bestehen.

"Damals", erinnert sich Lydia Lauschke, die 1976 bereits Praktikantin war, "sind 150 Kinder von nur acht Erwachsenen betreut worden. Das kann man sich heute kaum noch vorstellen". Lauschke ist heute eine von insgesamt 13 Kinderpflegern und Erziehern, die zuständig sind für die 100 Kinder der voll belegten Einrichtung. "Die Förderung ist heute ganzheitlicher, detaillierter - es wird mehr auf die Fähigkeiten und Neigungen des jeweiligen Kindes eingegangen", so Lauschke. "Aber es ist wichtig, dass alles spielerisch bleibt", fügt Ulrike Waidhauser-Huber, 58, die Leiterin, hinzu. "Man muss zwar früh fordern und fördern, aber es müssen Freiräume für das Kind bleiben." Manche Eltern seien verunsichert durch viele verschiedene Erziehungsmethoden, durch die Medien. Sie befürchteten, etwas zu versäumen. So würden manche Kinder in Musik- oder Sportunterricht gesteckt, der ihnen nicht liege, der sie überfordere.

Lydia Lauschke (Zweite von links) fing hier bereits 1976 als Praktikantin an. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Das kommt auch im Leitspruch des Kindergartens zum Ausdruck: "Wir spielen und fördern, um Freude und Erfolg am Lernen und im Leben zu erzielen." Anfang 2009 wurde das Gebäude des Pfarrkindergartens komplett saniert und zwölf Monate später eingeweiht. Anders als vor 40 Jahren, als jemand mit nord- oder ostdeutschem Dialekt noch als Exot galt, kommt es heute vor, dass Mädchen oder Buben in den Kindergarten kommen, die kaum deutsch sprechen. Dann sind die Erzieher gefragt, sie arbeiten mit Händen und Füßen, um Kindern möglichst schnell den Anschluss zu ermöglichen. Darüber hinaus werden Sprachförderkurse angeboten.

"Die Sprachbarriere kann ganz zu Beginn ein Handicap sein für das Kind, aber bis jetzt haben wir das immer schnell in den Griff bekommen", sagt Ulrike Waidhauser-Huber. Sie weiß um die Vorbildfunktion für die Kinder und freut sich über die Wertschätzung, die sie und ihr Team für ihre Arbeit erfahren. Mehr als 60 Prozent der Kinder in der Einrichtung des Erzbistums haben einen Migrationshintergrund. Dann beginnt sie, die Nationalitäten aufzuzählen: "Russland, Polen, Türkei, Kongo, Kroatien, Vietnam, Albanien, Serbien, China, Togo, Ungarn, Tschechien - mehr fallen mir jetzt nicht ein."

So sah der Kindergarten Sankt Bernhard früher aus. (Foto: Pfarrei)

Religion oder Hautfarbe sind hier bedeutungslos. "Wenn das eine Rolle spielt, dann kommt das von außen", berichtet Waidhauser-Huber. "Wenn das eine Kind dem anderen sympathisch ist, dann wird zusammen gespielt." Kind ist Kind, sagt sie und ist sich sicher, dass die Kinder ihr Leben lang von dieser Interkulturalität und dem Zusammentreffen verschiedener Nationalitäten profitieren. Unabhängig von sprachlichen Defiziten oder variierender Förderung im Elternhaus, verfolgen die Verantwortlichen im Kindergarten Sankt Bernhard das Ziel, die Kinder, die bald eingeschult werden, auf ein einigermaßen gleichmäßiges Level zu bringen.

Unter den insgesamt vier Gruppen gibt es auch eine für Kinder, die eine Behinderung haben, von einer bedroht oder chronisch krank sind. Diese Inklusionsgruppe wird neben Erziehern und Pflegern auch von einer Fachkraft für Inklusion und einer Pädagogin für Heilkunde betreut. Für ein Kind in dieser Gruppe werden drei Kindergartenplätze gerechnet - die Betreuung und Förderung könnte sonst nicht gewährleistet werden.

Ulrike Waidhauser-Huber, die von einem ehemaligen Kindergartenkind, das die Einrichtung besucht hat, mit den Worten "Das ist die Chefin - die hat Stiefel und ein Büro" beschrieben wurde, hat in diesem Bereich bereits viel Erfahrung vorzuweisen. Bevor sie Leiterin im Kindergarten Sankt Bernhard wurde, hatte sie in einer Einrichtung gearbeitet, die auf Inklusion spezialisiert war.

Die Einrichtung wurde modernisiert und ist mit vier Gruppen und hundert Kindern voll belegt. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Am Sonntag, 17. Januar, beginnt um 10.30 Uhr ein Gottesdienst in der Pfarrkirche Sankt Bernhard. Im Anschluss haben Eltern und Kinder beim Tag der offenen Tür von 12 bis 16 Uhr die Möglichkeit, sich den Kindergarten anzusehen - dazu gehören Gruppenzimmer, Turnsaal, Musikzimmer, Küche und Garten. Eltern können sich informieren und ihre Kinder für das kommende Kindergartenjahr anmelden. Für die Kinder gibt es Spiele und ein Kasperltheater . Für Speisen und Getränke ist gesorgt.

© SZ vom 16.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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