Fürstenfeldbruck:Hilfsprojekt statt Naschereien

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Auserwählt: Julia Kammerloher freut sich sehr darüber, das ihr Projektvorschlag im Adventskalender vertreten ist. (Foto: oh)

Die Fürstenfeldbruckerin Julia Kammerloher hat ein Türchen im 24-gute-Taten-Adventskalender ergattert. Damit unterstützt sie eine Organisation in Nicaragua, die Kinder mit Behinderung betreut

Von Maren Jensen, Fürstenfeldbruck

Die Tage bis Weihnachten zählt jeder anders. Vor allem eine Art hat sich in den letzten Jahren zunehmend etabliert: der Adventskalender. Täglich werden tausende bunte Türchen geöffnet, hinter denen sich Süßigkeiten, Bilder oder Lebensweisheiten verstecken. Ein immer breiteres Angebot mit Spielsachen, Kriminalrätseln oder vornehmen Pralinen erstreckt sich im Handel. Seit rund 200 Jahren gehört der Adventskalender zum christlichen Brauchtum. In verschiedensten Formen und Ausprägungen zeigt er die Tage bis Weihnachten an und lässt besonders die Aufregung von Kindern mit jedem Tag steigen.

Seit 2011 sorgt ein neuer Kalender für weihnachtliches Wohlbefinden: der 24-gute-Taten Adventskalender des Regisseurs Sebastian Wehkamp. Statt Süßigkeiten verbergen sich hinter den 24 Türchen ausgewählte Projekte aus weltweit renommierten deutschen Hilfsorganisationen. Von einem Krankentransport für zwei Dorfbewohner in Bangladesch bis hin zu einer ausgewogenen Schulmahlzeit für ein Kind in Uganda - täglich werden Programme in den Bereichen Bildung, Natur, Gesundheit und Versorgung gefördert. Unterstützung erhielten bisher 96 Projekte in 45 Ländern.  Insgesamt wurden 56 000 Menschen medizinisch behandelt, 58 000 Mahlzeiten verteilt, 477 000 Quadratmeter Regenwald unter Schutz gestellt und 650 000 Kilogramm CO₂ eingespart. Der Kalender ist wahlweise für 24, 48 und 96 Euro erhältlich unter www.24gutetaten.de. Je höher der Betrag, desto höher die Spendensumme.

Die gebürtige Bruckerin Julia Kammerloher erfuhr durch einen Freund von der Aktion. Nach ihrem freiwilligen Auslandsjahr in Nicaragua in einer Einrichtung für Kinder mit Behinderung war ihr sofort bewusst, dass dies eine einmalige Chance für sie war. "Ich habe die ganze Nacht an einer Bewerbung gesessen. Ich wollte unbedingt ein Türchen haben, damit mehr Menschen von meinem tollen Projekt erfahren", sagt sie. Elf Monate lang half sie den Menschen in der Einrichtung, indem sie die Künstlerwerkstatt leitete, Krankenhaustermine und Transportmittel organisierte. "In der Regenzeit kamen manchmal nur zehn Leute in die Einrichtung, da die Straßen so aufgeweicht waren, dass sie im Lehm stecken blieben. Außerdem fuhr der Bus nur einmal täglich und das nicht direkt vor der Haustür sondern nach einem fünf Kilometer langen Fußmarsch von Zuhause", berichtet Kammerloher. Keines der drei Monate bis 20 Jahre alten Kinder und Jugendlichen übernachtete in der Einrichtung. "Dafür sind die Kapazitäten nicht da. Sie nahmen trotzdem täglich den schweren Weg auf sich, um eine Therapie zu bekommen. Die medizinischen Standards sind dort einfach ganz anders als hier", sagt sie.

Als die 20-Jährige nach ihrem Freiwilligendienst das erste Mal wieder den überfüllten Kühlschrank in Deutschland öffnet, kann sie zwei Tage lang nichts mehr essen. "Der Kulturschock war in Deutschland viel schlimmer und größer, als in Südamerika. Als ich wieder hier war, konnte ich mich nur schwer wieder mit den Lebensgewohnheiten in Deutschland abfinden", sagt sie. "Trotzdem kann ich mir momentan noch nicht vorstellen, für immer in Nicaragua zu leben. Spätestens nach meinen Studium möchte ich aber meine Freunde und Gastfamilie wieder sehen. Ich vermisse sie alle sehr", sagt sie.

Nach dreimonatiger Prüfung erhielt die Studentin die Nachricht, dass ihr Projekt in den Adventskalender aufgenommen wurde. "Ich konnte es erst gar nicht glauben. Ich bin unglaublich glücklich". Jährlich werden je nach verkaufter Stückzahl zwischen 4000 und 8000 Euro an ein Projekt gespendet. "Mit diesem Geld kann schon so viel in Nicaragua erreicht werden. Meine Kinder könnten mehr und bessere Medikamente erhalten", so Kammerloher. Insgesamt 157 Organisationen haben sich in diesem Jahr auf eines der 24 Türchen beworben. "Ich bin wirklich froh, dass ich die Ehre habe, mit meiner Organisation auserwählt zu sein. Alle Projekte sind etwas Besonderes und kommen Hilfebedürftigen zugute. Außerdem tun wir damit etwas für uns selbst, da wir CO₂ einsparen oder ein Teil des Regenwaldes schützen", sagt die ehemalige Schülerin des Graf-Rasso-Gymnasiums. "Jeden Tag hat der Käufer die Möglichkeit, kleine Geschichten aus anderen Ländern und Kulturen zu lesen und vor allem ein gutes Gewissen zu erlangen", sagt sie.

Als Studienort hat sich die Bruckerin bewusst für Berlin entschieden. "Berlin-Kreuzberg ist die Partnerstadt von San Rafael den Sur. In dieser Stadt habe ich in Nicaragua gearbeitet". Aus technischen Gründen hat sie nur noch wenig Kontakt zu ihren Schützlingen in Nicaragua. "Nur wenige haben dort Internet. Viele können sich das gar nicht leisten. Smartphones hat dort so gut wie niemand", so die Studentin.

Schon in jungen Jahren hat die 20-Jährige angefangen spanisch zu lernen. "Mich hat die Sprache schon immer fasziniert. Obwohl ich sie nicht in der Schule gelernt habe, spreche ich sie jetzt fließend". Besonders gefallen habe ihr die Kultur in Südamerika. "Obwohl die Menschen wenig haben, ist alles viel lebensfroher. Der Tanz und die Musik haben mir auf Anhieb gefallen". Als Kammerloher wieder in Deutschland ankommt, empfindet sie Fürstenfeldbruck als still und kalt. "Das hat sich mittlerweile auch wieder geändert. Aber es ist einfach ein unglaublicher Unterschied zu San Rafael den Sur", sagt sie.

Nach dem Freiwilligendienst in Nicaragua hat die Bruckerin eine ganz andere Sichtweise auf das Leben. "Ich lebe viel bewusster und betrachte alles ganz anders. Ich sehe wie reich wir alle sind, selbst wenn wir hier keine Arbeit haben. Wir können über unsere Zukunft selbst bestimmen und frei wählen was wir machen. Wir haben eine Perspektive im Kontrast zu den Menschen an meinem Arbeitsort, da die wirtschaftliche Lage dort wirklich extrem schwach ist".

Seit drei Monaten ist Kammerloher wieder in Deutschland. Nun studiert sie Jura, um sich auch für Gerechtigkeit in Deutschland einzusetzen.

© SZ vom 28.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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