Freising:Nur ein wenig eigene Würze

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Der Christbaum steht schon: Die Flüchtlinge aus Nigeria freuen sich auf das Weihnachtsfest. (Foto: Marco Einfeldt)

Christliche Flüchtlinge aus Nigeria wollen Weihnachten (fast) wie die Deutschen feiern

Von Rebecca Seeberg, Freising

Ein staubiger Plastiktannenbaum mit halb abgerissenem Lametta wird für das Foto aus einer Ecke gezogen, mehrere Stühle werden kurzerhand um den Tisch arrangiert. Ein junger Mann mit einem Baby auf dem Arm platziert sich auf der durchgesessenen Bank, die Mutter setzt sich schwungvoll daneben. Es ist ein munteres Hin und Her in diesem Flüchtlingsheim bei Freising. Ein weiteres Mädchen kommt in die Küche, während der Fotograf halb amüsiert, halb verzweifelt "bitte hinsetzen, bitte hinsetzen" ruft.

Es funktioniert hier alles nicht so, wie es sonst bei Interviews funktioniert. Auch die so schön vorbereiteten Fragen greifen ins Leere, denn Gesprächspartner Bem M. möchte dabei weder über Persönliches noch über Politik reden. "Ich dachte, es geht um Weihnachten", entgegnet er auf die Frage, warum er geflohen ist.

Bem ist eloquent und freundlich, spricht perfekt Englisch, ist 48 Jahre alt und lebt seit einem Jahr in Deutschland. Ursprünglich kommt er aus dem Süden Nigerias, genauer gesagt aus Edo State. Die offizielle Seite der dortigen Regierung im Internet bezeichnet die Region als eine der friedlichsten in Nigeria, in der Christen, Muslime und Anhänger anderer traditioneller Religionen ohne größere Probleme zusammen leben. Dennoch kann offenbar auch die dortige Bevölkerung den blutigen Konflikten, die das gesamte Land erschüttern, nicht ganz entfliehen. Die große Mehrheit der Edos gehört dem Christentum an, auch Bem. Und das aus tiefster Überzeugung. Er formuliert nichts vorsichtig, für ihn sind die knallige Farbenpracht und die tiefschwarzen Abgründe der Religion Realität. Es gibt eine Hölle, davon ist er überzeugt, und wenn man nicht mit Jesus lebt, kommt man dorthin.

Die Küchentür geht auf. In Pantoffeln und silbernem Seidenpyjama kommt eine dunkelhäutige Frau herein und fängt an zu kochen. Hühnchen mit Reis und Tomatensoße soll es geben. Mit lautem Scheppern macht sie sich an den Konservendosen zu schaffen. Bem lässt sich nicht irritieren. "Ich gehe zur Kirche, weil ich noch lebe. Durch meinen Glauben bekomme ich Frieden. Wenn ich keinen Frieden hätte, dann könnte ich hier nicht bleiben. Denn nur da wo Jesus ist, da ist Frieden." Zack - das Huhn liegt in zwei Hälften da.

Bem musste seine Heimat verlassen. Auch die heilige Familie musste, wie es im Matthäus-Evangelium heißt, vor einem herrschsüchtigen Potentaten, dem König Herodes, nach Ägypten fliehen. Eine Parallele zu seiner eigenen Geschichte will Bem aber nicht ziehen. "Wir sind alle vor der politischen Situation in unserem Land geflohen", erklärt er und zuckt mit den Schultern. Vor vielen Jahren wären die Nigerianer niemals auf die Idee gekommen, ihre Heimat zu verlassen. "Doch wenn man weg muss, dann muss man eben weg", sagt er. Deshalb möchte er der deutschen Bevölkerung, die sie in ihr Land gelassen hat, danken. "Jedenfalls schätzen wir das in diesem Haus sehr", betont Bem.

Der Nigerianer hat es sich zur Aufgabe gemacht, Gottes Wort zu predigen. Egal ob in der Hausgemeinschaft oder am Marienplatz in München. Dort habe er sogar eine Gemeinde gefunden, zu der er mehrmals die Woche fahre. Ob es einen Unterschied zwischen seiner Kirche in Nigeria und der deutschen gebe? "Nein", kommt die klare Antwort, "da gibt es keinen Unterschied", nur die Größenverhältnisse seien etwas anders. Denn in nigerianischen Kirchen gebe es jeweils etwa 5000 Plätze, die während des Gottesdienstes bis zum letzten Stuhl gefüllt seien. "Wir sind ein religiöses Volk", so Bem mit einem Lächeln. Laut einer Studie der BBC aus dem Jahr 2004 gehören ungefähr 40 Prozent der nigerianischen Bevölkerung dem Christentum und beinahe die Hälfte dem Islam an.

Wie Weihnachten bei ihnen gefeiert werde? Naja, Weihnachten sei eben Weihnachten, entgegnet Bem ungeduldig und fügt nach kurzem Zögern hinzu: "Es gibt dieses Sprichwort: Wenn du in Rom bist, dann handelst du wie die Römer. Wir feiern Weihnachten wie die Deutschen und geben nur etwas eigene Würze dazu." Weil es in Nigeria im Dezember warm ist, sei man an den Feiertagen viel unterwegs. Die Kinder maskieren sich, ziehen von Haus zu Haus und tanzen für die Leute. Man bereite Essen zu und schicke es zu denen, die man gerne hat oder statte ihnen Besuche ab.

Die Frau im Pyjama setzt sich neben Bem an den Tisch, während das Hühnchen in der Soße brutzelt und zischt. "Wir kochen ziemlich süß", sagt sie und fügt mit kundigem Ton hinzu, "die Deutschen mögen unser Essen." Auch noch beim Verlassen des Hauses liegt der kernige Geruch des Hühnchens in der Luft. Die Gespräche hier lassen sich nicht so einfach einordnen. Bei einem ist man sich aber ganz sicher: dass die Wohngemeinschaft ein eigenwilliges, aber frohes Weihnachtsfest haben wird.

© SZ vom 24.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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