Fürstenfeldbruck:Die Wiege der Luftwaffe

Lesezeit: 3 min

Ein neuer Sammelband schildert die Geschichte des Brucker Fliegerhorstes und die Traditionspflege der Bundeswehr. Das Themenspektrum reicht von der Gründung über den Zweiten Weltkrieg bis hin zum Olympia-Attentat

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

In ein paar Jahren wird Fürstenfeldbruck einen neuen Stadtteil mit bis zu 5000 Bewohnern bekommen. Das wird die Kommune so verändern wie die Entstehung des Brucker Westens vor einem halben Jahrhundert. Das Quartier entsteht nicht aus dem Nichts, sondern auf dem Fliegerhorst. Damit dessen Geschichte nicht in Vergessenheit gerät, plant die Stadt eine Dokumentation. Im Mai 2014 hatte Stadtarchivar Gerhard Neumeier im Rathaus dazu einen Workshop organisiert. Eingeladen waren Experten, die zum Teil sehr informative und spannende Vorträge hielten.

Die Beiträge sind in einem Sammelband nachzulesen, der vor kurzem erschienen ist. Sie belegen die Qualität des Kolloquiums, das große Themenspektrum, das von der Geschichte des Fliegerhorstes, der Gestaltung und Ausrichtung eines Museums bis hin zur Finanzierung reicht, dazu konträre und kritische Positionen, insgesamt ein gelungener Beitrag zu einem Klärungsprozess, der einige Zeit beanspruchen wird. Die historischen Beiträge spannen einen Bogen von der Gründung des Fliegerhorstes, dem Zweiten Weltkrieg, Fursty als amerikanischer Air Base und der Luftwaffe der Bundesrepublik, das Olympia-Attentat bis zur Abwicklung des militärischen Standortes. Nicht ausgespart werden die braungetönte Traditionspflege sowie die Mentalitätsgeschichte der Luftwaffe.

Etliche Referenten beschäftigen sich mit der NS-Zeit. Das ist unumgänglich, weil der Fliegerhorst in dieser Zeit entstand und davon architektonisch geprägt ist. Die Vorstellung, dass der Umfang der Darstellung einer Epoche sich an der Anzahl der Jahre zu orientieren habe und darum die Zeit der Bundesluftwaffe dominieren müsste, ist abstrus. Nach diesem quantitativen Maßstab wäre das Olympiaattentat, dessen blutiges Ende auf dem Fliegerhorst nur einige Stunden dauerte, allenfalls eine Fußnote wert.

Stadtarchivar Gerhard Neumeier skizziert die Geschichte des Fliegerhorst, der Historiker Paul Hoser untersucht dessen Bedeutung für die Stadt. Er zeigt, dass die Garnison als größter Arbeitgeber mit Hunderten in manchen Zeiten Tausenden von Jobs ganz erheblich zur Entwicklung Brucks beigetragen hat. Er beschäftigt sich auch mit der öffentlichen Wahrnehmung des Standortes, die in den 1950er-Jahren durch Großflugtage und Kunstflugvorführungen aber auch fragwürdige Treffen und Auftritte vormaliger Wehrmachtsgeneräle geprägt wurde. Dazu gehört die Anlage des Luftwaffenehrenmals, bei dessen Grundsteinlegung 1961 Luftwaffeninspekteur Joseph Kammhuber den NS-Vernichtungskrieg in der Legende eines abendländischen Abwehrkampfes seit den Thermophylen aufgehen ließ.

Eine gelungene Einordnung der Anlage des Fliegerhorstes 1935 in den historischen Kontext liefert der Historiker Lutz Budrass von der Ruhruniversität Bochum. Er arbeitet heraus, dass solche Standorte ähnlich wie die Reichsautobahnen vor allem eine repräsentative Funktion hatten, sie waren Prestigeobjekte der Luftwaffe. Sie waren "Stolz der Luftwaffe, Neid des Heeres, Empörung der Partei", wie der schärfste zeitgenössische Kritiker, General Herbert Rieckhoff, erklärte. Rieckhoff rügte diese Fliegerhorste als teure "Luxusbauten", in denen die Soldaten verweichlichen würden.

Für die eigentliche Kriegführung ließ die Wehrmacht von 1936 an sogenannte E-Häfen bauen, einfachere Anlagen über größere Flächen ausgebreitet, leichter zu tarnen und nicht so einfach zu zerstören. Budrass zeigt, dass die Funktion aus der Perspektive der Luftwaffe eine langfristige war: Ein Netz von "Fliegerstädten" sollte entstehen, aus deren Bevölkerung sich der Offiziersnachwuchs rekrutieren würde. Zugleich war der Brucker Fliegerhorst Teil einer Strategie der NS-Führung, militärisch relevante Einrichtungen in einem "Innerdeutschland" zu konzentrieren, etwas ab von den Grenzen. Die Konzentration von Anlagen der Luftwaffe und der Rüstungsindustrie rund um München trug zum Startkapital bei, das die Landeshauptstadt nach dem Krieg zu einer Boomregion werden ließ.

Mit der nationalen und internationalen Bedeutung des Flugplatzes hat sich Oberleutnant Heiner Möllers, Bereichsleiter Medien im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, beschäftigt. In diesem Kontext habe der Standort erst als "Wiege der Luftwaffe" ab 1956/57 eine herausragende Bedeutung bekommen, lautet seine These. Als Luftkriegsschule 4 war der Fliegerhorst allerdings auch Wiege der Luftwaffe von Hitlers Wehrmacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente Fursty als Frontflugplatz im Kalten Krieg und Ausbildungsplatz für amerikanische und dann deutsche Piloten, sowie der Verbündeten in aller Welt. Neumeier weist daraufhin, dass die Ausbildung von Piloten aus faschistischen Staaten wie Portugal und Spanien sowie Pakistan, das mehrere Kriege mit Indien führte, politisch und moralisch fragwürdig war.

Bei den Darstellungen des Historikers Detlef Bald, langjähriger Direktor am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr in München, kann man ins Zweifeln kommen, wie weit der Anspruch der Bundeswehr als Parlamentsarmee trägt. Er zeichnete nach, dass sich die Führung am Standort wenig um den Traditionserlass des Verteidigungsministeriums von 1982 kümmerte, der die Nazi-Wehrmacht als Traditionsgeber ausschloss, oder gar um den Beschluss des Bundestages, dass Angehörige der Legion Condor nicht mit Straßen- oder Kasernennamen geehrt werden dürfen. Die Legende von der sauberen Wehrmacht und den unbefleckten ewigen soldatischen Tugenden hielt sich hartnäckig, dabei war gerade die Luftwaffe als neue Waffengattung und soziologisch bürgerliches Terrain besonders intensiv mit faschistischer Ideologie durchdrungen. "Ein rechtslastiges Verständnis der Vergangenheit waberte unter der Hand weiter durch die Gänge", schreibt Bald.

Gerhard Neumeier, Martin Kornacher, Herausgeber., Gelebte Geschichte. Der Fliegerhorst und die Stadt Fürstenfeldbruck - Geschichte, Erinnerung und Zukunft, 168 Seiten, Fürstenfeldbruck 2015, 19,90 Euro.

© SZ vom 25.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: