Ferientouren durch München:Orientalische Leidenschaften

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Ein Moriskentänzer an einem Stand auf der Auer Dult. (Foto: Stephan Rumpf)

Türkisches war in München schwer in Mode, lange bevor der Döner erfunden wurde. Auch die Wittelsbacher zog es gen Osten - nicht nur mental.

Von Martin Bernstein

Wie sie sich gefühlt haben, die türkischen Kriegsgefangenen, die die Gräben für das Kanalsystem des Blauen Kurfürsten Max Emanuel ausheben mussten? Kaffee konnten sie im bayerischen Zwangsexil wohl noch nicht genießen: Das erste Kaffeehaus Münchens, das Tambosi, wurde erst 1775 eröffnet - von einem Italiener. Der Döner war noch nicht erfunden, das sollte erst 150 Jahre später in Anatolien der Fall sein. Und die Landwehrstraße gab es ebenso wenig wie die Ludwigsvorstadt, zu der sie gehört.

Geschichten aus dem Reich der Legenden

Und doch ging es den etwa 800 nach München verschleppten Janitscharen, Sipahis und Akinci offenbar einigermaßen - zumindest was die Verpflegung betraf. Ein Pfund Brot bekam jeder von ihnen täglich, schreibt der Orientalist Stefan Jakob Wimmer in seinem Buch "München und der Orient". Und er zitiert eine zeitgenössische Quelle: "An Fleischtagen sollen sie zu Mittag gutes Ochsen- oder Rindfleisch, auch Suppen und Kraut, an Festtagen aber gute trächtige Speisen aus Mehl und Schmalz erhalten." Wie die folgende Bestimmung bei den türkischen Muslimen ankam, ist nicht überliefert: "Zum Trunk gebührt einem bei jeder Mahlzeit eine halbe Maß Bier."

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Bald gehörte es in Münchens gehobener Gesellschaft zum guten Ton, einen Türken als Kammerdiener oder Sänftenträger zu haben. An diejenigen, die beim Bau des Kanalsystems des Osmanenbezwingers Max Emanuel mitarbeiten mussten, erinnert noch heute die Türkenstraße. Dass aber das gesamte Kanalsystem zwischen Würm, Isar und Amper, zwischen Nymphenburg, Schleißheim und der Residenz ein Werk türkischer Zwangsarbeiter war, wie gerne kolportiert wird, gehört ins Reich der Legenden. Denn im Jahr 1699 kehrten nach dem Frieden von Karlowitz die türkischen Kriegsgefangenen wieder in ihre Heimat zurück.

Alle türkischen Kriegsgefangenen? Nicht alle - denn einige blieben laut Wimmer als mittlerweile gut katholisch getaufte Freigelassene in München zurück - wenn auch außerhalb der Stadtmauern, in der Au und in Haidhausen. Ihre Familien lassen sich noch einige Zeit verfolgen, dann gingen sie im für München typischen Völkergemisch auf.

Osmanische Krieger als Urahnen

Ein kleines Gedankenexperiment sei erlaubt: Wenn nur 20 Janitscharen freiwillig in München blieben und sich in jeder Generation die Zahl ihrer Nachkommen nur verdoppelte - dann hätte jeder zwanzigste Münchner des Jahres 2015 einen osmanischen Krieger als Urahnen.

Die Einwanderer aus dem Orient und ihre Kinder und Enkel erlebten, wie Türkisches im 18. Jahrhundert in München schwer in Mode kam. Kein Wunder - die Kriegsgefahr war gebannt, anstelle der militärischen Konfrontation und der Angst vor den Fremdgläubigen trat der Reiz des Exotischen. Man trank Kaffee und hörte "türkische Märsche" (zumindest das, was Komponisten sich darunter vorstellten). Und auch in der Architektur richtete sich der Blick nach Osten. Bayerns vorletzter Kurfürst Karl Theodor ließ zwar nicht in München, sondern in der von ihm deutlich mehr geliebten Pfalz von 1779 an im Schlosspark von Schwetzingen eine Gartenmoschee im barock-arabischen Mischstil bauen.

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Doch Karl Theodors Nachfolger Max Joseph schenkte seinen Kindern im Schlosspark von Nymphenburg einen türkischen Gartenpavillon, einen Kösk - unser Wort Kiosk stammt davon ab. Das Häuschen neben dem Südflügel der barocken Schlossanlage ist noch heute von einem osmanischen Halbmond gekrönt.

Als Kind wird wohl auch Max Josephs in Nymphenburg geborener Urenkel Ludwig, der spätere Märchenkönig, in dem türkischen Pavillon gespielt haben. Wie viel seiner Orientbegeisterung dieser Kindheitserinnerung zu verdanken ist, kann Spekulation bleiben. Denn die Wittelsbacher zog es im 19. Jahrhundert nicht nur mental nach Osten, sondern ganz konkret. Ludwigs Onkel Otto war erster König des von den Türken befreiten Griechenland geworden, das damals noch ganz orientalisch geprägt war. Ludwigs Vater Max II. hatte seinen Bruder und den türkischen Sultan 1833 als Kronprinz besucht und in seinem Schloss in Hohenschwangau ein Orientzimmer einrichten lassen.

Ludwig selbst lebte sein Faible für den Orient in den Bergen aus - auf Schloss Linderhof, wo es einen maurischen Kiosk und ein marokkanisches Haus gibt, und auf dem Schachen, wo ein von außen alpenländisches Holzhaus im Inneren zum orientalischen Palast mutiert.

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München und der Orient - das ist aber nicht nur eine Geschichte von Kriegern und Herrschern. Sie begann auch nicht erst mit den Türkenkriegen der Barockzeit. "Typisch München!" heißt die Dauerausstellung im Stadtmuseum. Und gleich am Anfang stehen, wie könnte es anders sein, Erasmus Grassers Moriskentänzer. Der spätgotische Oberpfälzer Bildhauer hat sie 1480 geschnitzt. Ursprünglich zierten sie den Saal des Tanzhauses - heute ist es das Alte Rathaus.

"Morisken" nannte man im Spätmittelalter die ursprünglich muslimischen, arabisch- oder berberstämmigen Bewohner Spaniens, die während und nach der christlichen Reconquista zwangsgetauft oder aus dem Land vertrieben wurden. Und tatsächlich: Einer der zehn noch erhaltenen Münchner Moriskentänzer ist ein "Mohr", wie man damals sagte - ein Afrikaner. Zwei andere tragen Turbane. Ob die Figuren des Moriskentanzes tatsächlich auf die Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen im mittelalterlichen Spanien zurückgehen, ist in der Forschung umstritten. Gut möglich aber, dass unter den Tänzern, die damals durch Europa tingelten und sicher auch in München Station machten, Orientalen vertreten waren.

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Die Moriskentänzer sind nicht die einzige München-Ikone, die auf orientalische Einflüsse zurückgeht. Gut 400 Jahre nach Grasser sammelten Münchner Künstler Anregungen im Orient: Wassily Kandinsky reiste 1904 nach Tunis, Paul Klee und August Macke zehn Jahre später. Der "Blaue Reiter" ist ohne diese Einflüsse nicht denkbar, wovon man sich im Lenbachhaus überzeugen kann.

Überhaupt, die Münchner Sammlungen und Museen: Der Orient ist in ihnen allgegenwärtig. Im Völkerkundemuseum "Fünf Kontinente" an der Maximilianstraße gibt es seit 1987 eine orientalische Abteilung, in der ausgewählte Stücke aus der muslimischen Welt prachtvoll in Szene gesetzt werden. Die Bayerische Staatsbibliothek besitzt - schon seit der Renaissance-Zeit - eine der weltweit wichtigsten Sammlungen orientalischer Literatur. Die ältesten islamischen Handschriften stammen aus dem achten Jahrhundert. Auch sie kann man besichtigen: mit der Smartphone-App "Oriental Books".

© SZ vom 07.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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