Fürstenfeldbruck:Ein bitterer Gang

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Ein Schuldnerberater hilft einem Kunden bei der Neuorganisation der Finanzen. In München sind 110.000 Erwachsene derart überschuldet, dass sie aus eigener Kraft nicht aus ihrer Lage herausfinden. (Foto: Jochen Lübke/dpa)

Mathilde Wiesinger übernimmt Schulden für ihren Mann. 210 000 Euro sind es schließlich, die Privatinsolvenz ist unausweichlich. Und erst nach langem Zögern lässt sie sich helfen

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Mit der Ermordung des ägyptischen Präsidenten nahm das Elend auch für Mathilde Wiesinger ihren Lauf. Ihr Mann, der damals gemeinsam mit zwei Partnern ein erfolgreiches Unternehmen aufgebaut hatte, machte internationale Geschäfte. Auch mit den Ägyptern. Damals - es ging um einen Auftrag in Millionenhöhe, die Produktion war bereits abgeschlossen, die Ware schon an der Landesgrenze angekommen - stoppte die Regierung nach dem Tod ihres Oberhauptes die Transaktion. Es ist wie eine Geschichte aus einem Film, nur das Happy End ließ auf sich warten.

Ihr Mann blieb auf den Kosten sitzen. "Wir hatten gute Geschäftsbeziehungen damals, bis nach Mexiko und Moskau", erzählt Wiesinger, die aus Rücksicht auf ihre Kinder ihren echten Namen nicht nennen will. Ihr Mann habe getan, was er konnte, um die Geschäfte am Laufen zu halten. Dann kamen große Umstellungen auf die Firma zu. Der Anbruch des Internetzeitalters bedeutete einen Einschnitt. Es waren Investitionen nötig. Weil ihr Mann bereits Schulden angehäuft hatte, habe sie für weitere Kredite unterschrieben. In den Achtzigerjahren schließlich konnten mehrere Kunden ihre Rechnungen nicht mehr begleichen. Bald stellte sich heraus, dass einer der Geschäftspartner Geld aus der Firma abgezweigt hatte. Das Geschäft ging rasenden Schrittes den Bach hinunter. 1988 gab es keinen anderen Ausweg mehr als den Konkurs. "Für meinen Mann ist eine Welt zusammengebrochen", sagt die 70-Jährige.

Wiesingers Mann war keiner, der schnell aufgab. Noch im selben Jahr versuchte er einen zweiten Anlauf. Eine weitere Firma, die wegen der Schulden auf den Namen seiner Ehefrau lief. Hätte sie das nicht verhindern müssen? Ihre Kinder haben ihr oft genug ins Gewissen geredet. "Für mich war es selbstverständlich, dass ich unterschrieben habe", sagt sie.

Wenn seine Frau von ihm spricht, dann liegt immer noch Liebe in ihren Worten und Bewunderung. "Er war ein Tausendsassa", sagt sie über ihn und: "Es war eine sehr große Liebe. Ich habe ihm geschworen: in guten und in schlechten Tagen." Das hat nichts mit Verklärung zu tun. Mathilde Wiesinger ist mit Sicherheit keine Frau mehr, die Fakten und Wahrheit ausblendet. "Manchmal schimpfe ich auch heute noch mit ihm", sagt sie. Obwohl ihr Mann schon vor vielen Jahren gestorben ist. Trotzdem bleibt sie fair.

Wenn sie darüber nachdenkt, wie sich die Schulden über Jahre hinweg anhäufen konnten, kommt sie nicht umhin, auch von der Alkoholsucht ihres Mannes zu erzählen. Er hatte schon begonnen zu trinken, als er die erste Firma noch hatte - es war ein schleichender Prozess. Als Geschäftsmann mit Beziehungen nach Russland - seine Frau schmunzelt, es ist so ein Klischee -, da erwarte man schon etwas Trinkfestigkeit. Irgendwann hat er begonnen, daheim eine zweite Flasche Bier oder noch ein Gläschen Wein zu trinken. Dabei blieb es nicht. "Es war schlimm, den langsamen Verfall dieses wunderbaren Mannes mitanzusehen", sagt sie. Die Geschäfte liefen zunehmend schlecht, bald war ihr Mann nicht mehr in der Verfassung, mit Kunden zu sprechen.

"Am Ende bin ich zu den Kunden gegangen und habe verhandelt", sagt Mathilde Wiesinger. Einmal, da habe der Chef eines Unternehmens sie beiseite genommen. "Er hat gesagt: ,Frau Wiesinger, Ihr Mann sollte eine Kur machen.' Da wusste ich, dass es die Kunden wissen."

Es folgten mehrere Entzüge, schließlich die Trennung und die Auflösung des Geschäfts. Es blieben 210 000 Euro Schulden verteilt auf neun Gläubiger. 2002 beantragte Wiesinger die Grundsicherung im Alter, ein bitterer Gang sei das gewesen. "Die Schulden sind wie ein Taifun über mich hereingebrochen", erzählt sie. "Ich habe gedacht, es ist so viel, dass ich es niemals schaffe." Mehr als zehn Jahre sind bereits vergangen, als Wiesinger sich an die Schuldnerberatung wendet. Ihre Krebserkrankung, mehrere Operationen und der langsame Tod ihres Mannes, für den sie auch nach ihrer Trennung immer wieder gesorgt hatte, ließen ihr einfach keine Kraft, früher Hilfe zu suchen.

Als der Schritt endlich getan war, kam die Erleichterung. "Es war so wohltuend. Mir wurde verständlich erklärt, welche Schritte ich tun muss, die Mitarbeiterinnen waren so professionell und menschlich", erzählt sie. Wiesinger legte Ordner an, mit der Unterstützung einer Sozialarbeiterin machte sie Adressen von Gläubigern ausfindig, brachte in Erfahrung, wie hoch die offenen Forderungen sind. Dann habe sie mit Unterstützung der Mitarbeiterinnen der Schuldnerberatung versucht, sich außergerichtlich mit den Gläubigern zu einigen. Bei den minimalen Summen, die sie monatlich bezahlen könnte, war das aussichtslos.

Nun hat Wiesinger die Privatinsolvenz beantragt. Ihre Restschulden werden ihr nach spätestens sechs Jahren erlassen. "Ich würde das Geld gerne zurückzahlen können", sagt Wiesinger. "Das ist mir schon arg", ergänzt sie. Ihr Gewissen plage sie da. Dafür wolle sie jetzt auf andere Weise ein guter Mensch sein. Sie kümmert sich ehrenamtlich um Asylbewerber, auch um ihren kranken Nachbarn, wolle helfen, wo sie könne. Sühne nennt sie das. Sie will der Gesellschaft etwas zurückgeben.

"Jetzt sehe ich alles so klar", sagt sie. Es war nicht immer so. Natürlich habe es auch Vorwürfe von Bekannten gehagelt. "Von euch hätten wir das nie gedacht", sagten manche oder: "Du hast alles gewusst und uns belogen". "Natürlich habe ich gelogen", gibt sie zu. Sie hat versucht, ihren Mann zu schützen, hat sich dabei selbst viel vorgemacht. "Im Spiegel konnte ich meinen Anblick nicht mehr ertragen", erzählt sie. Dazu noch der soziale Abstieg. Der Frau, die es gewohnt war, mit Ministern aus Moskau zu Abend zu essen, bleiben am Ende noch 923 Euro pro Monat.

Wenn sie ihre Geschichte erzählt, ist das bitter. Es hat sie viel Kraft und etliche Jahre gekostet, aber heute gibt es nicht mehr viel, was Wiesinger aus der Ruhe bringen kann "Ich bin eigentlich sehr reich. Meine Kinder und Enkelkinder sind so wertvolle und liebe Menschen", sagt sie. Es sind keine einstudierten Sätze, die nach außen hin eine Stärke vorgaukeln sollen, die es im Inneren nicht gibt. Wiesingers Worte wirken aufrichtig.

Nur manchmal, da tue es weh, sagt sie, wenn sie mit ihrer Enkeltochter über einen Markt spaziere. Dann würde sie ihr so gerne einmal ein Glasperlenkettchen kaufen, eine schöne Kleinigkeit. Es gibt keine Tränen, nur einen offenen Blick von einer Frau, die gelernt hat, stark zu sein.

© SZ vom 27.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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