Fürstenfeldbruck:Melancholische Leichtigkeit

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Bewegendes Maskentheater zum Thema Demenz

Von Edith Schmied, Fürstenfeldbruck

Faszination aber auch Betroffenheit sind im Saal spürbar. Schließlich siegt die Begeisterung über das, was nur drei Künstler des spanischen "Kulunka Teatro" in den vergangenen 80 Minuten auf der Bühne im Veranstaltungsforum gezeigt haben. Der kaum enden wollende Applaus ist aber nicht nur Anerkennung für die Leistung der Schauspieler. Er ist auch eine Art von Befreiung mit der sich die Besucher aus der Beklemmung lösen, die das Thema Alzheimer bei ihnen ausgelöst hat.

Wer könnte sich schon der Ernsthaftigkeit und der Wucht dieser Krankheit entziehen. Dennoch verströmt diese Vorstellung einen Zauber, dem man sich gerne hingibt. Das liegt einerseits an herrlich komischen aber auch poetischen Szenen, aber vor allem an dem grandiosen Können der drei Schauspieler. Regisseur Inaki Rikarte lässt die Pantomimen mit ihren überdimensionalen Gesichtsmasken fast übergangslos von einer in die andere Rolle schlüpfen. Insgesamt sind es 15. Fließend wechseln André und dessen Sohn (José Dault, Edu Carcamo) vom Arzt zum verlausten Landstreicher, der sich ständig an allen möglichen und unmöglichen Stellen kratzt, vom Pfarrer zum lässig wippenden Paketpostboten und sogar zur Pflegerin. Parallel zur Musik, als Jingle kommt sie zunächst schmissig, spanisch fröhlich daher, entwickelt sich die Krankheit. Das langsame Tempo zum Zeitpunkt der Diagnose signalisiert den Beginn der Verlorenheit die Dorine allmählich umgibt.

Auch die Art wie Dorine im Laufe der Vorstellung mit ihrem Cello umgeht, symbolisiert die Entwicklung. Zunächst verwendet sie es, um ihren Gatten, den Schriftsteller zu nerven, weil sie das Tippen der Schreibmaschine rasend macht. Ganz altes Ehepaar eben. Später hält sie den Bogen verkehrt rum, sie vergisst schließlich die Noten und bringt nur mehr schrille, durchdringende Töne hervor. Genau so geht es wohl in ihrem Kopf zu. Später verschwindet das Cello ganz von der Bühne. Was bleibt ist der Bogen. Dorine, ganz in ihrer eigenen Welt gefangen, bewegt ihn mechanisch, pantomimisch und schließlich nur mehr in monotonem Klopfen. In orange-rotes Licht getaucht, sitzt Dorine im Sofa, der Erlösung ganz nahe. Die unprätentiöse Darstellung von Garbine Insausti lässt den Gedanken an Kitsch gar nicht erst aufkommen

Herzerfrischend, unterhaltsam und locker sind die Rückblenden. André stolpert eher tollpatschig in die Liaison, Dorine dagegen ist sehr zielstrebig, sie weiß, was sie will und sie schreibt ihm ihre Adresse und die Telefonnummer auf einen kleinen roten Zettel. Der taucht immer wieder auf, erst als Erinnerungsstütze im Meer des Vergessens. Zum Schluss ist er das Einzige, was André von seiner Dorine bleibt. Die Szene, in der beide unter der Decke zueinander kommen, ist ein Beispiel für den leisen Humor, der oft in dem Stück auftaucht. Das Quietschen eines Stofftieres begleitet die rhythmischen Bewegungen. Auch ein scheußlich rot-weißer Pulli, der die übertriebene mütterliche Fürsorge symbolisiert, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Schon als Baby hat sich der Sohn erfolgreich geweigert, das Teil anzuziehen. Schließlich tut er es freiwillig. Stolz präsentiert er ihn seiner Mama am Sarg. Trotz des ernsten Anlasses muss man da als Zuschauer schmunzeln.

André reagiert auf die Diagnose zunächst unwirsch. Er will sie nicht wahrhaben. Erst allmählich fügt er sich in sein Schicksal. Die ursprüngliche Fremdheit und Teilnahmslosigkeit zwischen den alten Eheleuten verändert sich. André findet das richtige Rezept, es ist liebevolle Fürsorge. Von Rückschlägen bleibt er nicht verschont, seine Ungeduld und Wut lässt sich jedoch nachvollziehen. Als er sich wild entschlossen daran macht, die verwüstete Toilette mit Putzeimer und Gummihandschuhen zu putzen, da wird klar, er hat es geschafft.

Einfühlsam hat der Regisseur den Schluss gestaltet und irgendwie versöhnlich. Von Dorine bleiben nur der mit rotem Samt ausgekleidete Cellokasten und ihr Bogen. Und auch nach Andrés Tod geht das Leben weiter. Die nächste Generation ist schon bereit. Eine neue Familie kündigt sich an. Der Sohn, bis dahin ein ewiger Single, gründet mit der Pflegerin eine neue Familie.

© SZ vom 29.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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