Frauenkirche:Keine Selfies am Altar

In der Frauenkirche drängeln sich viele Touristen und manche Münchner. Dass sich alle an Regeln halten, dafür gibt es die Domaufsicht. Ein Blick hinter die Kulissen.

Von Jakob Wetzel und Stephan Rumpf (Fotos)

Der Zeremonienmeister

1 / 8
(Foto: Stephan Rumpf)

Dieses Buch zieht Bernhard Stürber selten aus dem Schrein in der Domsakristei. Es ist das wertvollste Evangelienbuch der Frauenkirche, ein byzantinischer Kodex, ein Geschenk der Ostkirche. Gelesen wird aus ihm nur zu höchsten Feiertagen, an Weihnachten etwa oder in der Osternacht. Sonst wird eines der anderen drei Bücher verwendet. Und darüber zu wachen, ist eine der Aufgaben von Bernhard Stürber. Der 59-Jährige ist seit fünf Jahren Domzeremoniar. Er sorgt im Hintergrund dafür, dass im Gottesdienst liturgisch alles seine Ordnung hat. Stürber legt die Dramaturgie fest und bespricht, wer wann wo steht und was er dort tut. In München gibt es dafür schwerlich einen Kompetenteren: Denn was Pfarrer über Liturgie wissen, haben sie häufig von ihm gelernt. Stürber unterrichtet seit 23 Jahren Liturgik im Priesterseminar des Erzbistums.

Bitte nicht rauchen!

2 / 8
(Foto: Stephan Rumpf)

Die meisten Besucher seien nett, sagt Johann Lechner. Aber es gibt auch andere, die grob werden, wenn er sie anspricht. Lechner ist seit sechs Jahren als Aufsicht im Dom tätig. Der 61-Jährige arbeitet in Acht-Stunden-Schichten, er macht Rundgänge durchs Kirchenschiff, kontrolliert die Kerzenständer, achtet aber auch darauf, dass sich alle benehmen. Und da habe er vieles erlebt, sagt er. Lechner musste Besuchern sagen, dass man im Dom nicht raucht, nicht trinkt und keine Selfies am Altar macht. "Manche machen da sogar während eines Gottesdienstes Fotos", sagt er. "Sie denken, die Frauenkirche ist eine Touristenattraktion, wo sie machen dürfen, was sie wollen." Einmal habe er sogar ein professionelles Mode-Fotoshooting unterbunden. Nebenbei steht Lechner auch für Fragen zur Verfügung. Die meistgestellten sind: Wo ist der Teufelstritt? Und kann man auf den Turm?

Wie ein Erdbeben mit Gebläse

3 / 8
(Foto: Stephan Rumpf)

"Wollen Sie mal hören?", fragt Hans Leitner. Er spielt den tiefsten Ton, den die Orgel der Frauenkirche hergibt; er klingt wie ein Erdbeben mit Gebläse. Die zugehörige Pfeife sei 32 Fuß lang, sagt Leitner, das sind 9,60 Meter. Er drückt ein paar Tasten, und es erklingt der höchste Ton. "16.000 Hertz, das ist die obere Grenze der menschlichen Hörbarkeit." Dann schaltet er weitere Register zu und legt los. Hans Leitner ist Domorganist und damit Herr über vier Orgeln: Neben der großen Hauptorgel sind das eine Chororgel im rechten Seitenschiff, dazu eine Holzorgel in der Sakramentskapelle und eine mobile Truhenorgel. Sonderlich alt ist keine der Orgeln, die älteste ist Baujahr 1981. Aber die Frauenkirche hat eine anspruchsvolle Akustik: Sie ist die größte Hallenkirche der Welt, es dauert elf Sekunden, bis ein Orgelton verhallt. Leitner muss langsam spielen. Seinen Arbeitsplatz, die Orgelempore über dem Haupteingang, erreicht er über eine enge steinerne Wendeltreppe mit 60 Stufen im Nordturm. Von oben kann der 55-Jährige nicht nur die Hauptorgel spielen, sondern auch die Chororgel fernsteuern. Mit ein paar Griffen stellt er die Register um - aber irgendwo klemmt etwas, die große Orgel pfeift mit. Leitner versucht es ein zweites Mal, diesmal klappt es. "Gut, dass das jetzt passiert, nicht am Abend", sagt er. "Da ist wieder Adventskonzert."

Regiezentrale im Untergrund

4 / 8
(Foto: Stephan Rumpf)

Dass Peter Veth im Untergeschoss des Doms ein kleines Ton- und Fernsehstudio betreibt, hat mit der Architektur der Kirche zu tun: Wegen der zwei Säulenreihen sieht man von den äußeren Bänken kaum in die Mitte. Seit sieben Jahren wird das Geschehen deshalb in Echtzeit auf zwei Leinwände in den Seitenschiffen übertragen, außerdem ins Internet. Ebenso lange arbeitet Veth hier als liturgischer Regisseur. Der Job ist nicht einfach. Der 54-Jährige muss zum Beispiel genau wissen, wer wann was sagt, damit er den Regler des Mikrofons hochschieben kann. Aus demselben Grund geschieht im Gottesdienst alles streng nach Ablaufplan. Dabei hilft es, dass Veth diese Abläufe seit 40 Jahren kennt. Er war Ministrant und Pfarrgemeinderat, jetzt hat er eine eigene EDV-Firma, führt Regie - und läutet die Glocken, und zwar so, dass sie exakt zur Wandlung zu hören sind. Weil sie sich erst einschwingen müssen, müsse er sie 51 Sekunden vorher einschalten, sagt Veth. Da müsse alles passen.

Ein Tritt fürs Seelenheil

5 / 8
(Foto: Stephan Rumpf)

"Sie kennen den Teufelstritt?", fragt Stephan Häutle. Und dann erzählt er die Geschichte einmal anders, ganz ohne Teufel. An jenem Fußabdruck entscheide sich jeder für oder gegen das Seelenheil, sagt er: Früher habe man die Frauenkirche von Westen betreten. Das Westwerk sei finster. "Und hier, an jenem Fußabdruck, zeigt sich, ob die Menschen umkehren oder weitergehen ins Licht." Häutle ist Domdiakon und Kirchenpädagoge. Etwa 120 Gruppen führt der 57-Jährige im Jahr zu "Dom-Begegnungen" durch die Kirche. Er erzählt keine Anekdoten, sondern will die Kathedrale selber wirken lassen. Im Dezember bietet er auch adventliche Führungen an - dann zeigt er etwa ein Fenster hinter dem Chor, in dem die Verkündigung zu sehen ist, Jesu Geburt und der Gang in den Tempel."Gott kommt hier in Stufen herab", sagt Häutle. Im Boden des Chors weist er auf ein Mosaik mit Fatschenkind auf einem leuchtenden Thron. "So erzählt der Dom mit seinen Mitteln die Weihnachtsgeschichte."

Schrank für 1700 Gewänder

6 / 8
(Foto: Stephan Rumpf)

Gerhard Bruckner hat eine lange Liste abzuarbeiten: 253 Aufgaben hat er zu erledigen, um den Dom auf Weihnachten vorzubereiten - zusätzlich zu dem, was er ohnehin organisieren muss. Seit fast einem Vierteljahrhundert ist Bruckner hier Mesner. Der 50-Jährige bestellt Hostien, Wein und Kerzen, möbliert den Chorraum, regelt die Wäsche und die Domreinigung. 2000 liturgische Termine im Jahr müssen er und sein Kollege vorbereiten, alleine im Advent sind es 200 bis 300. Und in der Weihnachtszeit passt er vier Mal die Krippendarstellung im Nordturm an. Sein Arbeitsplatz ist vor allem die Sakristei mit ihrem vier Stockwerke hohen Kleiderschrank. 1700 liturgische Gewänder sind hier aufbewahrt, vom einfachen Überwurf bis zum kostbaren, aufwendig bestickten Mantel, der speziell gelagert wird - die Ministrantenkleider sind da noch gar nicht eingerechnet. "Die Frauenkirche ist mit dem Kölner Dom die bedeutendste Metropolitankathedrale in Mitteleuropa", sagt Bruckner. Da müsse alles vorhanden sein und in vorbildlichem Zustand.

Das Wunder aus schlechtem Holz

7 / 8
(Foto: Stephan Rumpf)

Der Dachstuhl sei ein Wunderwerk, sagt Lorenz Wolf. Dabei meint er nicht die Legende um den Zimmerer Heinrich, der das Dach im 15. Jahrhundert konstruiert und dann einen Balken entfernt haben soll, um allen ein Rätsel aufzugeben: Wo gehört der Balken hin? Wolf meint den Dachstuhl von heute. Der ist ein Nachkriegswerk des Dombaumeisters Theodor Brannekämper. Und dieser habe mit schlechtem Holz eine so filigrane wie stabile Konstruktion geschaffen, dass Statiker bis heute darüber ins Staunen kämen. Lorenz Wolf ist Kirchenrichter des Erzbistums und seit 2004 Domdekan, also Hausherr der Frauenkirche. "Am Anfang eines Rundgangs muss eigentlich die Krypta stehen", sagt der 61-Jährige. Die Kirche lebe ja von der Vergangenheit in die Zukunft. Die alte Krypta ist nur an Allerheiligen geöffnet, hier liegen Domkapitulare aus mehreren Jahrhunderten. Oben, im Dach, wird dagegen saniert, die Kirche rüstet sich für die Zukunft. Ganz neu ist der Hebemotor für den Adventskranz: Wenn der bei TV-Aufnahmen störte, musste bislang einer nach oben flitzen und den 250-Kilo-Kranz per Hand hochkurbeln. Heute geht das einfach auf Knopfdruck.

Schwierige Baustelle

8 / 8
(Foto: Stephan Rumpf)

Wenn Thomas Günther seine Baustelle betritt, gerät er schlagartig ins Schwärmen. Im Südturm der Frauenkirche, bei den Glocken, in etwa 80 Metern Höhe, hat er eine neue Treppe konstruiert. Das diene der Sicherheit und dem Brandschutz, sagt er. Die alte Treppe sei aus Holz und recht ausgetreten. Sie wird nun durch eine Spindeltreppe aus Stahl ersetzt. Die führt dann von oben bis zu einer neuen Zwischendecke aus Beton mit - und auch das ist neu - einem Zwischenhalt für den Aufzug auf Höhe des Dachstuhls. Thomas Günther ist Architekt und nicht bei der Kirche angestellt; er arbeitet für das Planungsbüro Dobler. Doch als Projektleiter für alle Baumaßnahmen im Inneren des Domes - um das Äußere kümmert sich der Freistaat - ist er seit 17 Jahren mit der Frauenkirche befasst. Anfangs hat er die Pläne der verschiedenen Dombaumeister gewälzt; mittlerweile ist das Gebäude per Laser vermessen. Heute kennt wohl kein Mensch das Gebäude so gut wie der 57-Jährige. Ein "lebendes Archiv" nennt ihn der Domdekan. Dabei sind die Arbeiten nicht immer einfach. "Wir sind zuerst eine Kirche und dann eine Baustelle", sagt Günther. "Alles, was wir tun, hat sich der Kathedrale unterzuordnen." Baulärm während des Gottesdienstes etwa ist tabu. Wenn unten eine Messe gelesen wird, muss es oben ruhig sein.

© sz.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: