Fürstenfeldbruck:Ausflug ins Zipfelmützenparadies

Lesezeit: 3 min

Ein Sommermärchen: Jahrelang steht ein Männlein mit Laterne in der SZ-Redaktion ganz oben auf dem Regal. Dann darf es den Retter der Zwerge in Landsberied besuchen und sich mit den Kollegen ablichten lassen

Von Stefan Salger

Diese kleine Sommergeschichte handelt vom Namenlosen mit der Zipfelmütze, der sich aufmacht, Freunde zu besuchen. Und von einem Garten Eden für Gartenzwerge in Landsberied. Und von den Herbergseltern Theresia und Peter Hocker.

Jahrein, jahraus verharrt der ungetaufte Protagonist dieser Zeilen ebenso unbeachtet wie bewegungslos ganz oben auf einem Regal der Brucker SZ-Redaktion. Unter ihm sind in dicken Ordnern die Haushalte Fürstenfeldbrucks abgeheftet und die Verwaltungskonvolute der Stadtratssitzungen türmen sich zu abenteuerlichen Stapeln. Sein Blick steht Mitarbeitern in einer Zeitungsredaktion gut zu Gesicht: völlig ausdruckslos, der Neutralität verpflichtet. Er ist leger gekleidet - blaues Hemd, keine Krawatte. Die eine Hand in der Hosentasche, in der anderen - wohl als Reminiszenz an die analogen Glanzzeiten der Zeitungsbranche - eine Laterne.

Die Zwerge haben Salat, Tomaten und Rettiche weggemobbt und die komplette Hälfte des Gartens von Theresia und Peter Hocker erobert. (Foto: Stefan Salger/oh)

Biographische Daten über den Wicht sind kaum bekannt. Gerüchten zufolge war er der Pokal bei einem SZ-internen Fußballturnier. Ein Pokal mit grauem Bart. Seither grübelt er von höherer Warte, während unten die Jahre ins Land ziehen. Nun aber, im August 2017, während sich halb Fürstenfeldbruck nach Mallorca oder Rimini aufgemacht hat, kommt Bewegung ins introvertierte Stillleben. Die Zeit ist reif für eine Zwergenreise, ein Chauffeur steht bereit.

Mit dem Gesellen mit blauer Mütze und Gießkanne fing alles an. (Foto: Stefan Salger/oh)

Gut zehn Minuten später, nach neun Kilometer Wegstrecke, steht er ungerührt auf einem gemauerten Portal zwischen Jägerzaun und Gartentürchen und posiert - mit seinen 40 Zentimetern ein Gigant unter den Gnomen - neben einem winzigen Zipfelmützenmann fürs erste Urlaubsfoto. In etwa so müssen sich seine Kollegen fühlen, die von der "Front de Libération des Nains de Jardin" (FLN, Front zur Befreiung der Gartenzwerge) vorrangig in Europa entführt werden. Deren rechtmäßigen Besitzern wird in der Regel ein Foto zugeschickt, das ihren urlaubenden Zwerg vor dem Eiffelturm, den Niagarafällen oder der New Yorker Hochhauskulisse zeigt. Aus Zwergenperspektive ist auch das Häuschen der Hockers in Landsberied ein stattliches Hochhaus.

Seitdem drängen sich im Garten immer mehr Gnome, darunter auch coole Typen. (Foto: Stefan Salger/oh)

Theresia und Peter Hocker werden etwas später erstaunt feststellen, dass der Namenlose nicht bei ihnen Asyl sucht, sondern nach der Visite wieder sein Regal in der Redaktionsstube erklimmen wird. Eine neue Erfahrung für die beiden. Denn normalerweise ist für die Zwerge hier Endstation. Niemand will mehr weg, und die FLN hat sich im Fürstenfeldbrucker Hinterland noch nicht blicken lassen. Wohin sollten die Gartenzwerge verschwinden? Überall sind sie doch auf dem Rückzug. Längst vorbei die Zeit, als mit ihnen ein Blumentopf zu gewinnen war, als ein Autor wie der Adelshofener Manfred Fock Mitte der Nullerjahre mit Lesungen seiner Gartenzwerg-Trilogie noch durch das Bundesgebiet tourte. Als Menschen zur Germeringer Kleingartenanlage Im Kreuzlinger Feld pilgerten, um dort am Spalier der Zwerge vorbeizuflanieren.

Der SZ-Zwerg lässt schnell ein Beweisfoto seines Ausflugs machen. (Foto: Stefan Salger/oh)

Peter Hocker weiß ein Lied davon zu singen. Jeden Samstag arbeitet er auf dem Moorenweiser Wertstoffhof. Da laufen ihm die Gnome quasi in die Arme. Der "Retter der Zwerge", wie er dort genannt wird, bewahrt seine Schützlinge aus Ton oder Kunststoff vor dem Bauschuttcontainer oder der Fraktion des Brennbaren. Einmal brachte ihm jemand einen mehr als hundert Jahre alten Gartenzwerg. Bei dem Ziehharmonikaspieler blättert die gelbe Farbe und ein kleines Loch zeigt, dass Wespen in der Figur schon mal ein Nest gebaut haben. Das spitzbübische Lachen ist dem Kerl trotzdem nicht vergangen. Um ihn herum bewahren gut 150 Kollegen die Contenance. Sie drängen sich in dem kleinen Garten mittlerweile auf drei Etagen eines Freilichtregals, lugen aus dem Vogelhaus, befinden sich im Nahkampf mit Pflanzen und Blumen, haben Salat, Tomaten und Rettich weggemobbt. Coole Typen mit Sonnenbrille, fleißige Arbeiter mit Harken, Leseratten mit Büchern - die sich auch von Froschkönig, Fuchs und Jäger, die sich offenbar eingeschlichen haben, nicht stören lassen.

Dieses Exemplar ist bereits mehr als hundert Jahre alt. (Foto: Stefan Salger/oh)

Angefangen hat es, als die Tochter der Hockers vor mehr als 40 Jahren bei Schondorf zwei völlig verschlammte Gartenzwerge im Uferdickicht des Ammersees entdeckte. Die wachsende Zwergensippe zog später mit um nach Landsberied. Ab und an stellt jemand Zwerge, derer er überdrüssig geworden ist, vor den Zaun. Dort stand auch schon eine Gruppe Japaner, erzählt Theresia Hocker. Die Gnome lächelten tapfer in die gezückten Kameras.

Einmal dachten die Hockers kurz darüber nach, in die Erweiterung ihres Völkchens zu investieren. An der tschechischen Grenze wurde ein breites Sortiment angeboten. "Die waren uns dann aber zu kitschig", sagt Theresia Hocker. Sie hatten es auch nie nötig, nach Gräfenroda zu fahren. Dort produziert Reinhard Griebel in der bundesweit letzten Manufaktur für Gartenzwerge jährlich 4000 bis 5000 Exemplare und exportiert einen Teil davon gleich in die USA. Griebel verrät, dass Gartenzwerge vorzugsweise Gustav, Fritz oder Herbert heißen.

Nach einer guten Stunde ist der Ausflug des Namenlosen zu Ende. Er steigt artig wieder aufs oberste Regalbrett. Das verdient Anerkennung. Mag er sich auch unbeeindruckt geben - der aufmerksame Beobachter erkennt, dass um Gustavs Mundwinkel ein feines Lächeln spielt.

© SZ vom 12.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: