Der dritte Stolperstein im Landkreis:Zeichen der Erinnerung

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Der Künstler Gunter Demnig verlegt vor dem Grafrather Rathaus einen Stolperstein zum Gedenken an den Zwangsarbeiter Wassyl Zhyhalük. (Foto: Günther Reger)

Der Künstler Gunter Demnig verlegt vor dem Eingang des Rathauses Grafrath eine Bodenplatte zum Gedenken an den ukrainischen Zwangsarbeiter Wassyl Zhhyhalük. Unter den etwa 60 Anwesenden sind auch zwei Nachfahren des Ukrainers. Sie sind dankbar, nun zu wissen, was damals passiert ist

Von Ariane Lindenbach, Grafrath

Um kurz nach neun Uhr- das Glockengeläut von der benachbarten Rasso-Kirche ist verklungen und die Münchner Band Massel Tov beginnt soeben zu spielen - wird der von dunklen Wolken verhangene Himmel etwas heller. "Jetzt kommt sogar die Sonne raus", flüstert eine der etwa 60 Anwesenden ihrer Begleiterin zu. Die Stimmung vor dem Gebäude der Verwaltungsgemeinschaft Grafrath ist gedämpft, fast ein bisschen demütig. Der Kölner Künstler Gunter Demnig wird in dem ausgehobenen Loch auf dem gepflasterten Boden direkt vor dem Eingang in das Gebäude der Verwaltungsgemeinschaft einen Stolperstein zum Gedenken an den ukrainischen Zwangsarbeiter Wassyl Zhyhalük verlegen. Zwei Nachfahren des Ukrainers, der 1945 in einem Außenlager des KZ Flossenbürg mit 19 Jahren ermordet wurde, sind aus ihrer Heimat gekommen. Wie alle Anwesenden sind sie tief bewegt. Ihre Anwesenheit ist auch ein Zeichen der Versöhnung, des Zusammenwachsens von zwei einst verfeindeten Nationen.

Und es ist ein Zeichen für die großartige Arbeit von Simone Schmid. Mehrere Jahre hat die Grafratherin, Jahrgang 1941, geforscht, um das weitere Schicksal des Teenagers Wassyl Zhyhalük herauszubekommen. Sie hat erfahren, dass der junge Mann, der 1942 mit 16 Jahren als landwirtschaftlicher Zwangsarbeiter nach Grafrathgebracht wurde und in der Amper schwimmen lernte, im Dezember 1944 "von einem Tag auf den anderen" in das Konzentrationslager Flossenbürg deportiert wurde, weil ihn einer aus dem Dorf der Beleidigung bezichtigt hat. Simone Schmid erzählt die Geschichte von Unrecht und Grausamkeit, die exemplarisch für so viele Schicksale steht, während Demnig sich vor dem Loch niederkniet und den mit einer Messingplatte präparierten Stolperstein dort einsetzt.

Die Grafratherin schildert, wie Wassyl Zhyhalük am 12. Februar 1945 in Haslach im Kinzigtal ermordet und mit 222 weiteren Opfern in einem Massengrab vor dem Friedhof verscharrt wurde. Im Juli 2014 habe man ihm zum Gedenken im KZ Flossenbürg - zusammen mit einigen weiteren Gefangenen - eine Kerze mit seinem Namen darauf entzündet.

An diesem Mittwochmorgen steht diese Kerze vor Demnig auf dem Boden und brennt. Wassyls Verwandte werden sie mit nach Hause nehmen, wenn sie in einigen Tagen wieder zurück fliegen. Schmid, selbst im Krieg geboren, ist gerührt. Der Stolperstein bekräftige ihr Credo vom "Nie wieder", die Anwesenheit von Wassyls Angehörigen - die nur dank ihres Engagement gefunden wurden und nun zu der Verlegung gekommen sind - empfinde sie als Zeichen der Versöhnung. Nach ihrem letzten Satz, "möge sich der Münchner Stadtrat ein Beispiel nehmen", brandete unter den Anwesenden, darunter auch Landtagsabgeordnete Kathrin Sonnenholzner und Terry Swartzberg, Vorsitzender des Vereins "Stolpersteine für München" langer Applaus auf. In der Landeshauptstadt sind Stolpersteine auf Wunsch der jüdischen Gemeinde und deren Vorsitzenden Charlotte Knobloch verboten.

Während die Musik der Münchner Band Massel Tov wieder einsetzt, löst sich Wassyl Zhyhalüks Neffe aus dem Kreis der Umherstehenden. Bedächtig schreitet er auf den Stolperstein zu, bekreuzigt sich und kniet nieder. Die Hände zum Gebet gefaltet, verweilt er, während die Musik ausklingt. Außer dem Zwitschern der Vögel, dem Rauschen des Verkehrs und gelegentlichen Schniefern aus den Reihen der Anwesenden ist alles still.

Als sich der Neffe wieder seinem Sohn und der daneben stehenden Simone Schmid nähert, fallen sich die Drei spontan für einen Moment in die Arme. Dann tritt der Sohn des Neffen vor die Anwesenden. Übersetzt von einer befreundeten Ukrainerin, die nun in Inning lebt, bedankt er sich bei Schmid, der Gemeinde Grafrath und allen dafür, dass sie seinem Großonkel mit dem Stolperstein eine solche Ehre erwiesen haben. Zhyhalüks Neffe wiederum spricht von seinem Vater, dem Bruder von Wassyl Zhyhalük. "Er hat nie gewusst, ob sein Bruder noch gelebt hat", diese Frage habe ihn sein Leben lang belastet. Falls sein Vater noch leben würde, hätte er Simone Schmid sicher wie eine Schwester adoptiert, weil sie so sehr dazu beigetragen habe, die Familiengeschichte aufzuklären. Immer mehr Anwesenden ist nun die Rühung anzusehen.

Bürgermeister Markus Kennerknecht, der gemeinsam mit den beiden Kollegen in der Verwaltungsgemeinschaft, Sandra Meissner aus Kottgeisering und Thomas Totzauer aus Schöngeising, recht schnell Simone Schmids Anfrage auf Verlegung des Stolpersteins bewilligt hatte, unterstrich, wie wichtig Aktionen gegen das Vergessen sind. Immer mehr Zeitzeugen, die den Zweiten Weltkrieg noch selbst miterlebt haben, würden sterben. Umso notwendiger sei es, auf andere Weise die Erinnerung an die Naziverbrechen wach zu halten. Den Stolperstein mit der Aufschrift "Wassyl Zhyhalük/Jg. 1926/Ukraine/Zwangsarbeiter/ 1942 Wildenroth/denunziert/verhaftet 1944/Flossenbürg/ ermordet 12. 2. 1945/ Aussenlager Haslach" will Kennerknecht als Symbol gegen das Vergessen verstanden wissen. Und der Stolperstein stehe auch symbolhaft für alle Zwangsarbeiter und andere Opfer des Naziregimes, betonte er. "Der junge Ukrainer Wassyl Zhyhalük war sicher nicht der einzige Zwangsarbeiter in der Gemeinde Grafrath."

© SZ vom 28.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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