Fürstenfeldbruck:Das Einfamilienhaus hat ausgedient

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Der Zuzug in die Region stellt die Kommunen vor schwierige Aufgaben. Wie diese bewältigt werden können, das wollen Kommunalpolitiker und Planer mit Bürgern diskutieren. Ein Ergebnis wird wohl sein: Gebäude mit mehreren Geschossen werden bevorzugt

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Alle 23 Kommunen im Landkreis stehen vor der gleichen Herausforderung: Wie sollen sich die Gemeinden angesichts des Mangels an neuem Bauland noch entwickeln? Vor allem lautet die Frage: Wie sollen Planer und Kommunalpolitiker zusätzlichen Wohnraum schaffen und damit sowohl auf die Wünsche der Ortsansässigen als auch auf den Siedlungsdruck infolge von Zuwanderung in die Region reagieren, ohne die in Jahrzehnten gewachsenen Strukturen sowie die eigene Identität und Lebensqualität aufzugeben?

Antworten auf solche Fragen erhoffen sich Landrat Thomas Karmasin (CSU) und 16 Städte und Gemeinden im Landkreis nicht mehr länger davon, dass jede Kommune wie gehabt stur eigene Wege geht. In einem interkommunalen Projekt, der Struktur- und Potenzialanalyse für den Landkreis, wird erstmals versucht, gemeinsame Entwicklungsziele zu definieren und daraus einen Handlungsleitfaden abzuleiten. Also ein abgestimmtes, verbindliches Instrument für Kommunalpolitiker, wie es der Architekt und Stadtplaner Andreas Garkisch vom Münchner Büro 03 Architekten bei einer Pressekonferenz im Landratsamt formulierte. Sein Büro begleitet zusammen mit der Stadtplanerin Doris Zoller vom Büro Ernst Basler und Partner sowie Alain Thierstein vom Lehrstuhl für Raumentwicklung an der TU München die Strukturanalyse fachlich.

Obwohl die Diskussion, auch die mit den Bürgern, noch nicht abgeschlossen ist, stehen für den Emmeringer Bürgermeister Michael Schanderl, der auch Kreisvorsitzender des Gemeindetags ist, erste Eckpunkte fest, die die weitere Diskussion über den Handlungsleitfaden bestimmen werden. So dürfte sich in den kommenden Jahren nach Schanderls Einschätzung das Wohnen im Landkreis gravierend verändern. Und zwar in einer Weise, die schleichend schon längst begonnen hat und die vor allem viele Alteingesessene als Zumutung empfinden könnten. Laut Schanderl geht es um eine grundlegende Änderung der Vorstellung vom Wohnen und Leben zwischen Germering und Türkenfeld. Das für Generationen gültige Idealbild vom Leben im Einfamilien- oder Reihenhaus mit eigenem Garten ist zumindest für Neubauten nicht mehr länger haltbar.

Oder an der sogenannten Wohnschlange, die gerade in der Kurt-Schumacher-Straße in Fürstenfeldbruck entsteht. (Foto: Günther Reger)

Im Gegensatz hierzu ist nach wie vor das Denken vieler Kommunalpolitiker und Erwerber von Wohneigentum immer noch auf das Einzelhaus mit einem Erdgeschoss, inzwischen einem Stockwerk darüber und einem ausgebauten Dach fixiert. Das belegen die Statistiken des Regionalen Planungsverbands Äußerer Wirtschaftsraum München. Im Jahr 2013 - neuere Zahlen liegen nicht vor - befanden sich 47 315 der damals insgesamt 94 407 Wohnungen im Landkreis in Ein- und Zweifamilienhäusern. Wobei Gebäude mit nur einer Wohnung mit Abstand weit vorne liegen, zu dieser Kategorie gehören insgesamt 35 457 Häuser. Zwei Wohnungen haben insgesamt nicht ganz 6000 Gebäude. Rund 47 000 Wohnungen, also in etwa die Hälfte, entfallen auf Häuser mit drei und mehr Wohnungen.

Da die Zukunftsaufgaben mit einer solchen Vorstellung vom Wohnen nicht mehr zu bewältigen sind, kommen Planer sowie die Mitglieder der Gemeinde- und Stadträte - letztere haben die Planungshoheit, weil sie in Bebauungsplänen die Zahl der zugelassenen Stockwerke festlegen - nicht mehr um ein verdichtetes Bauen herum. Laut Schanderl geht es um ein Stockwerk mehr, ohne einen Verlust von Lebensqualität. Das heißt, in Zukunft sollen zwei statt ein Vollgeschoss über dem Erdgeschoss zugelassen werden. Das bringt ohne zusätzlichen Flächenverbrauch rund ein Drittel mehr Wohnraum und macht den Traum vom Eigenheim damit auch etwas billiger. Dem Emmeringer Bürgermeister ist bewusst, dass es ein schwerer, auch schmerzhafter Prozess sein wird, sich von den alten Denkmustern zu verabschieden. Neue Vorstellungen vom Bauen seien "nicht des Teufels" sagt er, sie müssten nur noch mehr zur Selbstverständlichkeit werden.

Laut Kreisbaudirektorin Reinlinde Leitz gibt es gute Beispiele für gelungenes verdichtetes Bauen. Deshalb hält es Leitz für wichtig, den Menschen zu veranschaulichen, wie reizvoll es sein kann, trotz eines geringeren Flächenverbrauchs sehr attraktive Wohnquartiere zu schaffen. Das kann gelingen, wenn die Freiräume, also das Grün zwischen den Häusern, als Naherholungsflächen gestaltet und damit auch allgemein zugänglich gemacht werden. Weshalb Städteplaner wie Andreas Garkisch im städtischen Ballungsraum der Ostgemeinden auch die landwirtschaftlich genutzten Flächen zwischen den Großkommunen zu Parks umdefinieren und als Erholungsraum in die Planungen einbeziehen will.

In den Städten ist der Trend hin zu höheren Häusern schon zu erkennen, so an den neuen Gebäuden in der Steinbergstraße in Germering. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Werden weniger Flächen zubetoniert, stehen für die Allgemeinheit auch mehr Grünbereiche zur Verfügung. Geschehen soll das durch die Verknüpfung von Naturschutz, Naherholung und Landwirtschaft. Als zu erhalten, restriktiv zu schützen und zu bewahren gelten die Auenlandschaften an Amper und Maisach, die Amperleiten sowie der Voralpenraum im Südwesten des Landkreises.

Ob Bürgermeister Schanderl mit seiner These vom Ende der klassischen Einfamilienhaussiedlung im Landkreis recht hat, wird sich an diesem Mittwoch, 20. April, zeigen. Dann sind Interessierte und Bürger dazu aufgefordert, von 19 Uhr an bei einem offenen Workshop in der Aula des Graf-Rasso-Gymnasiums in Fürstenfeldbruck ihre Ideen und Vorstellungen in die Diskussion über den künftigen Handlungsleitfaden einzubringen. Ein Umdenken hat bereits begonnen. So wird in Germering überlegt, ein Bürohochhaus und höhere Wohnblöcke zu bauen, nach einer Pause von Jahrzehnten denkt man in Puchheim über ein weiteres Wohnhochhaus nach. In klassischen Gartenstadt-Gemeinden wie Gröbenzell und Eichenau werden immer mehr Einfamilien-Siedlungshäuser abgerissen, um Platz zu schaffen für Doppel- und Mehrfamilien- sowie Reihenhäuser.

Das Konzept der Struktur- und Potenzialanalyse ist jedoch nicht nur aufs Bauen und die Einbeziehung der Freiflächen im Umfeld der Wohngebiete beschränkt. Es geht auch um stadtverträgliche neue Verkehrskonzepte. Ebenso wie die Fixierung aufs Einfamilienhaus als Auslaufmodell gilt, wird auch das Auto als Hauptfortbewegungsmittel in Frage gestellt. Laut Stadtplaner Garkisch sollen stadtraum-verträgliche Verkehrsmodelle entwickelt werden. So könnte ein Fahrradplan die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das Zweirad für mehr Menschen zum alltäglichen Fortbewegungsmittel wird. Obwohl die große Mehrheit der Landkreisbewohner mit dem Fahrrad nicht einmal zehn Minuten benötigt, um zur nächsten S-Bahnstation zu gelangen, ziehen laut dem Stadtplaner noch zu viele das Auto vor. Stehen Fahrradschnellwege zur Verfügung, kann das Rad durchaus mit dem Auto konkurrieren. Eine wichtige Rolle in dem neuen Mobilitätskonzept spielen Tangentialen zwischen den S-Bahnlinien und Expressbusse.

Eine Stadtbahn oder Straßenbahn mit einem urbanen Charakter von Fürstenfeld über den Fliegerhorst nach Gernlinden gilt als unverzichtbar für die Entwicklung des Fliegerhorstes in Fürstenfeldbruck nach dem Abzug der Luftwaffe. Eine solche Straßenbahntangentiale kann es jedoch nur geben, wenn die Kommunen die entsprechenden Flächen zur Verfügung stellen.

Bei der Arbeit an der Struktur- und Potenzialanalyse sei ihm erst so richtig klar geworden, welche zentrale Funktion die riesige Fläche der Kaserne für die Entwicklung des Landkreises und damit auch für alle und nicht nur für die Anrainerkommunen habe, versichert Schanderl. Noch etwas ist dem Emmeringer Bürgermeister wichtig. Bei dem künftigen Handlungsleitfaden geht es letztlich auch um die Belange der Pendler, die täglich eineinhalb Stunden und mehr auf dem Weg zur Arbeit in der S-Bahn oder im Auto verbringen. Wer hieran etwas ändern wolle, sollte am Mittwochabend unbedingt mitdiskutieren, sagt der Bürgermeister. Landrat Thomas Karmasin (CSU) misst dem anpeilten interkommunalen Entwicklungskonzept für den Landkreis übrigens oberste Priorität bei. Das Konzept soll bis zum Jahresende fertig sein und rangiert für Karmasin noch vor dem Regional- und Klimaschutzmanagement.

© SZ vom 19.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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