Flughafengemeinde Hallbergmoos:Ein gewaltiger Boom

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In seinem 43. Sammelblatt beschreibt Heimatforscher Karl-Heinz Zenker, wie das Bauerndorf Hallbergmoos in nur 25 Jahren zum reichen Dienstleistungszentrum wird. Die Eröffnung des Münchner Flughafens hat den bis dahin beschaulichen Ort vollständig umgekrempelt

Von Peter Becker, Hallbergmoos

Schwindelerregend, atemberaubend, so lässt sich die Entwicklung der Gemeinde Hallbergmoos vom Bauerndorf zum Dienstleistungszentrum der Gegenwart beschreiben. Heimatforscher Karl-Heinz Zenker hat diese Genese zur finanzstärksten Gemeinde des Landkreises nun im 43. Sammelblatt aus der Reihe seiner Publikationen beschrieben.

Gegründet hat die Siedlung im trocken gelegten Moos einst der Freiherr von Hallberg, seit 1828 ist die Existenz von Hallbergmoos urkundlich verbürgt. Zwei Jahre später entstand der Alte Wirt, der vielen Hallbergmoosern als Wirtschaft und Vergnügungsstätte geläufig ist. Mit dem Auszug der Künstlerin Tita Heydecker und des mittlerweile gestorbenen Konrad Dördelmann fand 1997 die Ära als Gastwirtschaft ein Ende. Mittlerweile hat ein Investor das Gelände gekauft und will den Wirt erhalten und dazu ein Hotel errichten.

Ende des Jahres 1830 hatten sich in Hallbergmoos sieben Familien niedergelassen, 1862 standen schon 26 Häuser. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein verlief der Bevölkerungszuwachs gemächlich. Ende 1910 zählte die Gemeinde 882 Einwohner, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1309. Bis September 1950 kamen 500 Menschen dazu. Einen Schub brachte die Eingemeindung von Goldach, das zuvor zu Notzing gehört hatte. Die Zählung von 1987 ergab 4003 Einwohner, erst die Inbetriebnahme des Münchner Flughafens vor 25 Jahren sollte das bis dahin beschauliche Dorf jedoch vollständig umkrempeln. Bis 2011 kletterte die Einwohnerzahl auf 9205, Ende 2015 lebten bereits 10 615 Menschen in der Gemeinde. Fast logisch ist es, dass der größte Zuwachs mit dem Eröffnungsjahr des Flughafens zusammenfällt, 576 Neubürger ließen sich 1992 im Ort nieder.

Zenker beschreibt, wie die typischen alten Bauernhäuser langsam aus dem Bild der Gemeinde verschwanden. Als Beispiel nennt er das "Singeranwesen", das dem Mövenpick-Hotel wich. Von acht historischen Anwesen entlang der Mathildenstraße gibt es heute nur noch drei, die sich zudem laut Zenker stark gewandelt haben. So gebe es beispielsweise kaum mehr Nutztiere dort. "Ich selber kann mich noch erinnern, dass bis in die Achtzigerjahre auf dem Hof von Maier Otto die Kühe aus dem Stall über die Straße auf die Weide getrieben wurden und abends zurück", schreibt Zenker.

Von einst 24 Bauernhöfen an der Ludwigstraße ist kein einziger übrig geblieben. Zenker selbst sind überhaupt nur noch drei Höfe mit Milchvieh in der Gemeinde bekannt, nachdem der Enghofer Hof an der Maximilianstraße den Betrieb eingestellt hat. Typische Bauernhöfe, wie sie noch vor Jahrzehnten üblich waren, kennt Zenker keine mehr. Diese hielten neben Kühen auch Schweine und Kleinvieh. Dazu gab es einen Hausgarten. Alle Betriebe haben sich heute spezialisiert, nach Zenkers Beobachtungen vor allem auf den Anbau von Gemüse.

1954 erhielt ein Teilstück der Mathildenstraße die erste Teerdecke im Ort. Bis alle Straßen befestigt waren, gingen weitere 20 Jahre ins Land, mittlerweile hatte Asphalt Teer als Baustoff abgelöst. Das Klärwerk entstand 1974 und 1975. Mit der Eröffnung des Flughafens zog der Reichtum in die Gemeinde ein. Durch Grundstücksverkäufe im Gewerbegebiet finanzierte sich Hallbergmoos ein Schulzentrum. Verschwunden sind die früheren Kramerläden. Stattdessen können sich die Hallbergmooser in fünf Supermärkten und Discountern, zwei Bäckereien und Metzgereien versorgen. Dem Schwinden der Landwirtschaft geschuldet sind auch die Schließungen des 1899 gegründeten Lagerhauses und der Schmieden. Immerhin aber gibt es noch einen Landmaschinenhändler mit Werkstatt. Und: es haben sich Anbieter von Parkgelegenheiten für Passagiere als Dienstleister breit gemacht.

Früher stellten renommierte Landwirte oft die Bürgermeister. Vitus Zeilhofer (1945 bis 1966) war jedoch der letzte dieses Standes in diesem Amt. Seine mittlerweile vier Nachfolger waren hauptberufliche Bürgermeister, alle kamen aus der Verwaltung oder der Versicherungswirtschaft.

Zenker zeigt die rasante Entwicklung von Hallbergmoos auch an den Beschäftigtenzahlen. Im Jahr vor der Flughafeneröffnung gab es 1043 Arbeitsplätze im Ort. Von 2002 bis 2012 verdoppelte sich die Zahl von 5302 auf 11 145 Stellen. Gleichzeitig veränderte sich das Verhältnis von Einpendlern zu Auspendlern. Verdienten 1992 die meisten Hallbergmooser ihr Geld noch außerhalb der Gemeinde, kehrte sich das Verhältnis 1998 zum ersten Mal um. Im Jahr 2012 betrug es nach Angaben von Zenker 10 175 Ein- zu 3855 Auspendlern.

Eklatant ist die Entwicklung der medizinischen Versorgung. Heute gibt es etliche Allgemeinmediziner, Zahnärzte und sogar einen Kinderarzt am Ort. 1946 sah das noch anders aus. Für Geburten gab es eine Hebamme, für Krankheiten den ersten niedergelassenen Arzt. Zuvor, so haben es alte Einwohner Zenker erzählt, gab es nur den "Bader Reuel". Der schnitt den Leuten die Haare, zog Zähne und behandelte kleinere Verletzungen. Und wen der Tod ereilt hatte, dem leistete er als Leichenbeschauer den letzten Dienst.

Bis 1930 verband eine Postkutsche Hallbergmoos mit dem Rest der Welt, ein Postbus löste sie ab. Heute sorgt ein S-Bahnhof mit über 600 Stellplätzen dafür, dass die Hallbergmooser mobil sind und Angestellte zum Arbeitsplatz im Munich Airport Business Park kommen. Der ist laut Zenker für die Finanzstärke der Gemeinde verantwortlich. Mit dem vielen Geld stemmt Hallbergmoos seine umfangreichen Investitionen in Sport-und Freizeitpark, Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen.

© SZ vom 10.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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