Tattoo Convention in Moosburg:Stechen und gestochen werden

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Tattoo Convention in Moosburg: Frenky tätowiert einen Schmetterling auf ein Frauenbein. (Foto: Marco Einfeldt)

Die Messe der Tätowierer findet zum sechsten Mal in der Stadthalle statt. Es geht um Farbe, Motive und Piercing. Dass es sich um eine eigene Welt handelt, zeigen die sehr speziellen Shows im Rahmenprogramm.

Von Maximilian Gerl, Moosburg

Auf der Bühne sind die Arbeiten im vollen Gange, Helfer bauen ein Gerüst auf. Die nächste Show wird angekündigt, eine Stimme aus den Lautsprechern macht sie dem Publikum schmackhaft: "Gleich lässt sich jemand an Fleischerhaken aufhängen." Oben auf der Galerie lächelt Frank Hänsel, den hier alle nur Franky nennen. "Das mit den Haken musst du nicht unbedingt schreiben", sagt er.

Samstagnachmittag auf der sechsten Moosburger Tattoo Convention. 30 Stände stehen in der Stadthalle, in den Gängen dazwischen viele Besucher. Hier dreht sich alles um Körperverschönerung: Studios beraten zum Thema Tattoo und Piercing, verkaufen Kleidung, Taschen und Schmuck.

Wer will, lässt sich gleich sein Wunschmotiv stechen, dafür sind rund 60 Tätowierer aus ganz Deutschland und dem nahen Ausland angereist. Als Zugabe findet auf der Bühne ein Rahmenprogramm statt, zum Beispiel werden die besten Tattoos prämiert. Oder eben Leute an Fleischerhaken aufgehängt.

Das Vergnügen bei solchen Suspension Shows - zu Deutsch etwa "Aufhänge-Vorstellung" - besteht darin, dass sich ein Körperkünstler Haken in die Haut schieben lässt. Durch die Haken kommen Ketten oder Seile, über diese wird der Künstler in die Höhe gezogen. Bis er frei schwebt. An seiner Haut hängend.

Kein Blut. Der Künstler ist Profi

Es fließt kein Blut, die Haken sind steril, der Künstler ist Profi. Es besteht also wenig Gefahr. Trotzdem ist eine Suspension Show ein eher ungewöhnlicher Anblick. Gerade in Moosburg.

Doch irgendwie fasziniert die Vorstellung auch. So etwas zieht die Leute an. Andere Tattoo-Messen hätten Probleme, berichtet Organisator Frank Hänsel. Viele Veranstalter klagten über sinkende Besucherzahlen. Insofern "sind wir ganz zufrieden", sagt Hänsel und blickt von der Galerie auf das Treiben in der Halle. Damit die Messe brummt, haben er und seine Leute viel Marketingarbeit geleistet.

Es gab Werbespots im Radio und Annoncen in den Zeitungen. Hänsel hat persönlich Plakate aufgehängt, zumindest überall, wo er durfte: "Manche Orte mögen keine Werbung für Tattoo Conventions."

Tatsächlich gehen die Meinungen über Tattoos weit auseinander. Die einen halten sie für Körperkunst, die anderen für -verschandelung. Das liegt auch an dem, was Hänsel "Schmuddelimage" nennt: Für einige Menschen sind Tätowierte automatisch gewalttätige Rocker, Biker und Häftlinge. Dabei bedeuten Tattoos anderswo Kultur, etwa bei den Maori auf Neuseeland.

Und auch hierzulande ist die Tinte unter der Haut längst in der Gesellschaft angekommen. Studien zufolge hat fast jeder zehnte Deutsche ein Tattoo, das macht knapp acht Millionen Menschen. Selbst die Bundespolizei will neuerdings Bewerber mit sichtbaren Tätowierungen einstellen.

In Moosburg bleiben die Tätowierten weitestgehend unter sich. Die Luft ist erfüllt vom Sirren der Tätowiermaschinen. Die Stände sind offen, man kann den Künstlern bei der Arbeit zusehen. Sie stechen Totenköpfe, Spielkarten und Anker genauso wie individuelle Portraits und Schriftzüge. Models und Fotokataloge, beide bestückt mit den ausgefallensten Motiven, sollen neugierig machen.

Etwa die Hälfte der Aussteller ist der Werbung wegen auf der Convention. Wer einen Preis für das schönste Tattoo gewinnt, macht auf sein Studio aufmerksam und akquiriert neue Stammkunden. Manche fahren Hunderte Kilometer bis zum Tätowierer ihres Vertrauens. Die andere Hälfte der Aussteller reist dagegen von Messe zu Messe. Sie verdienen ihr Geld mit jedem Bild, das sie dort stechen.

Auch Tätowierer gehen auf die Walz

Wer in der Branche etwas werden will, geht wie ein Handwerker auf die Walz, arbeitet in verschiedenen Studios weltweit. "Da lernt man am meisten", sagt Claudia. Claudia, die Arme, Beine und Hände voller Tattoos, sodass kaum freie Haut zu sehen ist, managt ein Studio im deutsch-schweizer Grenzort Wehr. Ihre neueste Tätowierung an der Wade zeigt ein kleines Mädchen. Sehr feine Linien, eine fast ikonenhafte Darstellung. Früher hätten sich die Leute so etwas als Holzschnitt über den Kamin gehängt.

Claudia hat momentan einen Spanier und einen Italiener unter Vertrag, eine wunderbare Bereicherung, sagt sie. Da viele Tätowierer einen eigenen Stil mitbrächten, könne sie so ihren Kunden immer Neues bieten. Auch aus den osteuropäischen Ländern kämen derzeit viele gute Gasttätowierer nach Deutschland, erzählt Hänsel: "Die haben wirklich eine unglaubliche Qualität, sind sehr kreativ."

Für jemanden, der nicht aus der Szene kommt, ist die Tattoo-Messe eine eigene Welt. Fast alle Besucher tragen schwarz, einige wirken zumindest wie schwere Jungs. Passiert sei aber nie was, unterstreicht Hänsel: "Für die Behörden sind wir inzwischen die Vorzeige-Convention", behauptet er. Neben Sicherheit und Brandschutz spielt Hygiene eine große Rolle, tätowiert wird nur mit sterilen Instrumenten. Kontrollen findet Hänsel gut: "Das gibt uns die Sicherheit und den Ausstellern auch."

Auf der Bühne schaukelt der Suspension-Künstler inzwischen vor sich hin. Bequem sieht das nicht aus, schließlich hängt er ja an sich selbst. Frank Hänsel schaut kurz hin, zuckt mit den Achseln. "Für mich ist das nichts", sagt er. Für andere schon: Die Suspension Show sei wahrscheinlich "die einzige in 100 Kilometern Umkreis", schätzt Hänsel. Auch ein Grund, warum die Besucher nach Moosburg kommen.

© SZ vom 07.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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