Gewaltlos, aber hartnäckig:"Der Widerstand muss die Politik benutzen"

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Der Attachinger Startbahngegner Ludwig Grüll ist auch bereit zu zivilem Ungehorsam. Die Gleichgültigkeit vieler Freisinger erschreckt ihn.

Interview von Nadja Tausche, Freising

Freising - Der Bau der dritten Startbahn ist schon jahrelang ein Thema, entschieden ist immer noch nichts. Mittlerweile kämpft Ludwig Grüll, 61, seit 13 Jahren gegen das Projekt. Er ist Sprecher der Gruppe Plane Stupid Germany in Freising und hat zahlreiche Aktionen und Demonstrationen organisiert. Was er erreicht hat, wie der Flughafen seine Äpfel zerstört und warum er von den Freisingern enttäuscht ist, erzählt Grüll im Gespräch mit der SZ.

SZ: Plane Stupid ist eigentlich in England aktiv, die Gruppe organisiert Protestaktionen gegen Umweltverschmutzung durch den Flugverkehr. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie sich in Freising der Gruppe angeschlossen haben?

Grüll: Ich war zuerst in der Bürgerinitiative Attaching und bin dort immer noch, irgendwann war mir aber der Widerstand zu lasch. Deswegen habe ich nach Alternativen gesucht und bin auf die Gruppe Plane Stupid gestoßen.

"Ohne die Demonstrationen wäre die dritte Startbahn längst gebaut."

2007 sind wir dort beigetreten, mittlerweile gibt es auch in Frankfurt eine Gruppe. Wir sind untereinander gut vernetzt: Mitglieder aus England waren bei uns zu Besuch und wir sind nach Frankfurt gefahren.

Wie organisiert sich Plane Stupid in Freising?

Wir sind eine Graswurzelgesellschaft: Bei uns gibt es keinen Vorstand, wir finanzieren alles selbst und treiben keine Mitgliedsbeiträge ein. Wir treffen uns jeden Sonntag, um zum Beispiel neue Aktionen zu planen. Wir sind nicht gewaltbereit, gehen aber bis zum zivilen Ungehorsam. Ich habe mit Plane Stupid schon 45 Demonstrationen angemeldet, insgesamt waren es in der Gruppe noch etliche mehr.

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Ludwig Grüll kämpft seit Jahren gegen die dritte Startbahn.

Von Nadja Tausche

Seit 2007 demonstriert Plane Stupid in Freising, die dritte Startbahn ist heute noch genauso Thema wie damals. Bringen die Demonstrationen etwas?

Natürlich, ohne die Demonstrationen hätte es keinen Münchner Bürgerentscheid gegeben, die dritte Startbahn wäre schon längst gebaut.

Der Freisinger Bundestagsabgeordnete Erich Irlstorfer sagt, Plane Stupid und das Bündnis "Aufgemuckt" hätten die Gesprächsbereitschaft mit der CSU offiziell und öffentlich aufgekündigt. Warum?

Von Plane Stupid hat noch nie jemand gesagt, dass wir nicht mit den Politikern reden. Ich habe auch mit mehreren CSU-Politikern geredet, das bringt allerdings nichts. Schlimm finde ich, dass das Thema auf die Zeit nach der Landtagswahl vertagt wurde. Der Bürger will wissen, wen er wählen soll, dazu müssen die Parteien sagen, was sie machen, wenn sie gewählt werden.

Was halten Sie von einem parteiübergreifenden Protest?

Plane Stupid ist überparteilich, auch ich selbst gehöre keiner Partei an. Ich bin aber der Meinung, der Widerstand müsse die Politik benutzen - aber bei uns ist es eher so, dass die Politik den Widerstand benutzt. Etliche Startbahngegner sind mittlerweile in die Politik gegangen, Kommunalpolitiker nutzen den Startbahnwiderstand, um sich zu profilieren. Sie geben sich als Startbahngegner aus, um Stimmen zu fangen.

Was würde die dritte Startbahn für Sie persönlich bedeuten?

Ich wohne im Übernahmegebiet, ich würde vom Flughafen entschädigt werden und müsste mir etwas Neues suchen. Der Preis für die Entschädigung ist allerdings festgesetzt vom Verkehrswert 2007, die Immobilienpreise sind seither extrem gestiegen. Für das Geld könnte ich mir in Freising eine Drei-Zimmer-Wohnung nehmen. Auch jetzt bekomme ich die Auswirkungen des Flughafens schon zu spüren. Ich habe 50 Apfelbäume hier am Hof. Wenn Sie im Herbst einen Apfel essen wollen, ist der außenrum schwarz. Sie müssen erst einmal den Schmierfilm und die Kerosinablagerungen abschrubben. Ich schmeiße die Äpfel alle weg. Das Argument, die Belastung durch Ultrafeinstaub zu messen, mache keinen Sinn, bevor es keine Grenzwerte gebe, sehe ich nicht ein: Bei Arsen gibt es auch keinen Grenzwert, weil jeder weiß, das ist hochgiftig. Und der Bedarf für eine dritte Startbahn ist nicht da. Ganz Bayern kann von diesem Flughafen aus pünktlich in den Urlaub fliegen, und das auch noch in 100 Jahren.

Wie geht es mit den Aktionen von Plane Stupid weiter?

Wir haben schon den Münchner Rathausturm und das Siegestor besetzt. Ähnliche Aktionen planen wir weiterhin, genau wie Demonstrationen. Was mich erschreckt, ist die Gleichgültigkeit der Bürger: Der Großteil der Freisinger ist gegen eine dritte Startbahn, wir machen so viele Demonstrationen - aber wenn die Bürger nicht teilnehmen, kann ich das nicht ändern.

Fliegen Sie selbst vom Münchner Flughafen aus in den Urlaub?

Früher bin ich geflogen, auch von diesem Flughafen aus. Seit 20 Jahren bin ich aber nicht mehr in einem Flugzeug gesessen - das wäre ein Widerspruch in sich. In den Urlaub fahre ich mit dem Auto oder mit dem Zug. Insgesamt kann man sagen: Ich sage, wenn mir etwas nicht passt, weil es um meine Heimat geht. Ich kritisiere auch mal Startbahngegner, wenn ich merke, dass die sich nur profilieren wollen. Da macht man sich nicht nur Freunde.

© SZ vom 16.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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