Fürstenfeldbruck:Gewinnen durch Verzicht

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Fasten reinigt Körper und Geist, heißt es. Deshalb verbinden viele Menschen damit mehr, als nur einige Pfunde abzunehmen und kurz danach wieder anzusetzen. Sich eine Unterbrechung gönnen oder etwas für die Umwelt tun, sind nur einige der Alternativen

Der Tod steht in der Tür und geht, ohne ein Wort zu sagen, durchs Wirtshaus. Die dunkel gekleidete Gestalt geht von Tisch zu Tisch und wo gerade noch ausgelassen gefeiert wurde, kehrt abrupt Totenstille ein. Der Tod sagt nichts und wischt alles, was auf den Tischen steht, herunter. Paul Ernst Rattelmüller, der Experte bayerischen Brauchtums, beschreibt diese Szene vom Kehraus. Überliefert ist dies aus dem Bayerischen Wald. Es heißt nichts anderes, als: Schluss mit Lustig! Carne vale - Fleisch geh'! Und zwar für 40 Tage.

Anfang und Ende dieser Quadragesima markieren die strengen Abstinenztage Aschermittwoch und Karfreitag. Mindestens an diesen beiden Tagen soll ein Christ kein Fleisch essen, heißt es. Auch für das Fasten wurden in den zurückliegenden Jahrhunderten Leitlinien verfasst. Auf die erste bekannte Fastenregel von Burchard von Worms im elften Jahrhundert folgten viele weitere stets vor religiösem Hintergrund, bis sich die Industrie dieser Zeit bemächtigte und sie als Ideal zur Werbung für ihre Diätprodukte nutzte. Doch mit der Fastenzeit sind auch andere Themen verbunden.

Plastikfasten

Plastik ist überall präsent - Lebensmittelverpackungen, Spielsachen, Kosmetik und Bürobedarf, um ein paar Beispiele zu geben, kommen nicht ohne das Material aus. Und es ist kein Geheimnis, dass Plastik der Umwelt erhebliche Schäden zufügt. Mit der Aktion "Plastik Fasten" regen der Bund Naturschutz in Gröbenzell und Die Grünen in Maisach an, in der Fastenzeit auf Plastik zu verzichten. Auf Alternativen umzusteigen, ist weniger kompliziert, als man annimmt. Im Landkreis setzen sich ganzjährig Einrichtungen für einen bewussteren Umgang mit dem Material ein. In einigen Brucker Läden gibt es keine Plastiktüten mehr und ein Verbot von Einwegkaffeebechern ist im Gespräch. Das Agenda-21-Büro bietet für Kindergarten- und Schulkinder regelmäßig einen Nachmittag an, um für einen bewussteren Umgang mit dem Material zu werben. Über einfach umzusetzende Tipps für die sechs Fastenwochen können sich Interessierte unter www.grüne-maisach.de/plastik informieren.

Abnehmen

Das Fasten steht auch im Zeichen der Achtsamkeit. Viele Menschen fasten, um ihren Körper in Form zu bringen und sich von ein paar überschüssigen Kilos zu trennen. "Kaum ist Weihnachten vorbei, klingelt normalerweise schon das Telefon und die Leute wollen einen Kurs zum Thema Diät, Abnehmen und Gesundheit belegen", berichtet Doris Kurz, Diätassistentin in Gräfelfing. So sei es jedenfalls in den vergangenen Jahren immer gewesen. "Doch diesmal bleiben die Nachfragen aus", so Kurz. Nur vereinzeltes Interesse bestehe. Woran das liegen könnte, ist der Expertin unklar. Grund dafür könne die wachsende Sparsamkeit der Menschen sein, gerade in Zeiten, in der viele die globalen politischen Probleme bedrücken. Anderseits seien die Menschen zunehmend immer beschäftigter. "Vielleicht passen den Interessenten einfach auch keine zusätzlichen Termine in den Kalender." Und auch im Fitnessstudio "Joeys Fitness" in Fürstenfeldbruck können keine höheren Besucherzahlen festgestellt werden. Die Sportler kommen während des ganzen Jahres genauso oft wie zur Fastenzeit auch. Spezielle Kurse gibt es also nicht. "Nur die Feiertage bescheren uns ein relativ leeres Studio. Da bleiben die Menschen daheim", erklärt ein Mitarbeiter.

Den Glauben spüren

"Fasten ist selbständig geworden", erklärt Pfarrer Stefan Reimers, Dekan des evangelisch-lutherischen Dekanats Fürstenfeldbruck. Dennoch gebe es nach wie vor eine Menge Menschen, die den Verzicht aus religiöser Überzeugung durchführen. "Es ist ein Weg, den Glauben zu spüren." Die kirchliche Fastenzeit dauert von Aschermittwoch bis Ostersonntag. Früher sei auch der Advent noch eine Fastenzeit gewesen, erinnert sich Wolfgang Huber, Pfarrer des Pfarrverbands Mammendorf. "Fasten war die Vorbereitung auf ein großes Fest. In dieser Zeit verzichtete man auf bestimmte Formen des Essens, vor allem auf Fleisch. Das war in dieser Zeit sehr teuer und die Leute hatten nicht viel." Mittlerweile sei es mehr zu einem innerlichen Aufräumen geworden, einer Probe, ob man noch Herr seiner Gewohnheiten ist. Einen Unterschied zwischen dem katholischen und evangelischen Fasten bestehe nicht, meint Huber. Vor allem die Ausprägung sei anders, sagt Reimers. Die evangelische Kirche hat in jedem Jahr eine Fastenaktion unter dem Motto "Sieben Wochen ohne", in diesem Jahr "Sieben Wochen ohne sofort". Der ursprüngliche Gedanke von Fasten war, sich von dem zu lösen, wovon man sonst eingenommen wird, und sich so für die Botschaft Christus freizumachen, so Reimers. Seiner Meinung nach gehe es mittlerweile darum, sich von dem zu befreien, was nicht gut tut.

Achtsam sein

Weniger Gewicht, weniger Schlacken im Körper, weniger Gifte und ein ausgeglichenes Basen-Säuren-Verhältnis - das können die Ziele eines vernünftigen und geplanten Fastens sein. Doch wie geht es weiter nach einer Woche, wie ist die Erkenntnis nach der Leere? Christine Huber, die in Puchheim Kurse für Fastenwillige gibt, sagt, dass sich die Einstellung der Menschen nach einer Fastenkur zu allem ändern kann. Vorrangig natürlich zum Essen. "Die Produkte erfahren wieder mehr Wertschätzung", die Menschen äßen erst dann, wenn sie wirklich Hunger hätten. Es zeige sich erst im Alltag, ob der gedankliche Prozess der inneren Reinigung sich nachhaltig auswirke. Denn nur auf etwas zu verzichten für sechs Wochen, das sieht die Agrarbetriebswirtin, Ernährungsberaterin und Veranstalterin von Kräuterkochkursen am Kreuthof in Puchheim-Ort als zu wenig an. Sie berät die Fastenden schon in der Zeit vor dem eigentlichen Fasten, während einer Kur und hernach, wenn der Körper wieder langsam auf die neue Ernährung eingestellt wird. Dabei schaut sie überhaupt nicht auf Kalorien oder andere Parameter, denn Fasten kann zwar zur Gewichtsabnahme führen, hat aber vorrangig nichts mit einem Herunterhungern zu tun. Schließlich geht es Christine Huber darum, dass die Fastenden lernen, achtsam mit sich, ihrem Körper und ihren Lebensgewohnheiten umzugehen. "Wir sollten wieder stärker auf unseren Körper hören." Zum Beispiel, wenn es nach einer ersten Portion darum geht, vielleicht noch einen Nachschlag zu holen. "20 Minuten braucht der Körper, bis er sich meldet", sagt Huber. Entweder esse man entsprechend bedächtig oder lege eine Pause ein. Erst dann sei klar, ob man wirklich noch Hunger habe oder es sich nicht doch nur um Appetit, Lust am Essen oder Essen als Ersatzbefriedigung handle.

Sich der Herausforderung stellen

"Fasten" - das Wort ist für die meisten in seiner Bedeutung eng verknüpft mit "Verzicht" und "Entbehrung". Ein nicht immer ganz leichtes Unterfangen, meint der Psychologe und Psychotherapeut Rainer Wagner aus Germering. "Allein das Wort Verzicht verbindet man mit etwas Negativem. Das ist ungleich schwerer zu leisten." Früher hatten der religiöse Aspekt und der Glaube noch einen großen Einfluss. Mittlerweile sei dieser jedoch immer mehr in den Hintergrund getreten, so Wagner. "Die Motivation ist dabei erheblich geringer." Gleichzeitig sei jedoch das Angebot immer weiter gestiegen, was einen Verzicht noch weiter erschwert. "Man hat einen viel leichteren Zugang und die Entscheidung, auf was man verzichtet, ist komplizierter." Fasten dürfe man Wagners Meinung nach nicht als Hindernis sehen, sondern müsse es als persönliche Herausforderung betrachten. "Ich muss es als etwas sehen, das ich will, als eine persönliche Leistung." Diese müsse man sich als klares Ziel vor Augen halten. "Eine Definition wie "weniger essen" ist sehr unklar. Da gibt es zu viele Ausnahmen." Am wirksamsten sei es, auf etwas Bestimmtes zu verzichten. "Man muss sich zu Beispiel sagen: ich werde keinen Alkohol trinken." Das sei ein klar definiertes Ziel, das man verfolgen könne.

Innehalten

Fasten kann nicht nur körperlich, sondern auch im Kopf stattfinden, erklärt Doris Lidl-Doll, katholische Seelsorgerin der Kreisklinik. "Impulsen muss nicht immer gleich nachgeben werden. Man sollte sich eine Unterbrechung gönnen und kurz innehalten." Um diese Idee den Menschen näher zu bringen, veranstaltet die ökumenische Klinikseelsorge die Meditationsreihe "7 Wochen ohne sofort." In jeweils sieben Sitzungen, jeweils mittwochs, beginnend am Aschermittwoch, 1. März, kann man sich im Andachtsraum der Kreisklinik durch Textimpulse und Meditationen eine Auszeit vom Alltag nehmen. "Wir haben auch eine Atemtherapeutin, die Atem- und Körperübungen zeigt", erklärt Lidl-Doll. Mit der Meditationsreihe nimmt man Bezug auf die diesjährige Fastenaktion "7 Wochen ohne" der evangelischen Kirche. "Jede Sitzung steht unter einem Motto", meint Lidl-Doll. Auf der Agenda stehen Themen wie "Nicht sofort lospoltern" oder "Nicht sofort aufgeben." Ziel ist ein "Impulsfasten" im Geist, aber auch der Körper profitiere davon, so Lidl-Doll. "Wir zeigen, dass nicht immer alles schnell gehen muss. Dadurch, dass man nicht jedem Impuls nachgibt, kann man viel wachsamer leben."

Starkes Bier genießen

Fasten nach Buchinger, die Mayo-Diät der Stars oder einfach FdH, friss die Hälfte - diejenigen, die in den nicht mehr ganz 40 Tagen bis Ostern die Fastenzeit mit innerer Einkehr und einer Gewichtsreduzierung verbringen wollen, werden die für manche Genießer beste Saison verpassen. In Bayern wird sie auch die "fünfte Jahreszeit" genannt, die Starkbierzeit. Einst eng mit der Fastenzeit verbunden, ist sie heute quasi eine Aufforderung dazu, eben nicht zu verzichten, sondern sich den Genüssen der Bockbiere hinzugeben. Neuerdings hat auch die Maisacher Brauerei ein Bockbier im Angebot, und auch im Sudkessel der Brauerei in Kaltenberg ist wieder ein "Ritterbock" entstanden. Ein dunkelbraun-rotes, nach überreifen Bananen und Karamellnoten schmeckendes Gebräu, das aus gutem Grund in 0,33-Liter-Flaschen zu haben ist, wie auch der Geschäftsführer der König-Ludwig-Brauerei, Oliver Lentz, bestätigt. "Es ist ein Genussprodukt." Und was für eines: Ein untergäriger Dreifachbock mit einer Stammwürze von 20,8 Prozent und einem Alkoholgehalt von neun Volumenprozent. "Das ist so viel wie ein leichter Sommerwein." Kenner riechen durch den dichten Schaum aus dem Bier Himbeere und Honig heraus, auch im Antrunk schmeckt es angeblich nach Honig, ehe im Nachtrunk das Malzige noch einmal durchscheint. Für Lentz ganz klar: "Das signalisiert Braukompetenz." Ein lokaler Getränkehändler empfiehlt das fünf Monate gelagerte Dunkelbier zu Wildgerichten oder kräftigen Braten. Die Starkbierzeit wird auch gefeiert, und ganz nach dem Dreifachbock auch drei Mal. Los geht es mit einem Starkbierfest am Samstag, 4. März, auf Schloss Kaltenberg, am 11. März gibt es eine Veranstaltung mit Derblecken in Fürstenfeldbruck, und am 17. März in Hohenschwangau.

Fastenbiertrinker erwarten natürlich - vielleicht schon im kommenden Jahr - ein starkes Bier aus der neuen Olchinger Braumanufaktur. Angekündigt hat das Brauer-Duo noch nichts, aber vielleicht schon ein Rezept im Kopf.

© SZ vom 04.03.2017 / ecs Joki SEV KATk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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