Erzieherstreik:Der Mann im Fellkleid

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Warten auf Wertschätzung: Skelette auf dem Marienplatz. (Foto: Robert Haas)

Verdi lädt Eltern ein, gemeinsam für höhere Gehälter im Sozial- und Erziehungsdienst zu demonstrieren. Als Feindbild soll Münchens Personalreferent Thomas Böhle herhalten, doch dabei wird auch klar: Die Solidarität der Mütter und Väter hat ihre Grenzen.

Von Melanie Staudinger

"Herr Böhle, komm aus deiner Höhle", steht auf einem Plakat, das ein paar Leute an diesem Mittwochmittag auf dem Marienplatz in die Höhe halten. Darunter: ein Bild vom Münchner Personalreferenten, stilisiert als Höhlenmensch mit Fellkleid. Andere haben ein Lastenrad mitgebracht, das Böhle-Mobil mit einer Figur des Mannes, der für die Gehälter der städtischen Angestellten verantwortlich ist. Die Aufschrift: "Wir bewegen dich. Ignoranz hilft nichts." Dahinter laufen drei Menschen als Sensenmänner verkleidet umher. "Wir lassen uns nicht aushungern", skandieren sie. Verdi hat einmal mehr zur Streikkundgebung im Sozial- und Erziehungsdienst aufgerufen - etwa 2500 Protestler sind gekommen.

Nun stehen sie vor dem Rathaus - direkt unter dem Büro von Thomas Böhle. Der hat eine Doppelfunktion: In der Stadtverwaltung ist er für die Beschäftigten zuständig - und gleichzeitig ist er Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA), die eine generelle Gehaltserhöhung ablehnt, weil dies das Einkommensgefüge im öffentlichen Dienst durcheinanderbringe. Der oberste Repräsentant jener Arbeitgeber also, denen die Gewerkschaft Verdi unterstellt, dass sie die Streikenden aushungern lassen wollen. Dass sie die Eltern gegen die Streikenden aufbringen wollen, die ihre Kinder derzeit nicht in die Tagesstätten bringen können. Verdi will den Städten und Gemeinden, und an diesem Mittwoch vor allem Böhle, zeigen, dass Eltern, Erzieher, Sozialpädagogen, Heilpädagogen und Kinderpfleger aber an einem Strang ziehen - und hat deshalb zu einer gemeinsamen Demonstration aufgerufen.

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(Foto: Robert Haas)

Auf dem Marienplatz fordern 2500 Protestler mehr Geld für Erzieher, darunter auch Skelette, die sich "nicht aushungern" lassen wollen.

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(Foto: Robert Haas)

Verdi-Geschäftsführer Heinrich Birner (links) bekommt auf dem Marienplatz Unterstützung von "Isar-Indianer" Willy Michl.

Auf der Bühne - auf der eben noch der Isar-Indianer Willy Michl ein paar Streik-Lieder geträllert hat - spricht daher auch eine Mutter. "Wundervolle, hochwertige Arbeit" leisten die Erzieher in der Kita ihres Sohnes. Sie persönlich empfinde es als Unverschämtheit, dass die Arbeitgeber die Eltern gegen die Erzieher aufwiegeln wollten. Heinrich Birner, Verdi-Geschäftsführer für München und die Region, wird sehr grundsätzlich. Bei der Tarifrunde gehe es um eine Frage: "Wie viel ist unserer Gesellschaft die Arbeit mit Menschen wert?"

Personalreferent Böhle schaut sich derweil Teile der Demo von seinem Fenster im dritten Stock aus an. Herausgekommen aus seiner Höhle ist er nicht, wohl aber ist er anschließend nach Frankfurt gefahren, wo sich am Donnerstag die kommunalen Arbeitgeber zu einer Mitgliederversammlung treffen. "Vielleicht bringt das Bewegung", sagt eine Erzieherin. Sie wolle endlich wieder arbeiten gehen. Und auch die Eltern gelangen langsam ans Ende ihrer Kräfte. Das zeigt sich bei der zweiten Veranstaltungen am Mittwoch, die Dagmar Berwanger gut dreieinhalb Stunden später auf dem Marienplatz angemeldet hat. "Nach drei Wochen Streik geht uns die Puste aus", sagt die Psychologin und Mutter. Gewerkschaften und Arbeitgeber müssten endlich wieder verhandeln und den Ausstand beenden. Ihre gut 600 Zuhörer - viele von ihnen haben ihre Kinder mitgebracht - applaudieren. Dann erklärt Berwanger, dass sie eigentlich eine Plattform hätte schaffen wollen. Verdi und GEW schickten ihre Vertreter, die Stadtspitze und der Arbeitgeberverband fehlt. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sei im Urlaub, Schulbürgermeisterin Christine Strobl terminlich verhindert. Das Bildungsreferat habe abgesagt, ebenso der Arbeitgeberverband, dessen Chefs bekanntlich auf dem Weg nach Frankfurt sind. Die Eltern quittieren das mit Buh-Rufen. "Für die Meisterfeier des FC Bayern hatte Reiter Zeit, für uns nicht", sagt ein Vater.

SZ-Grafik (Foto: N/A)

Dem Unmut der Familien müssen sich daher die Gewerkschafter Birner und Anton Salzbrunn von der GEW alleine stellen. "Gibt es außer uns Eltern kein anderes Druckmittel?", fragt eine Mutter. Wenn das so weitergehe, könne sie sich ja gleich arbeitslos melden, sagt eine andere. Der Vorgesetzte sei ohnehin schon sauer, weil sie schon so lange fehle. "Einigt euch jetzt" oder "Verdi, entlass uns aus der Geiselhaft", haben manche auf Plakate geschrieben. Kinder tragen Schilder: "Wann darf ich wieder in den Kindergarten?"

Berwanger betont, dass ihre Initiative auf der Seite der Erzieher und Kinderpfleger stehe. Man wolle sie nicht an den Pranger stellen, sondern gemeinsam eine Lösung finden. Doch die entscheidende Frage, was Eltern denn jetzt tun sollen, bleibt auch an diesem Mittwoch unbeantwortet. Der Streik gehe weiter, solange kein akzeptables Angebot der Arbeitgeber vorliege, sagt Birner, der noch einmal mit Elternvertretern über Härtefälle sprechen will. Und so bleibt den Familien wohl nur, weiter Druck auszuüben. Das will auch Berwanger tun: "Wir werden immer wieder mit unseren Kindern ins Rathaus kommen, bis wir etwas erreichen."

© SZ vom 28.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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