Fürstenfeldbruck:Rütteln an den Grundlagen der Zivilisation

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Die aktuelle Ausstellung im Haus 10 beschäftigt sich mit Ordnungssystemen, Zeit und Raum - und stellt sie gekonnt in Frage

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Eine gewisse Ordnung und die Strukturierung von Welt, Gesellschaft und Alltag sind wohl die unerschütterlichsten Grundlagen jeder Zivilisation. Nur da, wo es sich um ein übergeordnetes System - egal wie primitiv oder ausgereift- handelt, ist ein geregeltes Beisammensein mit zumindest im Ansatz verlässlichen Abläufen möglich. Kein Wunder, dass dieses Ordnungssysteme seit jeher Künstler und Philosophen beschäftigen. Nur wer die zugrunde liegende Ordnung erklären kann und versteht, kann sie in der Folge ändern oder einfach nur darstellen. Die aktuelle Ausstellung im Haus 10 beschäftigt sich mit genau diesem Thema: Die Darstellung von bestimmten Raum-und-Zeit-Systemen. Die beiden ausstellenden Künstler, Sabine Schellhorn aus Bremen und Michael Lukas aus München, bedienen sich dabei ganz unterschiedlicher Ansätze, die sich am Ende doch wieder zusammenfügen und einander ergänzen.

Lukas arbeitet in seinen gezeigten Werken vor allem mit Karten und der Kartografierung von Landschaften. Am bildhafsten zeigt das seine Installation "Triangulation der Sehnsucht". Während einer Zugfahrt von München nach Bremen hat er dafür aus dem Waggon die Landschaft fotografiert. Dafür hat er den Panoramamodus seiner Digital-Kamera bis zum äußersten strapaziert. Durch die schnelle Bewegung kommt die Technik der Realität nicht mehr hinterher, alles was der Apparat nicht festhalten kann, fehlt oder wird technisch durch Berechnungen automatisch ergänzt. Es entsteht ein Abbildung, die mit der Umwelt nur noch auszugsweise zu tun hat. Das erkennt der Betrachter nur beim genauen Studium der drei länglichen Bildkästen: Hier ist ein Strommast in der Mitte abgeschnitten, da ist ein Wolkenverlauf einfach kopiert und unnatürlich in die Länge gezogen worden. Je näher die Objekte der Kamera sind, desto fragmentarischer und verzerrter wird die Darstellung. Schon dieses Kunstwerk macht deutlich, dass jede Darstellung der Umwelt, sei es in Karten, Fotos oder Gemälden, immer etwas vom Macher manipuliertes ist. Gezeigt wird nicht die Realität, sondern das was der Mensch oder die Maschine wahrnimmt.

Reale Strukturen der Verläufe von Weser und Amper hat Sabine Schellhorn zu einem dann unnatürlichen Gesamtwerk verschmolzen. (Foto: Günther Reger)

Ähnlich verhält es sich mit Lukas' Landschaftsgemälden. Ein Werk zeigt ein großes Bergpanorama, in dem die Berge wie in einer Computersimulation durch kleine Dreiecke aufgebaut werden. Das Gezeigte ist kein flüssiges Ganzes mehr, sondern die Zusammensetzung einzelner kleiner Strukturen. Den Einfluss des Menschen auf die Natur stellt Lukas in diesem Bild durch Architekturruinen dar.

Mit der Struktur der Natur setzen sich die Werke von Sabine Schellhorn auseinander. Es sind vor allem Flussläufe und andere Gewässerformen, die sie im Haus 10 zeigt. Gleich am Eingang zeigt der Filzschnitt "Wesamper" ihre Arbeitsweise. Aus realen Strukturen vom Weser und Amper hat sie ein dann "unnatürliches" Werk geschaffen, weil das, was es zeigt so in der Realität nicht vorkommt. Die Weser entspringt bei ihr aus der Amper, aus einem Weserdelta fließt ein Amperarm. Auch die Proportionen spiegeln nicht die natürliche Realität wider, sondern das ästhetische Empfinden der Künstlerin.

Interessant ist auch Schellhorns jüngstes Werk, das - korrespondierend zu Lukas' Installation - auf der Zugfahrt von Bremerhaven nach Fürstenfeldbruck entsanden ist. Für "HBFFB" hat sie während der kompletten Fahrt eine Landschaftslinie auf eine Kassenbon-Rolle gezeichnet. Das Ergebnis ist eine etwa 40 Meter lange Linie, die den Landschaftsverlauf von Bremerhaven nach Fürstenfeldbruck zeigt. Natürlich wieder überhaupt nicht real, sondern so, wie es die Künstlerin wahrgenommen hat.

Eine Zugfahrt von München nach Bremen hat Michael Lukas mit seiner Digitalkamera in Panoramaaufnahmen festgehalten - mit einem erstaunlichen Ergebnis. (Foto: Günther Reger)

Die Ausstellung schafft es also mit ihren Beispielen auf überzeugende und hochästhetische Weise, die selbstverständlich geglaubte Deutungshoheit gegebener Ordnungssysteme in Frage zu stellen. Das ist hochspannend und überaus erfrischend - nicht nur für Kunstfreunde ein absoluter Pflichttermin.

Ausstellung "zeit:zonen" im Haus 10, Vernissage an diesem Freitag von 19.30 Uhr an, danach zu sehen bis zum 18. September.

© SZ vom 02.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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