Eichenau:Heiter bis nachdenklich

Lesezeit: 2 min

Singen, sticheln, scherzen (von links): Stofferl, Karli und Michael Well sowie Gerhart Polt auf der Bühne in der Eichenauer Friesenhalle. (Foto: Günther Reger)

Gerhard Polt liest Oskar Maria Graf und die Well-Brüder spielen dazu auf den verschiedensten Instrumenten. Das Ganze endet wie immer - mit Beifallsstürmen für die Künstler

Von Karl-Wilhelm Götte, Eichenau

Die Well-Brüder marschieren Tuba und Flöte spielend auf die Bühne und bieten den musikalischen Rahmen für Gerhard Polt, der den bayerischen Autor Oskar Maria Graf liest. Wenn Polt Graf liest, füllen sich die Säle. So auch in der Eichenauer Friesenhalle. Etwa 250 Besucher kamen zur Kulturveranstaltung der örtlichen SPD. Die Biermösl Blosn gibt es seit einigen Jahren nicht mehr. Einst feierte sie zusammen mit Gerhard Polt große Erfolge an den Münchner Kammerspielen. Das Zusammenspiel von Polt mit der Well-Familie geht jedoch weiter. Mit den Well-Brüdern Christoph ("Stofferl"), Michael und Karli tritt Polt etwa 50 Mal im Jahr auf.

Dass die Stimmung am Sonntagmorgen so fröhlich und ausgelassen ist, hat mit der Musik und amüsanten Texten der drei Well-Brüder zu tun, aber auch mit genauso heiteren wie nachdenklichen Erzählungen von Oskar Maria Graf, die der Schlierseer Polt überaus gekonnt interpretiert. In Berg am Starnberger See 1894 geboren, begann Graf 1918 mit dem Schreiben. Zwei Jahre zuvor war er als Soldat im ersten Weltkrieg wegen Befehlsverweigerung in eine Irrenanstalt eingewiesen worden. Nach einem kurzen Hungerstreik wurde er aus dem Militärdienst entlassen. "Mit List habe ich mich vom Militär befreit", schreibt Graf später. "Was will ich, wem nütze ich?", fragt er sich selbst verzweifelt. "Ich will nützlich sein", appelliert er an sich selbst. Er beteiligte sich 1918/1919 an den revolutionären Ereignissen in München, trat aber in keine Partei ein. 1933 flüchtete er vor den Nazis nach Österreich, in die Tschechoslowakei und über die Niederlande 1938 in die USA. Bis zu seinem Tod 1967 lebte er in New York. München damaliger Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel bemühte sich um eine Rückkehr Grafs nach Bayern, aber der Schriftsteller war gesundheitlich schon zu sehr angeschlagen gewesen.

Gerhard Polt gelingt eindrucksvoll, den bayerischen und politischen Charakter der Geschichten von Oskar Maria Graf zu vermitteln. Polt imitiert und modelliert in unterschiedlichen Facetten des Bairischen die Festredner bei einer Kriegerdenkmal-Enthüllung im bayerischen Königreich, die Graf erzählt. 1923 war er mit Hitler in München zufällig in einer Imbissstube zusammengetroffen und musste einen nationalistischen und rassistischen Redeschwall über sich ergeben lassen, wie er später aufschreibt. Bezahlen musste Hitler. "Glauben Sie vielleicht, ich höre mir Ihren Quatsch stundenlang kostenlos an?", verhöhnte er Hitler. Polt trifft den eigenartigen Tonfall Hitlers exakt und erinnert dabei an Charlie Chaplin. Höhepunkt des politischen Schreibens Grafs war dessen Aufruf in der Wiener Arbeiterzeitung im Mai 1933: "Verbrennt mich!" Polt lässt, als er den Appell Grafs pointiert vorliest, gerade manchen älteren Besuchern noch einmal den Atem stocken. "Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbande gelangen", forderte Graf damals. "Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie eure Schmach!" 1934 wurden seine Bücher in einer eigens für ihn angesetzten Bücherverbrennung im Innenhof der Münchner Universität von Studenten verbrannt und Graf wurde ausgebürgert.

Mal Harfe, mal Flöte, Gitarre oder Akkordeon: Die drei Well-Brüder wechseln auf der Bühne passend zu ihren Texten ihre Instrumente durch. "Einige haben wir noch im Auto", scherzt Stofferl Well später. Ihm kommt die Umgebung vertraut vor: "In dieser Halle haben wir vor 50 Jahren schon als Kinder gespielt." Zum rhythmischen Klatschen im Saal besingt das Trio eine Kurzfassung der neueren bayerischen Geschichte mit Wiesn-Attentat, Wackersdorf, Waldsterben, bayerischem Papst und "Hoeneß vorbestraft" - immer parallel zum ständig steigenden Bierpreis auf der Wiesn von 2,80 auf 9,80. Neben der Liebe zur bayerischen Heimat, die aus allen Poren ihrer Lieder klingt, verstehen sie ihr Auftreten nach wie vor als politisches Statement. Das Publikum verabschiedet die vier mit Beifallsstürmen.

© SZ vom 30.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: