Fürstenfeldbruck:Semmel seit 200 Jahren in Familienbesitz

Lesezeit: 2 min

Hart, porös und klein ist die Semmel, die schon 200 Jahre überdauert hat: Christian Lerf und das Erbstück. (Foto: Günther REger)

Sie wurde mit Kalk und Sand gestreckt und war 1817 vier Pfennige wert. Seitdem wurde die wohl älteste Semmel Bayerns von Generation zu Generation weitergegeben.

Von Verena Niepel, Fürstenfeldbruck

Klein und rund, als könnte man sie auf einmal in den Mund stecken: Die 200 Jahre alte Semmel, die Christian Lerf vorsichtig aus einer schwarzen, eleganten Kaffeedose holt, hat nur noch die Größe einer Praline, misst nicht mehr als fünf Zentimeter. Genießbar ist das stark zusammen geschrumpfte Gebäckstück auch nicht mehr. Auf der Unterseite steht in schwarzer Schrift das Jahr seiner Entstehung: 1817. Die wohl älteste Semmel Bayerns wurde seitdem von Generation zu Generation weitergegeben.

Dass sich das Gebäck bis heute gehalten hat, liegt vermutlich an dem Butterbrotpapier, in dem die Semmel behutsam eingewickelt ist. Auf den ersten Blick sieht sie deswegen auch noch recht genießbar aus. Bei genauerer Betrachtung mutet sie eher an wie ein Stück Plastik. Hart, blass, porös, etwas gräulich und sehr leicht. Sie riecht etwas nach Erde.

"Wir haben sie bei meiner Großmutter im Nachlass gefunden, als wir aufgeräumt haben", erzählt der künftige Semmel-Erbe. Momentan ist die Sternsemmel noch in Besitz der 73-Jahre alten Mutter des Vermögensberaters. Sie stellt das gute Stück voller Stolz in einer Vitrine aus. Als Nachweis dient ein der Semmel beigelegter Zettel. Darauf stehen in verblasster, lila Sütterlin-Schrift das Jahr, in dem sie gebacken wurde, die Erbfolge und der Preis. Vier Pfennige war sie 1817 wert, mit der Inflationsrate von damals umgerechnet entspräche das heutzutage etwa vierzig Euro, doch "das ist an den Haaren herbei gezogen", sagt Christian Lerf. In jener Zeit habe wegen der Inflation alles hohe Preise gehabt und angesichts der Lebensmittelknappheit 1817 sei die Semmel äußerst wertvoll gewesen. Der Bankfachwirt hat sich mit der Geschichte der Semmel ausgiebig befasst.

In dem Jahr, als die Semmel von Josef Werndl, einem Vorfahren des 51-Jährigen, gebacken wurde, herrschte große Not. Auf der indonesischen Insel Sumbawa war 1815 ein Vulkan ausgebrochen und hatte Asche und Lava in die Atmosphäre geschleudert. Dies verursachte schwere Unwetter und einen Temperatursturz, auch in Europa. "Man denkt immer, es geht nur denen in der dritten Welt so schlecht, doch die Natur macht auch nicht immer so mit, wie wir wollen", sagt Lerf. Besonders die Versorgung ländlicher Gebiete waren von dem Klimawandel stark betroffen. Der Urahn, der die Semmel gebacken haben soll, lebte in Tüsslingen, was auch im damaligen Königreich Bayern nur spärlich besiedelt war. Große Gebiete wurden landwirtschaftlich genutzt. Die vielen Bauern in der Gegend litten stark unter den Missernten des "Jahres ohne Sommer", wie das Jahr in den Geschichtsbüchern genannt wird. Die Getreidepreise stiegen und die Menschen mussten Hunger leiden.

Die Semmel, die Josef Werndl in eben jenem Sommer gebacken hat, ist vermutlich das Einzige, das die 200 Jahre überlebte. Laut Christian Lerf wurde die Semmel damals mit Kalk und Sand gebacken. "Das hat man als Streckmittel benutzt, weil Getreide Mangelware war." Auf die "Idee, einmal in die Semmel hineinzubeißen, ist noch niemand gekommen", sagt Christian Lerf. Warum sie aber damals, als die Menschen Hunger litten, nicht gegessen wurde, weiß auch der Erbe des Backwerks nicht.

© SZ vom 03.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Oberlandesgericht München
:Brötchenklau beim NSU-Prozess - Caterer stellt Lieferung ein

Im Nebenraum der Zuschauertribüne im Münchner Oberlandesgericht lagen Snacks und Schokoriegel. Ein Verkauf auf Vertrauensbasis, der aber wohl nicht funktionierte. Tausende Euro fehlen.

Aus dem Gericht von Oliver Das Gupta

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: