Freising:Witz und Wortgewalt

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Fünf Minuten hat ein Poetry Slammer Zeit, um das Publikum für sich zu gewinnen. Diesmal gelingt das Samuel Kramer am besten. Der nächste Wettstreit ist am 20. April im Lindenkeller

Von Rebecca Seeberg, Freising

Fünf Minuten hat ein Poetry Slammer Zeit, um die Welt in Worte zu fassen - fünf Minuten, um das Publikum in atemloser Stille oder staunendem Gelächter zurückzulassen. Fünf Minuten, die jeder der zwölf Wortkünstler, die am Mittwoch im Lindenkeller auftraten, zur Gänze ausschöpfte. Deutschlehrer hätten wahrlich ihre Freude an den vor Alliterationen und raffinierten Wortgebilden strotzenden Texten. Jeder der Poeten vertritt einen eigenen Stil. So dichtet Finalistin Lisa Eckhart unverfroren einen achten Streich zu "Max und Moritz" dazu, in dem die zwei Bengel ihrem Friseur an den Kragen gehen. Mit direkt aus dem Salzburger Land importiertem Dialekt deklamiert sie: "Die Kinder welch die Höll gebar, tragen zumindest schönes Haar" - Wilhelm Busch wäre stolz.

Vier Jahre moderieren Tobi Wan Sinn und Ko Bylanzki nun schon den Poetry Slam im Lindenkeller, der in Freising auf fruchtbaren Boden fällt. Nicht nur begeisterte Zuhörer, sondern auch bekannte Slammer ziehe die Location mittlerweile an, so Tobi Wan Sinn. Diese Art des Dichterwettstreits wurde in den 90er Jahren in den USA von einem Bauarbeiter und Poeten ins Leben gerufen. Auf den ersten Blick eine kuriose Kombination, doch gerade diese Freiheit macht die Wortgefechte so spannend. Denn auch an der Aufstellung im Lindenkeller sieht man, dass jeder mitmachen kann.

Die Regeln sind einfach: Hilfsmittel sind nicht erlaubt, nur eigene Texte dürfen vorgetragen werden und das Zeitlimit von fünf Minuten darf nicht überschritten werden. Mit der Lautstärke des Applauses dürfen die Zuschauer selber den Sieger bestimmen. Kreischend und pfeifend kürt das Publikum an diesem Abend Samuel Kramer zum Sieger, einen jungen Poeten mit viel Witz und Wortgewalt. "Die besten Texte sind die, in denen ein Knick drin ist, ein Umschwung. Sie müssen das Publikum atemlos zurücklassen und die Gedanken ins Rollen bringen", erklärt eine Zuhörerin.

Humorvoll, aber kritisch diskutiert beispielsweise der ehemalige bayerische U-20-Meister Dominik Erhard über das Teilen. Auch der Salzburger mit dem Künstlernamen KSAFA hinterlässt mit seinem Text über den kleinen "Max Musterknabe", der sich aus seiner Mittelmäßigkeit erhebt, Eindruck. "Die singen ja fast", murmelt eine Zuhörerin. Tatsächlich, die Dichter der schnellen Worte sprechen Musik. Rasante Läufe, anschwellende Wortgeflechte und ein Wasserfall an Assonanzen sprudeln aus dem Mund des Jurastudenten Yannik Sellmann. "Insomnie" rappt Lara Ermer mit klangvoller Stimme.

Der Lokalmatador der Freisinger Poetry-Slam-Szene, Philipp Potthast, bringt das Publikum mit lyrischen Eskapaden über den bösen Geist von Bologna zum Johlen. Wenn "Kehlen der geknechteten nach Kaffeenachschub ächzen" und sich Studenten voller Verzweiflung Geodreiecke in die Brust rammen, "dann ist Klausurenphase in der Unibibliothek", erzählt er aus dem Leben eines Studenten. Ins Finale zieht Lisa Eckhardt mit einer "kleinen, schönen Geschichte über Weihnachten" ein. Voll spitzbübischer Freude und vor Schwärze triefendem Humor deutet sie die Liebe zwischen Magdalena und Jesus in ein "Gspusi" um, aus dem das Christuskind hervorging und sich aus Trotz gegen den nicht wiederkehrenden Vater "Antichrist" nennt. Das Publikum kringelt sich vor Lachen. Konkurrent Samuel Kramer bezauberte schon in der ersten Runde mit seinem kritischen Text über einen Baum, der symbolisch für die Unverbesserlichkeit der Menschen, aber gleichzeitig für einen Neuanfang steht. Nachts "ballern dort Bienen und Bären" zu der Musik von "Gaul Kalkbrenner", bis eines Tages der Baum gefällt wird und ihn stattdessen ein zubetonierter Parkplatz ersetzt.

Am 20. April findet der nächste Poetry Slam im Lindenkeller statt.

© SZ vom 04.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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