Fürstenfeldbruck:Der schmale Grat zwischen Wahrheit und Fiktion

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Horst Evers nimmt die Besucher in Fürstenfeldbruck auf unterhaltsamste Weise mit durch die Absurditäten seines Alltags

Von Erich C. Setzwein, Fürstenfeldbruck

Was ist wahr, was erfunden? Was ist die Wirklichkeit, ist alles wahr und wirklich, was Horst Evers bei seinem Auftritt zum Abschluss der Reihe "Literatur in Fürstenfeld" erzählt? Hätten seine Zuhörer im ausverkauften kleinen Saal des Veranstaltungsforums diese Fragen nur beantworten können. Evers wäre es sicher recht gewesen, wenn sie sich mit einem klaren "Na und" geäußert hätten. Uneindeutig und uneinsichtig, dass sie gerade eben nur Erfundenes gehört haben könnten.

Horst Evers ist ein großer Erzähler über das "aberwitzige Alltagsuniversum", so der Titel des Abends, das er in Fürstenfeld zwei Stunden ausbreitete. Er schenkt seinem Publikum natürlich reinen Wein ein, wenn er sagt, dass es alles wahre Geschichten seien, die er da vortrage. Aber eben alles Geschichten, die alle nicht so passiert seinen. Es kann auch gar nicht genau so gewesen sein, wenn er von der Einladung zu Freunden berichtet, für die er kein Mitbringsel hat und erst durch einen aberwitzigen SMS-Wechsel, in dem es um als NSA-Beobachtungssatelliten getarnte Topfpflanzen geht, zu einer riesigen Schefflera kommt, die er dann den Gastgebern überreicht. Nie und nimmer, würde man dem Mann mit dem roten Hemd auf die Bühne gerne hinaufrufen. Das aber ist unmöglich, weil Evers-Fans ebenso wie ganz unbedarfte Zuhörer vor lauter Lachen gar nicht mehr zum Rufen kommen.

Was Evers heraushebt aus der durch Funk und Fernsehen bekannten Liga der professionellen Spaßmacher, ist seine Kunst, die Geschichten eskalieren zu lassen, bis sie so absurd erscheinen, dass sie schon fast wieder wahr sein könnten. Dabei, und das hat er auch gar nicht nötig, wird es nie lächerlich, simpel oder zotig. Evers macht den durchaus überzeugenden Eindruck, als komme er in unserer Welt gut zurecht, weil er sich ganz im Sinne Ionescos an das Absurde gewöhnt hat. Vielleicht ist das auch die Antwort auf die Frage, warum jemand Berlin, einer Stadt in der Evers nicht geboren wurde, auf Dauer aushalten und überleben kann. In der Kapitale, an deren Rand ein Großflughafen gebaut wird, dessen Eröffnung erst in Generationen erfolgen dürfte. Deshalb ist der absurd wirkende Gedanke, statt des Flughafens als perfektes Folgeprojekt eine Pyramide zu bauen, gar nicht so abwegig. Den Flughafen BER als Grabmal - das hat schon was.

Es ist ein großer Spaß, Evers durch seinen Alltag zu folgen. Die Texte und Einsprengsel, die kleinen Werkstattberichte, sie alle sind nicht klamaukig, sie regen auch zum Nachdenken an. Wenn man - siehe oben - vor lauter Lachen noch dazu kommt. Eher schon ist die Freude über Geschichten wie die vom Gassi gehen mit einem übergroßen Hund, der eine Mischung aus Pferd und Bär sein könnte, so nachhaltig, dass man bei jeder Erinnerung daran wieder feuchte Augen bekommt. Jeder im Saal weiß ganz, ganz genau, dass das jetzt wieder nicht wahr sein kann. Genauso wie angezweifelt werden müsste, dass in Cottbus ein Mann an einer Ampel stehend Kreuzworträtsel löst und ausruft: "Was nutzt dem Wolf die Freiheit, wenn er das Schaf nicht fressen darf." Das ist an intellektueller Absurdität kaum zu übertreffen.

Der schmale Grenze zwischen Wahrheit und Erfindung ist schnell überschritten, doch die Zuhörer müssen nach zwei heiteren Stunden den Nachhauseweg antreten. Zurück in die Realität, die sie laut Evers geschenkt bekämen. Die Wahrheit hingegen, so viel sagt er noch, "musst Du dir hart erarbeiten".

© SZ vom 03.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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