Fürstenfeldbruck:Plädoyer für mehr Unterstützung

Lesezeit: 3 min

Im Jobcenter kommen Politiker und Fachleute bei einem Podiumsgespräch zu dem Schluss, dass Menschen, die lange ohne Arbeit sind, eine bessere Begleitung benötigen

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Der Landkreis Fürstenfeldbruck boomt. Viele Menschen wollen dorthin ziehen, in den Speckgürtel von München, wo es viele Arbeitsplätze gibt. Die Arbeitslosigkeit im Landkreis ist niedrig, sie liegt den neuesten Arbeitsmarktzahlen zufolge bei 2,5 Prozent. Doch die guten Zahlen nutzen manchen Menschen nichts, etwa jenen, die trotz guter Konjunktur seit Jahren keinen Job mehr finden. Wie man das Phänomen Langzeitarbeitslosigkeit überwinden und die Situation der Betroffenen verbessern kann, darüber diskutierte ein hochkarätig besetztes Podium bei einer internen Veranstaltung im Fürstenfeldbrucker Jobcenter.

Das Jobcenter meldet einen leichten Rückgang der Arbeitslosenzahlen. (Foto: Voxbrunner Carmen)

Die üblichen Instrumente, mit denen Arbeitsvermittler Langzeitarbeitslose in Jobs bringen wollen, funktionieren bei vielen Betroffenen nicht, darüber sind sich die Podiumsteilnehmer einig. Und dass "Algorithmen 35 Prozent aller Arbeitsplätze verändern werden, dass aber viele Menschen bei den Anforderungen nicht mehr mitkommen", wie Claudia Baubkus sagt, dürfte die Sorgen noch verstärken. Baubkus ist als Leiterin des Jobcenters Fürstenfeldbruck die Gastgeberin an diesem Tag. Das Jobcenter wurde als Zusammenschluss der Arbeitsagentur und des Landkreises im Zuge der Hartz-IV-Reformen vor mehr als zehn Jahren gegründet und kümmert sich seither um die Arbeitslosengeld-II-Bezieher, also jene Menschen, die nach einem Jahr ohne Job kein vom ehemaligen Gehalt abhängiges Arbeitslosengeld mehr beziehen.

(V.l.) Moderator Markus Wachinger, Ralf Holtzwart, Thomas Karmasin, Raimund Becker, Claudia Baubkus, Gerda Hasselfeldt und Michael Schankweiler. (Foto: Sabine Truderung)

Arbeitslosigkeit werde in Deutschland aus historischen Gründen stärker als in anderen Ländern als ein "Trauma" wahrgenommen, wirft Hans Maier ein, der ehemalige bayerische Kultusminister, der als Gast anwesend ist. Das Fürstenfeldbrucker Jobcenter ist aktuell für 1105 Arbeitslose zuständig. Davon betroffen sind insgesamt 3700 Familien. Bedarfsgemeinschaften werden sie im Verwaltungsdeutsch genannt. 406 Personen, etwa ähnlich viele Männer wie Frauen, gelten als Langzeitarbeitslose, davon ist fast die Hälfte unter 25 Jahre. Um deren Schicksal geht es den Diskutanten und deshalb stellt Moderatorin Barbara Maier, Betriebsakquisiteurin im Jobcenter, gleich zu Beginn die Frage, wie man Langzeitarbeitslosigkeit denn abschaffen könne. "Ein Patentrezept gibt es nicht, jeder Fall ist anders", betont die ehemalige CSU-Bundestagsabgeordnete Gerda Hasselfeldt, die als neue Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (BRK) eingeladen ist und die vor ihrer politschen Laufbahn zwölf Jahre lang Leiterin der Berufsberatung in Deggendorf war. Sie hält "maßgeschneiderte Maßnahmen" für die einzelnen Betroffenen für notwendig. Es ist anschließend viel von individueller Betreuung die Rede, Fürstenfeldbrucks Landrat Thomas Karmasin (CSU) gibt noch der Hoffnung Ausdruck, dies möge alles "möglichst unbürokratisch" ablaufen. "Wir müssen Hartz-IV-Karrieren vermeiden", fordert Ralf Holtzwart, der innerhalb der Bundesagentur für Arbeit (BA) Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Bayern ist. Man müsse frühzeitig gemeinsam mit den Kommunen, dem Land, den Schulen ansetzen.

Warten auf den Job - ein Beispiel

1 / 1
(Foto: N/A)

Die Arbeitsvermittler kennen Fälle wie jenen von Dirk Kochan. Er findet seit vier Jahren keinen Job, obwohl er sich laufend weiterqualifiziert hat. Der 46-Jährige stammt aus der ehemaligen DDR, wurde dort zum Elektronikfacharbeiter ausgebildet und bildet sich später dann zum Industriemeister und -ausbilder weiter, wie er den Anwesenden bei der Podiumsdiskussion zum Thema Langzeitarbeitslosigkeit im Jobcenter schildert. Einen Ausflug in die Finanzbranche beendet er wieder: "Ich wollte zurück zur Technik." Er erhält einen Job bei einer Zeitarbeitsfirma, durchläuft später eine Auswahl bei einer großen Fluggesellschaft. "An alten Flugzeugen herumschrauben - mein Traumjob", sagt er. Eine Krankheit, die neun Operationen zur Folge hat, stoppt die körperlich schwere Tätigkeit. Seither bewirbt er sich erfolglos. "Ich möchte nicht vom Geld anderer Leute leben", sagt er. "Ich fühle mich als Mensch zweiter Klasse." Im vorigen Oktober bekommt er die Möglichkeit, sich als CAD-Konstrukteur weiterzubilden. Er schließt das Projekt mit Bestnote ab, wie er erzählt. Die Zuhörer im Saal spenden Applaus. "Trotzdem stehe ich heute hier", sagt Kochan und fragt: "Was kann ich denn noch tun?" Warum er fast nur Helferstellen angeboten bekomme, obwohl er zu den Fachkräften gehöre, die Deutschland suche, fragt er sich auch. Landrat Thomas Karmasin fragt ihn, was er denn am liebsten machen würde. "CAD-Konstrukteur", sagt Kochan. Eine körperliche Tätigkeit sei nach den OPs nicht mehr möglich. Das Vermittlungsproblem, vermutet Karmasin, liege in der Vorerkrankung. Er bietet Kochan an, er möge ihm seinen Lebenslauf schicken. Mittlerweile hat Kochan drei Angebote auf Beschäftigung vorliegen.

Die Gruppe der Menschen, die viele Jahre ohne Job sind, ist heterogen, das macht ihre Vermittlung schwierig. Meist kämpfen sie mit verschiedenen Problemen, Vermittlungshemmnisse genannt: zu alt, krank, belastet mit Schulden oder einem Suchtproblem. Manche haben auch noch eine Familie zu versorgen, was sie unflexibler macht, andere trauen sich nach vielen fehlgeschlagenen Bewerbungen nicht mehr viel zu, und auch einen geregelten Tagesablauf verlernen viele mit den Jahren der Arbeitslosigkeit. Die Hartz-IV-Reformen haben Langzeitarbeitslosigkeit nicht abschaffen können. Immerhin: Das Brucker Jobcenter hat über ein sogenanntes ESF-Programm, ein für zwei Jahre gefördertes Projekt des Europäischen Sozialfonds' zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit, 106 Langzeitarbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt gebracht. Baubkus erinnert auch an die drei Förderungen, die das Jobcenter auf den Weg gebracht habe: die "Joblinge", ein Programm, das junge, anerkannte Asylbewerber in Ausbildung bringen möchte, den "Familienstart", der Alleinerziehende und Erziehende auf dem Weg in den Beruf unterstützt, und ein Mentoringprogramm für junge Auszubildende.

Darauf ist man stolz, dafür gibt es sogar Lob von Raimund Becker, einem von drei Vorständen der Bundesagentur für Arbeit (BA), der auf dem Podium sitzt. Claudia Baubkus wünscht sich deshalb mehr Geld für Qualifikationen von Langzeitarbeitslosen sowie dass sich ein Vermittler um weniger Arbeitslose kümmern muss. Auch Michael Schankweiler, Vorsitzender der Geschäftsführung der Arbeitsagentur Weilheim, verbindet den Betreuungsschlüssel mit dem Wunsch, "dass die Vermittler Zeit haben, sich mit den Menschen zu beschäftigen". Notwendig seien "gute, mit Empathie geführte Beratungsgespräche" und auch häufigere Gespräche mit den Betroffenen. Hans-Jürgen Lohe, Geschäftsführer der Arbeitsagentur Fürstenfeldbruck, rät dazu, schon gegen Ende des Arbeitslosengeld-I-Bezugs aktiv zu werden, um die Leute "wachzurütteln". Wichtig nennt er auch, verschiedene Fördermaßnahmen nicht nacheinander abzuwickeln, wie das bislang üblich sei, sondern parallel.

Deshalb brauche man ergänzend "sozialpolitische Instrumente", sagt BA-Vorstand Becker: "Ohne Coaching und Kümmerer funktioniert gar nichts." Becker plädiert für rechtzeitige Eingriffe: "Wir sprechen hier von einem Reparaturbetrieb. Je später wir intervenieren, desto schwieriger. Wir müssen die ganze Energie ganz früh reinsetzen, das ist der Erfolgshebel." Die neue Bundesregierung hat bereits angedeutet, einen "sozialen Arbeitsmarkt" schaffen zu wollen, der dafür sorgen soll, dass Langzeitarbeitslose über Lohnkostenzuschüsse vom Staat in reguläre Jobs gebracht werden - in der freien Wirtschaft, bei Wohlfahrtsverbänden oder in den Kommunen. Wie können diese als öffentliche Arbeitgeber ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden, wird Landrat Thomas Karmasin noch gefragt. Früher, erinnert er sich, habe man Leute, die möglicherweise weniger produktiv waren in ihren Berufen, als kommunaler Arbeitgeber "mitlaufen lassen". Heute, wo Behörden arbeiten müssten wie Wirtschaftsunternehmen, habe man "keine Chance mehr, solche Dinge zu tun". Man bräuchte dafür ein spezielles Arbeitsrecht.

© SZ vom 03.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: