Fürstenfeldbruck:Digitales Teufelszeug

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Hirnforscher Manfred Spitzer macht die Nutzung von Smartphone und Computer verantwortlich für Entwicklungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen - vor Hunderten Schülern in Fürstenfeld. Einigen Lehrern und Eltern sind die Botschaften zu einseitig und realitätsfern

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Seine Botschaft ist eindeutig: Vor allem Heranwachsende sollten die Finger von Smartphone und Computer lassen. Und wer in jungen Jahren Facebook und andere soziale Medien nutzt oder am PC daddelt, muss schlimme Konsequenzen befürchten: eine im Alter deutlich früher einsetzende Demenz, den Verlust sozialer Kompetenz und Empathie. Und während guten Schülern die Computernutzung kaum schadet, verstärkt sie bei schlechten Schülern den Leistungsabfall. Die steilen Thesen stammen von Hirnforscher Manfred Spitzer, der zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres im vollbesetzten Fürstenfelder Stadtsaal aufgetreten ist - auf Initiative der Kester-Haeusler-Stiftung, die 900 Grund-, Mittel- Realschüler sowie Gymnasiasten aus dem Landkreis eingeladen hat. Einige Lehrer und Eltern nehmen das Plädoyer für den weitgehenden Verzicht skeptisch auf. Manchem sind die Schlussfolgerungen sichtlich zu einseitig, zu kategorisch, zu negativ.

Spitzer ist ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Uniklinik Ulm. Er widmet sich den Schnittstellen von Neurobiologie, Psychologie und Psychiatrie, ist Autor populärwissenschaftlicher Bestseller wie "Digitale Demenz" und hat sich mit Auftritten in TV-Talkshows einen Namen gemacht. Sein rhetorisches Talent stellt er auch in Bruck unter Beweis. Er argumentiert eingängig und offenbar schlüssig und untermauert seine Thesen mit diversen Studien. Kritiker werfen ihm freilich vor, das er diese zu stark in seinem Sinne interpretiert und solche, die seiner Meinung widersprechen, gar nicht erst berücksichtigt. Spitzer bestreitet dies auch in Bruck ausdrücklich: Er habe "tausend Studien" berücksichtigt, "die anderen Studien gibt es nicht!"

Grundsätzliche Botschaft des Wissenschaftlers: Wer möglichst früh möglichst intensiv Herausforderungen annimmt, der erschließt zusätzliche Kapazitäten in seinem Gehirn. Wer zweisprachig aufwächst, ein Musikinstrument erlernt, auf Bäume klettert, mit Freunden Sport treibt, der ist klar im Vorteil gegenüber Gleichaltrigen, die ihre Zeit vor dem Bildschirm verdaddeln - und auf lange Sicht auch erfolgreicher und glücklicher bis ins hohe Alter.

Wenn die Landeshauptstadt München nun 2,3 Millionen Euro in Wlan an Schulen investiere statt beispielsweise lieber mehr Geld für altersgemäße Bildungsprojekte in Kindergärten und Grundschulen, dann ist das für Manfred Spitzer "eine gigantische Verdummungsinvestition". "Was sollen wir denn machen?", fragt eine Mutter in der anschließenden Diskussionsrunde, "sollen wir alles wegschließen?" Spitzer, selbst Vater von sechs Kindern, rät: Playstation und Co gar nicht erst anschaffen, dann muss man auch nichts verbieten. Er räumt ein, dass sich eine maßvolle Nutzung digitaler Medien ab einem Alter von etwa 14 Jahren einigermaßen vertreten lässt, warnt aber vor der "Smartphonesucht", von der in Deutschland acht und in Südkorea bereits 30 Prozent der Jugendlichen betroffen seien. Man dürfe nicht auf sogenannte Medienexperten hören, die im Dienste einer milliardenschweren Industrie stünden. Klingt alles plausibel. Dennoch dringen bei einigen Eltern Zweifel durch, ob man einen maßvollen Einsatz beispielsweise von Whatsapp wirklich unterbinden sollte - schließlich verabreden sich Jugendliche längst darüber in ihrer Freizeit. Wer da nicht mitmacht, ist schnell abgeschnitten vom Freundeskreis. Und manche Eltern haben zudem beobachtet, dass Lernprogramme à la "Mathegym" sehr wohl das Interesse Jugendlicher an elementaren Fächern wie Mathematik wecken können - in diesem Fall nicht zuletzt wegen des motiviereenden Wettkampfcharakters.

Wie sehen die Schulen Spitzers apodiktische Botschaften? Sind sie bereit, ihre Computerräume zu versiegeln und den neumodischen, aber teuflisch wirkenden Medienkram einzumotten? Viscardi-Schulleiter Walter Zellmeier gilt als Pädagoge, der Theorie und Praxis ganz ordentlich unter einen Hut bringen kann und zudem einen sehr guten Draht zu seinen Schülern hat. Auf den Einsatz digitaler Medien im Unterricht will er nicht mehr verzichten. Neben Whiteboards werden in seinem Gymnasium Computer eingesetzt, viele Lehrer bringen ihren Laptop mit. Internet und Software müssten aber den Anspruch erfüllen, beim Lernen wirklich "etwas zu bringen". Zellmeier stimmt Spitzer insofern zu, dass die Schulen "nicht sofort auf jeden Zug aufspringen" sollten und den Einsatz digitaler Medien dosieren müssen. Froh ist der Direktor, dass landesweit Handys im Unterricht abgestellt werden müssen - sofern Lehrkräfte nicht Ausnahmen erlassen, etwa im Fall einer Recherche für ein Referat. Viscardi-Lehrer Markus Kondert, der sich Spitzer angehört hat, setzt ebenfalls auf eine Vermittlung von Medienkompetenz und lehnt strikte Verbote digitaler Medien an Schulen ab. Spitzer habe zwar "im Kern wohl recht", dass für schlechte Schüler der Computereinsatz eher problematisch sein kann, weil diese sich mit selbständigem Arbeiten oft schwer tun und zu sehr auf Google oder Wikipedia vertrauen. Gleichwohl könne man "das Rad nicht zurückdrehen" - ergo nicht pauschal Hard- und Software aus den Schulen verbannen. Ein maßvoller, "eng geführter" Einsatz bleibe an Schulen sinnvoll.

Kester-Haeusler-Vorsitzender Volker Thieler (links), Manfred Spitzer (Mitte) und Jurist Matthias Bender mit Schülern in Fürstenfeld. (Foto: Günther Reger)

Wenn Sportlehrer mit dem Tablet-PC im Turnunterricht Filmsequenzen aufnehmen und Schülern dann Unzulänglichkeiten im Bewegungsablauf veranschaulichen, zählt das zum sinnvollen Einsatz. Und wer im Deutschunterricht Protokolle oder Briefe verfasst, für den ist ein Textverarbeitungsprogramm eine wertvolle Hilfe - mag Spitzer auch recht haben, wenn er darauf pocht, dass sich Unterrichtsstoff in Schule oder Uni besser einprägt, wenn man nicht in die Tastatur eintippt, sondern mitschreibt.

Auf den Computereinsatz verzichten will auch Konrektor Hans-Peter Sang nicht. In seiner Ferdinand-von-Miller-Realschule stehen 70 Computer - auf vier Räume verteilt, und in den meisten Klassenzimmern werden interaktive Whiteboards, also elektronische Tafeln, eingesetzt. Im Zuge des Informatikunterrichts setzen sich Klassen von der sechsten Jahrgangsstufe an mit der Nutzung digitaler Medien auseinander, auch die Schulsozialpädagogin informiert regelmäßig über die Gefahren, die im Internet lauern. Der Einsatz digitaler Medien "gehört zur Lebenswirklichkeit der Kinder", sagt Sangs Kollege, der Mathe- und Physiklehrer Norbert Huber. Statt pauschal zu verbieten, sollten Lehrer lieber auf einen "vernünftigen Umgang mit Medien" und auch auf die Einhaltung des Datenschutzes hinwirken - egal ob in der Schule oder zu Hause.

Eines zumindest hat Spitzer bewirkt: Mancher Schüler ist ins Grübeln gekommen. So wie eine Siebtklässlerin. Sollte der Hirnforscher erreicht haben, dass sie ihr Smartphone künftig häufiger links liegen lässt, dann wäre das schon ein Erfolg.

© SZ vom 16.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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