"Die Blauen Jungs":Neufahrns wilde Matrosen

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In den Fünfzigerjahren waren die "Blauen Jungs" ein Straßenfeger. Vor allem bei den Älteren genossen die lebenslustigen Musiker einen zweifelhaften Ruf. Der Geschichtsverein erinnert an die Kultband

Von Alexandra Vettori, Neufahrn

Wie hieß er denn gleich, der Schlagzeuger der "Blauen Jungs"? Es hat mehrere gegeben. Der Ziegltrum Edi war es mal, aber auch der Jackl aus Garching, dessen Nachname keinem mehr einfallen will. Dafür weiß eine Zuhörerin später, wie das alkoholische Getränk mit der eingelegten Kirsche hieß, das die Zungen so rot färbte, "Puschkin-Tropfen". Das jüngste Zeitzeugengespräch des Neufahrner Geschichtsvereins rund um die Kultband "Blaue Jungs" ist am Donnerstag im Gasthof Maisberger zu einer heiteren Erinnerungsstunde geraten.

70 Besucher waren da, viele von ihnen haben die große Zeit der "Blauen Jungs" miterlebt, Neufahrns erster Musikkapelle, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren im Ort und in der Umgebung Kultstatus genoss. Vier Bandmitglieder, Erich Manderla, Adi Olf, Josef Rudzki und Peter Schmitzer, waren anwesend, der Rest der Band ist mittlerweile gestorben.

Man schrieb das Jahr 1956, das Wirtschaftswunder begann, und der Posaunenspieler und Bahnpolizist Michael Hetzl hatte die Idee, eine Kapelle zu gründen. Er sprach seinen Nachbarn Adi Olf an, der fand die Idee gut und redete mit seinem Spezl Josl (Josef) Rudzki, und "dann haben wir zu spielen angefangen", erzählte Odl. Trompetenspieler Peter Schmitzer wurde von der Hallbergmooser Kapelle Rampf abgeworben. Erich Manderla, wiewohl erst 14 Jahre alt, wurde unter drei Bewerbern als Akkordeonspieler ausgewählt. Adam Ripsam komplettierte die Gruppe. Der erste Auftritt war 1957 beim Neufahrner Kinderfasching, der zweite beim Faschingszug. Schon bald wurden die "Blauen Jungs" zum Straßenfeger.

Peter Schmitzer (v. l.), Erich Manderla, Adi Olf und Josef Rudzki erinnern sich an die alten Zeiten, ihre Matrosen-Uniform haben sie daheim gelassen. (Foto: Marco Einfeldt)

Sie spielten querbeet, vom Zwiefachen bis zu Schlagern, gerne von Freddy Quinn oder Peter Kraus. Der Tanzboden bebte, bis die Nächte im Morgengrauen zu Schmachtfetzen wie "Kleine Annabell" ausklangen. Die "Blauen Jungs" sorgten für überfüllte Friseurläden und wilde Faschingsbälle, beim Metzgerwirt oder in der Alten Halle, die damals nur Halle hieß, sie tourten durch die Hallertau, kamen bis Eichenried und Helfenbrunn. Sogar Gesangsunterricht nahmen sie beim Neufahrner Lehrer Ritter im Augarten, einer Wirtschaft mit Biergarten, die es damals am östlichen Ortseingang gab.

So beliebt die Kapelle war - ältere Semester sahen sie kritisch, "wuide Musik" sei das. Den zweifelhaften Ruf untermauerten Anekdoten, wie sie Erich Manderla erzählte. Einmal sei man nach einem Auftritt bis 9 Uhr morgens beim Bahnwirt gesessen, noch in den Matrosenkostümen mit den langen weißen Hosen. Als die Musiker nach Hause gingen, begegneten sie den Kirchenbesuchern, und dann ging das Gerücht um, die "Blauen Jungs" liefen in Unterhosen durchs Dorf. Die an die Wand projizierten Schwarz-Weiß-Fotos weckten im Publikum hörbar Erinnerungen, manch einer erkannte sich wieder, als Cowboy oder herausgeputzt auf Hochzeitsfotos, die "Blauen Jungs" waren auch bei gesellschaftlichen Ereignissen dabei. Ernest Lang vom Geschichtsverein erinnerte daran, dass die Band auch bei Maikundgebungen der Gewerkschaft spielte. Auf besonderen Wunsch des damaligen Neufahrner Pfarrers Götzberger traten sie sogar einmal in der Alten Kirche auf, zu Weihnachten mit der Schubert-Messe.

Peter Schmitzer wusste eine Episode von Schlagzeuger Edi Ziegltrum zu berichten. Weil es üblich war, dass die Band ständig eine Runde Schnaps aus dem Saal spendiert bekam, habe man den Hochprozentigen in einer Flasche gesammelt, für nach dem Auftritt. Trotzdem machten die "Blauen Jungs" ihrem Namen nicht selten alle Ehre. Der Edi, erzählte Schmitzer, "hat den Kantenschlag so gut können. Mit steigendem Alkoholpegel ist ihm aber oft der Stock aus der Hand gefallen. Deswegen hat er immer gleich mehrere parat gehabt". Dass es oft hoch her ging, zeigte eine andere Geschichte. Weil sich die Jugend aus Hallbergmoos und Neufahrn in herzlicher Feindschaft zugetan war, gab es zu später Stunde oft Randale, meist bei Besuchen der Hallbergmooser Ringer. Irgendwann hatten die "Blauen Jungs" Werbeschilder mit ihrem Namenszug darauf. Die, erzählte Schmitzer, habe man einmal, als im Saal eine wilde Schlägerei in Gange war, als Schutz benutzt, um unbeschadet hinaus zu gelangen.

© SZ vom 18.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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