SZ-Schulratgeber:"Es ist gut, wo du herkommst"

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Veronika Schilling, die ihre mittlerweile 19 Schützlinge schon einhalb Jahren betreut, zieht ein positives Fazit über das Projekt "Übergangsklasse". (Foto: Marco Einfeldt)

An der Paul-Gerhardt-Schule gibt es seit 2013 eine Übergangsklasse in der 11- bis 15-jährige Jugendliche von immigrierten Eltern auf den Regelunterricht vorbereitet werden. Der Schwerpunkt des Unterrichtes liegt auf dem Erlernen der deutschen Sprache.

Von Rebecca Seeberg, Freising

Es sprudelt nur so aus Veronika Schilling heraus, wenn sie über ihre Schüler an der Paul-Gerhardt-Schule spricht. Die junge und enthusiastische Lehrerin übernahm 2013 die Verantwortung für die neu gegründete Übergangsklasse, die als Pilotprojekt im Freisinger Landkreis laufen sollte. Mit insgesamt zwölf Kinder und Jugendlichen im Alter von elf bis 15 Jahren startete die Klasse, die nach Deutschland immigrierte Schüler im Erlernen der neuen Sprache unterstützt sollte. Innerhalb von zwei Jahren sollen die Kinder auf den Regelunterricht vorbereitet werden, um dort den Anschluss aufgrund ihrer Sprachbarriere nicht mehr zu verlieren. Nachdem Veronika Schilling ihre mittlerweile 19 Schützlinge nun schon eineinhalb Jahre betreut, zieht sie ein Resümee. "Es war ein Sprung ins kalte Wasser. Man lernt aber das Schwimmen recht schnell und inzwischen bin ich sehr glücklich mit meinen Kindern".

Kunterbunte Kunstwerke der Schüler hängen an den Wänden und Fenstern des Klassenzimmers. Über der Tür kleben mit roten, blauen, gelben und grünen Papierschnipseln verzierte Schattenbilder der Schüler und an einer Seitenwand sieht man eine riesige Weltkarte, auf der kleine Fähnchen die Herkunftsländer der Kinder markieren. Veronika Schilling ist es sehr wichtig, dass sich ihre Schützlinge verewigen können. Das habe vielerlei Gründe, erzählt die Lehrerin. Zum einen könne es sehr schnell passieren, dass die Schüler wieder weg sind, also abgeschoben werden, oder in Deutschland scheitern und so noch etwas in der Klasse hinterlassen können.

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Zum anderen sei es ihr sehr wichtig ihren Schülern den Stolz auf ihr Herkunftsland nicht zu nehmen. "Natürlich geht es in meiner Klasse darum Deutsch zu lernen, den Kindern die deutsche Kultur näher zu bringen, sie zu integrieren und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie sich auch in Deutschland heimisch fühlen dürfen. Trotzdem ist es ungemein wichtig ihnen zu vermitteln - da wo du herkommst, das ist nicht schlecht." Einer ihrer Schüler, Konrad S., ist 15 und kommt aus Polen. Er sei nach Deutschland immigriert, da die Lebensbedingungen dort sehr schwierig waren. Nicht nur, weil die Zerstörung durch den Krieg, auch noch nach 70 Jahren, zu spüren sei, sondern auch die Infrastruktur generell sei in seinem Land nicht gut ausgebaut. Er habe schlussendlich mit seinem Vater nach Deutschland kommen müssen, da ihr Haus nicht mehr lebenswürdig und auch die Arbeit seines Vaters sehr schlecht bezahlt gewesen sei. "Wir mussten gehen".

Veronika Schilling spricht sehr liebevoll über ihre Klasse. Viele Familien kämen als Armutsflüchtlinge nach Deutschland, doch unter ihren Schülern seien auch einige mit tragischen Hintergründen und traumatisierender Vergangenheit . "Es ist bewundernswert, was sie teilweise wegzustecken zu haben. Gerade deshalb ist es so wichtig, ihnen zu vermitteln: Es ist gut, wo du herkommst."

Die Lehrerin versucht die Kluft, die nicht nur zwischen der Vergangenheit der Schüler besteht, sondern auch im jeweiligen Lernverhalten, der schulischen Vorbildung und dem Alter, zu meistern. Insgesamt teilt sie die Klasse in drei grobe Niveaus auf, in denen sie jeweils unterschiedliche Themenbereiche erarbeitet. Dabei soll der Unterricht durchaus anspruchsvoll sein.

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Die 11- bis 15-Jährigen schreiben Proben und werden auch sonst benotet. Nach und nach kommen dann die ersten Sachfächer dazu, in denen die Lehrerin aber durchaus auch den Stoff kürzt und auswählt, denn der Schwerpunkt im Lernen liegt ja immer noch auf Deutsch. Deshalb sei auch das Niveau nicht so hoch, wie in einer Regelklasse, betont Veronika Schilling.

Auch die 13-jährige Viktoria R., eine Schülerin der Übergangsklasse, bemerkt den Unterschied. "Hier lernen wir in der siebten Klasse das, was wir in Ungarn in der fünften lernen." Nach den Sommerferien wird sie in eine Regelklasse wechseln. Konrad kann sich schon nach den Faschingsferien auf einen Wechsel freuen. "Ich will mehr lernen", sagt er und das ist auch ganz im Sinne seiner Lehrerin. "Ich gönne es meinen Schülern von Herzen. Denn das eigentliche Ziel einer Übergangsklasse ist es, ihnen einen Abschluss zu ermöglichen. Ohne den ist es in der deutschen Wirtschaft schwer."

Voraussetzung ist natürlich, die Sprachbarriere zu überwinden. "Wenn jeder Deutsch redet, habe ich mich nie getraut etwas zu sagen, weil ich Angst hatte, dass es falsch ist", erzählt Viktoria. Das Schicksal, die Sprache in einem für sie fremden Land lernen zu müssen, schweiße die Klasse zusammen, so Veronika Schilling. Mimik und Gestik sei das erste Verständigungsmittel, doch schon nach kurzer Zeit käme die Sprache dazu. "Ich muss dann oft schmunzeln, wenn meine Schüler versuchen, sich zum Beispiel am Nachmittag für die Stadt zu verabreden." Untereinander gebe es auch keine Häme, wenn es mit dem Deutsch mal nicht so klappt. "Da freut man sich eher miteinander, wenn man merkt, dass man Fortschritte macht", erzählt die Lehrerin mit leuchtenden Augen.

Doch für den Landkreis ist diese Klasse nur ein Anfang. Dringend hoffen Veronika Schilling und auch die Schulleiterin, Juliane Dorfmüller, um weitere Übergangsklassen, auch in Grundschulen. Bei einer Warteliste von 67 Kindern ist der Bedarf auf jeden Fall da.

© SZ vom 03.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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