Fürstenfeldbruck:Frauensache

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Die Gleichstellungsstelle im Landratsamt war eine der ersten in Bayern. Nun feiert sie ihr 30-jähriges Bestehen - auch mit ein Männern. Mehrere Gäste äußern Unverständnis darüber, dass für diese Aufgabe zehn Wochenstunden genügen müssen

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Dass sich ausgerechnet die Herren der Schöpfung freiwillig hintanstellen und sich in der letzten Reihe niederlassen, ist ungewöhnlich. Doch an diesem Abend lassen sie den Frauen den Vortritt. Es handelt sich um eine kleine Geburtstagsfeier, und die männlichen Besucher machen nicht mal zehn Prozent der Gäste aus. Also machen es sich Frederik Röder, der ansonsten als Sprecher der CSU-Fraktion im Kreistag und als Allinger Bürgermeister in der ersten Reihe steht, sein Kreistagskollege Benjamin Miskowitsch und Wolfgang Kaufmann, Abteilungsleiter Zentraler Service im Landratsamt, gemeinsam ganz hinten im großen Sitzungssaal der Kreisbehörde gemütlich. Da hat es der Sozialdemokrat Martin Eberl besser erwischt, die SPD-Kolleginnen nehmen ihn in ihre Mitte und mit nach vorn in Reihe eins. Etwa 70 überwiegend weibliche Gäste sind gekommen, als die Gleichstellungsstelle im Landratsamt am Montagabend ihr 30-jähriges Bestehen feiert. Es gibt einen kleinen Sektempfang zu Beginn und Kürbissuppe, Auberginen- und Lauchcremeaufstrich am Ende des Festaktes. Auf der Galerie im ersten Stock ist die dazu initiierte Ausstellung "Die Hälfte des Himmels - 99 Frauen und du" von Annette Schiffmann zu sehen. Sie zeigt Frauen in 55 Fotoporträts und 99 Hörinterviews.

Auch der ehemalige Landrat Gottfried Grimm ist unter den Gästen, war in seiner Amtszeit doch Ernestine Stelzer 1986 zur ersten Gleichstellungsbeauftragten im Brucker Landratsamt bestellt worden - als insgesamt erst zweite in Bayern. Zeitungsausschnitte, die an der Wand im großen Sitzungssaal aufgehängt sind, zeugen davon, dass die neue Stelle manchem damals nicht in sein traditionelles Weltbild passte und sie erst einmal kritisch beäugt wurde. Sigrid Wiedmann, seinerzeit Frauenreferentin im Kreistag, erinnert sich daran, dass auch Grimm "nicht unbedingt so begeistert" gewesen sei. Die Gleichstellungsbeauftragte soll, so sieht es ihre Arbeitsbeschreibung vor, mit Vereinen, Ämtern und Organisationen im Landkreis zusammenarbeiten, die sich um frauenspezifische Belange kümmern: Es geht um Themen wie den beruflichen Wiedereinstieg von Frauen nach der Familienarbeit, die Umsetzung des Gewaltschutzgesetzes im Landkreis, geschlechtergerechte Präventionsarbeit, Zusammenarbeit mit Frauennotruf, Frauenhaus und den beiden kommunalen Gleichstellungsstellen in Germering und Gröbenzell. Ihre wichtigste Aufgabe sei, "den Finger in die Wunde zu legen" - im Landratsamt, aber auch außerhalb durch das Aufmerksammachen auf gesellschaftspolitische Themen, sagt Annemarie Fischer, die das Amt der Gleichstellungsbeauftragten seit fünf Jahren innehat. Im Landratsamt herrschten gute Voraussetzungen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, betont sie. Doch sie wünsche sich mehr Frauen in Führungsverantwortung auf der Referatsebene und das Modell, in dem beide Partner 30 Wochenstunden arbeiten und nicht einer Vollzeit und die andere Teilzeit: "Beide Seiten müssen sich trauen, das mehr zu leben."

Seit Jahrzehnten gibt es im Landratsamt eine Gleichstellungsstelle. Das wird gefeiert, etwa mit Landratsstellvertreterin Martina Drechsler (am Pult). (Foto: Carmen Voxbrunner)

Eine Forderung, die auch die Hauptrednerin des Abends teilt. Was politisch erreicht worden sei, müsse im Alltagsleben umgesetzt werden, fordert Marianne Grabrucker: "Es muss langsam normal werden, dass Papa zwei oder drei Jahre zu Hause bleibt. Und es muss normal werden, dass alle mit dem Nachnamen wie Mama oder Oma heißen." Das alles könne nicht die Aufgabe von Gleichstellungsstellen sein, sondern "das müssen wir tun".

Grabrucker war in den Achtzigerjahren die erste Gleichstellungsbeauftragte Bayerns, am Landratsamt Freising. Bis Juni 2013 war sie Vorsitzende Richterin am Bundespatentgericht, sie ist Autorin zahlreicher Bücher, die sich mit der Geschlechterfrage befassen ("Typisch Mädchen", "Vater Staat hat keine Muttersprache"). Der Fortschritt freilich kommt bisweilen zäh daher, und dass es 36 Jahre gedauert hat, bis im Sexualstrafrecht nun endlich der Grundsatz "Nein heißt nein" verankert wurde, kommentiert Grabrucker mit einer gehörigen Portion Ironie: Nach 4000 Jahren Patriarchat sei das "doch wahnsinnig schnell gegangen". In ihrem Überblick über Erreichtes und noch zu Erreichendes bei der Gleichstellung kritisiert sie "Fehlanreize" im Steuer- und Sozialversicherungssystem zu Lasten von Frauen (Ehegattensplitting, Steuerklasse fünf, beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenkasse) und fordert "ein Umdenken bei den Firmen" und eine "umfangreichere und bessere Kinderbetreuung". Fast jede zweite erwerbstätige Frau zwischen 15 und 64 Jahren würde weniger als 32 Wochenstunden arbeiten, bei Müttern seien es sogar 70 Prozent. Das werfe die Frage auf, ob "Teilzeitarbeit nicht weiterhin dem Mann den Rücken frei hält". Auch bei der Namensgebung setzten sich die Männer noch immer durch. 94 Prozent der Paare, die in Fürstenfeldbruck geheiratet hätten, hätten den Namen des Mannes angenommen, zitiert sie Zahlen aus dem Brucker Standesamt. Ein Drittel der Männer würde Elternzeit nehmen, aber nur jeder fünfte Mann länger als die Mindestzeit von zwei Monaten

Dass die Gleichstellungsstelle in Fürstenfeldbruck 30 Jahre nach ihrer Gründung nicht zu den wichtigsten politischen Anliegen zählt, lässt sich auch daran ablesen, dass sich Annemarie Fischer nur zehn Wochenstunden mit dem Thema befassen kann. Der bayerische Durchschnitt liegt immerhin bei 18 Stunden, was fast einer halben Stelle entspricht. Sigrid Wiedmann appelliert deshalb an die anwesende Landratsstellvertreterin Martina Drechsler (CSU), das "etwas aufzustocken", und auch Fischer selbst fordert, dafür eine zusätzliche Stelle zu schaffen. Dafür gibt es Applaus. Kein Wunder, dass in den zehn Wochenarbeitsstunden nicht auch noch Zeit für ein Gleichstellungskonzept bleibt. Seit 1999 wurde keines mehr im Landkreis erstellt, moniert Marianne Grabrucker: "Hier besteht Handlungsbedarf."

Wohl bekomm's! Die amtierende und die seinerzeit erste Gleichstellungsbeauftragte im Landkreis: Annemarie Fischer (links) und Ernestine Stelzer. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Das hätte auch Landrat Thomas Karmasin (CSU) hören sollen. Er war zunächst als einer der Redner eingeplant, dann ereilte ihn eine Einladung aus dem Landtag: Die CSU-Fraktion feierte dort just am Montagabend ihr 70-jähriges Bestehen. Gerade als die Frauen zum Sektempfang zusammen kommen, verlässt Karmasin samt einem Rollkoffer voller Akten sein Büro. Unten im Hof wartet schon sein Fahrer.

© SZ vom 12.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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