Am 1. Mai:Akkordarbeiter

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Im Maisacher Ortsteil Gernlinden stellt der Burschenverein jedes Jahr einen neuen Maibaum auf - ohne großes Vorgeplänkel. Erst am Vorabend wird er aus dem Wald geholt und tags darauf aufgestellt - auch mit Hilfe von Bürgermeister Hans Seidl

Von Ariane Lindenbach, Maisach

"Die jetzt unter die Schützen rein", ruft Stefan Fleischmann vom Burschenverein den Helfern an ihren "Schwalben" zu: Jeweils drei, vier Männer, die meisten in Tracht, halten die scherenartig an der oberen Spitze mit einem Seil verbundenen zwei Stämme, mit deren Hilfe sie den Maibaum im Ortsteil Gernlinden in die Höhe stemmen. Es gibt mehrere Schwalben in verschiedener Länge, die längsten etwa zehn Meter. Jene, die jetzt unter das Zunftschild des Schützenvereins geführt werden muss, ist eine von den Längeren.

Sie muss mit kürzeren Stämmen, die an der oberen Spitze eine U-förmige Führung aus Metall besitzen, an die richtige Stelle gebracht werden. Das ist gar nicht so leicht. Wegen der Länge der Schwalben zum einen. Und dem kürzeren Schwalbenpaar zum anderen, das mit den anderen Schwalben zusammen die Halterung für den Maibaum bildet und an dem das längere Schwalbenpaar nun vorbeigeführt werden muss. Das ist Zentimeterarbeit, so ähnlich, wie wenn ein Riese einen Faden einfädeln würde. Das erfordert viel Erfahrung. Und natürlich jede Menge Muskelkraft.

Inzwischen sitzen wieder alle Schwalben an den von Fleischmann und seinem Helfer Ralph Oppermann angeordneten Stellen. Sie werden während der Aufstellphase immer weiter von der Baumspitze nach hinten zum dickeren Ende verlagert. Dieses ruht schon in der stählernen Halterung, die den gut 30 Meter hohen Maibaum in der Senkrechte sicher stehen lassen wird. "Und miteinander", ruft Fleischmann den Helfern zu. "Haaaau Ruck", gibt er wieder das Kommando. Die Helfer an den Schwalben, darunter auch Bürgermeister Hans Seidl, schieben den geschätzte dreieinhalb Tonnen schweren Baumstamm wieder ein Stück weiter in die Senkrechte. Rings herum wird applaudiert. Nach jedem Anlauf. "Des schaut ganz gut aus", kommentiert eine Seniorin mit Rollator das Geschehen fachmännisch. Ihre Bekannte nickt zufrieden, blickt gen Himmel: "Und das Wetter hält auch noch."

Rings um den Platz vor dem Bürgerzentrum, wo der Maibaum seit kurz nach halb zehn von mindestens zwei Dutzend Männern in die Höhe gestemmt wird, stehen die Schaulustigen. Es werden immer mehr. Viele sind mit ihren Kindern oder Enkeln gekommen, man sieht Kinderwagen und Rollatoren. Andere beobachten das Geschehen von nahen Balkonen aus. Am Rand der Menschenmenge bleiben regelmäßig Fahrradfahrer stehen, die gezielt oder zufällig vorbeigekommen sind und sich nun das schwindelerregende Spektakel anschauen. "Die sind schon ganz schön weit", findet Zweiter Bürgermeister Roland Müller. Er ist an diesem Sonntag eigentlich beim Stockschützenturnier in Überacker, aber während einer Pause auf einen Abstecher vorbeigekommen. "Wenn er mal über 45 Grad ist, geht's schnell", weiß er.

Im Gegensatz zu vielen anderen Ortschaften in der Umgebung stellen die Gernlindner Burschen jedes Jahr einen Maibaum auf. "Deshalb ist er auch nicht bemalt", erklärt Alfons Strähhuber. Statt ihn wie andernorts vier, sechs Wochen vor dem ersten Mai aus dem Wald zu holen, jede Nacht zu bewachen und blau-weiß zu bemalen, werde er in Gernlinden erst am Vorabend aus dem Wald geholt, sagt der Gernlindner SPD-Gemeinderat. Gefällt wurde der Baum aber auch schon vor einigen Monaten, damit er noch trocknen kann. Wie meistens wurde auch dieser Maibaum gespendet. Von einem der Mitglieder, wie Peter Aust vom Burschenverein verrät. Inzwischen gäbe es schon eine Warteliste, "seit der Spender auf einem Schild am Baum genannt wird", lacht er.

Als der Baum mit einem letzten "Hau Ruck" in die Senkrechte befördert und sofort in der Halterung festgemacht wird, applaudieren die Zuschauer besonders lange und laut. Trotzdem geht der Beifall fast unter, da sich eine Abordnung des Fanfarenzugs Gernlinden bereits vor der Sparkasse postiert hat. Sie spielt einen der gut zwei Stunden dauernden Aktion angemessenen Tusch, im Vordergrund schwenken drei Kinder Fahnen. Nach den Fanfaren kommen die Böllerschützen Emmering an die Reihe. Während ihre Schüsse die Luft erzittern lassen, halten sich einige die Ohren zu. Dann setzt die Blaskapelle Maisach ein. Die Schaulustigen verlasen ihre Plätze, das Geschehen verlagert sich nun in den Biergarten vorm Bürgerzentrum.

© SZ vom 02.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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