Flüchtlinge in der Bayernkaserne:Alleingelassen in der Baracke

Flüchtlinge in der Bayernkaserne: Die Erstaufnahmeeinrichtung für jugendliche Flüchtlinge in der Bayernkaserne.

Die Erstaufnahmeeinrichtung für jugendliche Flüchtlinge in der Bayernkaserne.

(Foto: Stephan Rumpf)

Sie hausen hinter Stacheldraht in einer verfallenden Kaserne: 145 jugendliche Flüchtlinge wohnen in Haus 58 in der Bayernkaserne. Viele von ihnen sind schwer traumatisiert und haben Angst. Angst vor dem Wachdienst, der eigentlich ihre Sicherheit garantieren soll. Ein Besuch.

Von Thomas Anlauf

Sie hausen hinter Stacheldraht, und wer wissen will, wie jugendliche Flüchtlinge in einer verfallenden Kaserne leben, muss an einem Wachmann vorbei. Die Straßen hinter der Sicherheitsschleuse sind menschenleer, rechts und links liegen triste Baracken, marode Massenquartiere.

Vor Haus 58, einem der vielen lang gestreckten dreistöckigen Gebäude der Bayernkaserne, stehen zwei Männer in blauer Uniform und rauchen. Ein gelb-schwarzer Aufnäher am Oberarm nennt den Namen einer Sicherheitsfirma. Die Regierung von Oberbayern hat die Männer angestellt, um für die Sicherheit der 145 jugendlichen Flüchtlinge aus Haus 58 zu garantieren. Doch die fühlen sich ganz und gar nicht sicher. Viele haben Angst - vor den Männern in Uniform.

"Es ist eine aggressive, ablehnende Haltung im Lager", sagt Fadumo Korn. Die aus Somalia stammende Menschenrechtsaktivistin arbeitet als Dolmetscherin mit den jugendlichen Flüchtlingen. Sie selbst erlebe es immer wieder, dass einer der Wachleute sie "anblafft". Ein Jugendlicher sagt gar, die Somalier würden von den Sicherheitsleuten als "Affen" beschimpft. "Der Wachdienst", sagt Margarete Bause, "heizt Konflikte an anstatt zu deeskalieren."

Nach dem Gewaltausbruch vor zwei Wochen, als jugendliche Flüchtlinge mit dem Wachdienst in einen handgreiflichen Konflikt gerieten, macht sich die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag mit ihrer Parteifreundin Claudia Stamm ein Bild von der Erstaufnahmeeinrichtung im Münchner Norden. Sie sprechen hinter verschlossenen Türen mit Jugendlichen, sie lassen sich schildern, wie das Leben für die meist traumatisierten jungen Männer in der Massenunterkunft abläuft. Bauses Fazit ist eindeutig: "Der Wachdienst ist eines der drängendsten Probleme."

"Sie kommen aus Ländern, wo eine Uniform Gewalt bedeutet"

Jeden Abend nach 20 Uhr sind die jungen Leute allein im Haus Nummer 58, nur noch zehn Wachleute sind über das riesige Kasernengelände verteilt. Regelmäßig patrouillieren sie dann durch die kargen, mit Neonröhren beleuchteten Gänge. Die jungen Flüchtlinge erheben schwere Vorwürfe gegen das Personal: Die Männer seien häufig aggressiv, am Abend würden einige von den Wachleuten gemeinsam Alkohol trinken.

Ob die Vorwürfe zutreffen, ist kaum zu klären, aber Fadumo Korn hat Verständnis für die Angst der jungen Flüchtlinge. "Sie kommen aus Ländern, wo eine Uniform Gewalt bedeutet." Und sie weiß, dass einige Somalier in ihrer Heimat "dermaßen schwer misshandelt worden sind", dass es ihr selbst schlecht gehe, wenn ihr die jungen Leute davon berichten.

Bei der Hausbesichtigung von Bause und Stamm am Freitag ist fast keiner der jungen Männer zu sehen. In einer kleinen Pfanne brutzeln Hühnerschenkel, die Küche besteht aus zehn winzigen, zum Teil verkohlten Kochplatten und einem Waschbecken, am Boden fehlen Kacheln. Die Tür und der Rahmen sind schmutzig, auch wenn Stefanie Weber von der Regierung von Oberbayern beteuert, dass die zwei Küchen und die zwei Bäder im Haus täglich gereinigt werden.

"Großreinemachen" vor dem Besuch der Politikerinnen

Der Boden im Gemeinschaftsbad ein paar Schritte hinter der Küche ist tatsächlich noch feucht. Ein junger Mann sagt Bause später, dass in den vergangenen zwei Tagen vor dem Besuch der Politikerinnen "Großreinemachen" war.

Eigentlich sollten in Haus 58, das die Regierung im Dezember von der Stadt übernommen hat, maximal 120 "unbegleitete minderjährige Flüchtlinge" übergangsweise untergebracht werden. Derzeit sind es 138, dazu sieben junge Männer über 18 Jahre, die insgesamt auf 42 Zimmer verteilt leben. Sie sollten, sagt Stefanie Weber, so schnell wie möglich auf Jugendhilfeeinrichtungen verteilt werden, spätestens nach drei Monaten. Denn eine vernünftige Betreuung, die traumatisierte junge Menschen dringend bräuchten, gibt es hier nicht.

Die Innere Mission hat zwar nach den Krawallen Ende Februar vom Sozialministerium kurzfristig vier weitere Betreuungsstellen bewilligt bekommen. Doch damit kann die Zeit, in denen Sozialpädagogen in Haus 58 sind, um höchstens zwei Stunden täglich ausgeweitet werden: auf 22 Uhr unter der Woche und auf 20 Uhr an Wochenenden. In der Nacht sind sie auf sich allein gestellt.

Alleingelassen, so fühlen sich viele Jugendliche hier. Einige warten seit sieben Monaten, dass irgend etwas passiert: dass sie einen Deutschkurs belegen können, dass sie das Lagerleben endlich hinter sich lassen können. Die Regierung sagt, sie will jetzt die Zahl der Jugendlichen in Haus 58 auf 50 bis 70 reduzieren. "Ich will, dass die Jugendlichen hier rauskommen", sagt Stefanie Weber. Nur wie, das weiß sie auch nicht so recht.

Immerhin sucht ihre Behörde nun einen neuen Sicherheitsdienst, von dem bisherigen will man sich trennen. Bis dahin hofft sie einfach auf besseres Wetter, damit sich die Jugendlichen im Freien aufhalten können: "Im Sommer", sagt sie, "ist die Situation hier viel entspannter."

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