Fürstenfeldbruck:Den Tod vor Augen

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"Im Tod unterscheidet sich niemand mehr vom anderen": Alfred Riepertinger bei seinem Vortrag. (Foto: Günther Reger)

Ein Präparator erzählt vom Umgang mit Leichen

Von Julia Kiemer, Fürstenfeldbruck

Er hat Rudolph Moshammer oder Franz Josef Strauß so gesehen, wie sie sich selbst nie gesehen haben. Alfred Riepertinger ist Oberpräparator des Instituts für Pathologie am Klinikum Schwabing. Er assistiert bei der Durchführung von Obduktionen und stellt den Leichnam anschließend wieder her. Über 25 000 Tote hat er gewaschen, seziert, zugenäht, geschminkt, einbalsamiert und eingesargt. Über sein Leben mit den Toten hat er ein Buch geschrieben, aus dem er am Vorabend des Ökumenischen Kirchentages in einem Vortrag erzählte. "In einem gewissen Sinne beginnt das Leben erst nach dem Tod", sagte Riepertinger. Eine Autopsie oder Obduktion helfe den Lebenden beispielsweise Wirkungen von Medikamenten zu testen, auch Medizinstudenten könnten an den Toten üben. "Wenn Ärzte nicht an Toten üben, müssen sie an Lebenden üben und das kann zu Toten führen."

Der Präparator bringt es offen auf den Punkt und die Zuhörer lachen herzlich über das Wortspiel zu einem eigentlich so ernsten Thema, das er trotzdem respektvoll behandelt. Dass der 60-Jährige sehr begeistert ist vom Wunderwerk Körper, dem Tod, Leichenwagen und all dem, ist schnell klar. Oft hört er die Frage, wie man nur so einen Beruf ergreifen könne, bei dem man ein Leben lang mit Toten arbeite. Riepertinger hat kein Problem damit, dass er dem Tod ständig begegnet. Schon in jungen Jahren hatte diese Faszination angefangen. "Ich bin oft am Sonntag mit meinem Papa auf dem Friedhof spazieren gegangen, was Schöneres gab es für mich fast gar nicht", erzählte er.

So begann Riepertinger mit 16 Jahren neben seiner Lehrer als Werkzeugmacher bei einem Bestattungsinstitut zu arbeiten. Der Germeringer kann sich noch genau erinnern, wie er das erste Mal in das Gesicht eines Toten blickte. "Der Blick ist so kalt, starr und leer, es fehlt das Charakteristische des Menschen." Nicht umsonst würde man die Augen das Fenster zur Seele nennen, sagte er. Durch den Zivildienst im Schwabinger Krankenhaus kam er dann zu seinem Beruf "Präparator". Mittlerweile hat er in seinen fast 40 Jahren Berufserfahrung Menschen in sämtlichen Stadien gesehen. So grausam es ausgesehen habe, am Ende sei es immer noch ein Mensch. Abgebrüht sei er nicht, und das sei auch wichtig, sonst könne man nicht respektvoll mit den "Patienten" umgehen. In all den Jahren hatte er auch einige Prominente vor sich auf dem Tisch liegen. Als er Franz Josef Strauß, ein so bekanntes Gesicht, vor sich hatte, wurde ihm klar, dass im Tod alle gleich sind. "Da unterscheidet sich niemand mehr vom anderen, Geld oder Macht spielt keine Rolle mehr". So ernst der 60-Jährige im einen Moment von dieser Erfahrung sprach, fügte er im nächsten hinzu: "Aber ich muss schon sagen, die Einbalsamierung von Strauß war mit Sicherheit mein best bewachter Arbeitsplatz".

Riepertinger meisterte in seinem Vortrag den Grat zwischen Situationskomik, Wortwitz, Ernsthaftigkeit und respektvollem Umgang mit dem Thema, das er so zugänglich, aber auch unverblümt und offen darstellte, perfekt. Als er von tiefergehenden Momenten sprach, wurde er ernst. Das Schlimmste sei, ermordete Kinder vor sich zu haben. "Wie man das Vertrauen eines Kindes so missbrauchen kann, ist unverständlich, da ist man unglaublich wütend auf die Täter." Doch trotz der Wut im Bauch müsse man professionell bleiben, sagte Riepertinger. Es gehe darum, Leichname so herzurichten, dass sich die Angehörigen sich würdig verabschieden könnten. Der Tod werde oft verdrängt, daher sei der Umgang mit ihm auch so schwer. Lasse man ihn ins Leben, dann ist er auch nichts Schlimmes.

© SZ vom 19.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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