Folgenreicher Diagnosefehler:Lähmung durch Ärztepfusch

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Ein Ärztepfusch fesselt ein Mädchen an den Rollstuhl. Doch der Staat zahlt nur häppchenweise Schmerzensgeld.

E. Müller-Jentsch

Nicht das Schicksal, sondern ein schwerer ärztlicher Behandlungsfehler hat die heute 19 Jahre alte Zarina in den Rollstuhl gezwungen. Das hat die Gutachterstelle für Arzthaftungsfragen der Bayerischen Landesärztekammer zweifelsfrei festgestellt - das räumt auch der Direktor des Haunerschen Kinderspitals, Professor Dietrich Reinhardt, ein.

Wie diese Frau ist nun auch die 19-jährige Zarina an den Rollstuhlgefesselt. (Symbolbild) (Foto: Foto: ddp)

Natürlich steht der Betroffenen deshalb ein hohes Schmerzensgeld zu. Was aber bei jeder haftpflichtversicherten privaten oder kommunalen Klinik längst geregelt wäre, entwickelt sich für die leidgeprüfte Patientin zur jahrelangen Hängepartie: Der unversicherte Freistaat windet sich und zahlt nur tröpfchenweise.

Die beginnende Querschnittslähmung wurde nicht erkannt

Nach detaillierter Berechnung stehen dem Mädchen schon bisher wenigstens 300.000 Euro zu, sagen die Medizinfachanwälte Wolfgang Putz und Beate Steldinger, ebenso Professor Reinhardt. Doch die Uni-Verwaltung habe 2008 nur 50.000 Euro als "Abschlagzahlung" überwiesen: "Seither wird keinerlei Sachbearbeitung mehr vorgenommen, und seit langem werden keine Schreiben mehr beantwortet", erklärten Donnerstagmittag die Anwälte der SZ.

Selbst der Chefarzt der Kinderklinik sei empört über das Verhalten der Verwaltung und habe hausintern die sofortige Entschädigung der jungen Frau gefordert - "er hat aber lediglich eine unfreundliche Antwort erhalten", wissen die Anwälte. "Die war tatsächlich ziemlich unverschämt", bestätigte auf Nachfrage der Professor. Damals, vor sechs Jahren, hätten mehrere Ärzte hintereinander wichtige Zeichen für eine beginnende Querschnittslähmung nicht erkannt."Ich habe trotz aller Bemühungenbis heute leider nicht rausbekommen können, wer für was verantwortlich war", sagt Reinhardt. "Einer schiebt die Schuld auf den anderen."

Was im April 2003 geschehen war, nachdem die damals 13-jährige Zarina von ihren Eltern wegen Rückenschmerzen und Bewegungsstörungen in die Kinderklinik gebracht wurde, macht ein Gutachten der Neurochirurgischen Uni-Klinik Würzburg deutlich: "Ohne hinreichenden Grund" hätten die Ärzte psychische Ursachen für die Lähmungserscheinungen verantwortlich gemacht, statt das Kind auf organische Schäden zu untersuchen.

Richtige Diagnose "ohne zwingenden Grund abgelehnt"

Tatsächlich drückte ein Tumor auf das Rückenmark. Den richtigen Verdacht habe damals nur ein Student im praktischen Jahr gehabt, der das Kind als Erster untersucht hatte. Seine Vorschläge seien von den erfahrenen Ärzten aber "ohne zwingenden Grund abgelehnt" worden, wie der Gutachter feststellte: "Damit wurde gegen bewährte ärztliche Regeln verstoßen." Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte der Tumor ansonsten rechtzeitig entfernt und die Lähmung verhindert werden können.

Zarina trägt ihr Schicksal erstaunlich gefasst. Das freundliche und aufgeschlossene Mädchen lebt in einer betreuten Wohngemeinschaft der Pfennigparade, steht kurz vor dem Abschluss der Fachoberschule und möchte studieren. Dass ihr aber der Staat seit Jahren das Schmerzensgeld verweigert, mit dem sie ihr Leben erträglicher gestalten könnte, macht sie fassungslos. Am Donnerstagnachmittag wurde der SZ mitgeteilt, es seien weitere 50000 Euro überwiesen worden.

© SZ vom 23.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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