Erfahrungsaustausch:Von wegen Ferien: "Man hat ständig Stress"

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Die Kinder haben 14 Wochen schulfrei im Jahr, die Eltern nur 30 Tage Urlaub: Viele Familien schaffen es nur dank ausgefeilter Logistik, eine lückenlose Betreuung der Kleinen hinzubekommen. Vier Münchner Mütter erzählen vom Alltagswahnsinn im August

Interview von Melanie Staudinger

"Vielleicht sollte man mit Freunden eine eigene Betreuung organisieren" - zumindest beim SZ-Gespräch mit vier Familien hat das gut geklappt. Von links: Johanna Buchner, Irmgard Buchner, Isabella Buchner, Sandra Blühdorn, Marlotta Stehr, Nina Stehr, Anna Seliger, Petra Warth, Maximilian Warth und Teresa (Foto: Florian Peljak)

Schule aus, Sommerferien. Was Kinder erfreut, stellt ihre Eltern oftmals vor große Herausforderungen. 14 Wochen haben die Schulen im Jahr geschlossen. Wer keinen Hortplatz hat, muss viele Tage überbrücken. Nina Stehr (eine Tochter), Sandra Blühdorn (einen Sohn und eine Tochter), Irmgard Buchner (zwei Töchter) und Petra Warth (einen Sohn und eine Tochter) kennen die Situation gut. Planung und Organisation fangen meist schon kurz nach Weihnachten an. Sie diskutieren mit Anna Seliger von der Ferienakademie Applaus, welche Angebote Münchner Familien tatsächlich weiterhelfen.

SZ: Wie schwer tun sich Münchner Familien mit der Familienplanung?

Nina Stehr: Ohne familiären Background ist es wirklich kompliziert. Unsere Oma arbeitet selbst noch voll. Ihre freien Tage müssen wir aufsparen, zum Beispiel wenn unsere Tochter krank ist. Freunde von uns machen das genauso und haben deswegen ihren gemeinsamen Familienurlaub mittlerweile auf die Pfingstferien verlegt.

Petra Warth: Ich frage mich immer, ob unsere Mütter diese Problematik auch schon hatten. Wenn man Glück hat, leben die Großeltern in der Nähe und können im Notfall einspringen. Das ist Gold wert.

Stehr: Früher waren die Omas eben meistens nicht berufstätig wie heute. Und wenn sie jetzt in Rente sind, sind sie ständig auf Reisen oder beschäftigt.

SZ: Wie organisieren Sie die Ferien dann?

Sandra Blühdorn: Wir mischen Hort und Ferienbetreuung. Auf die Großeltern und Freunde sind wir auch angewiesen. Ohne ein Netzwerk würden wir das nicht hinkriegen. Ich kenne von sämtlichen Freunden meiner Kinder das Nachmittagsprogramm. So weiß ich immer, wer gegebenenfalls aushelfen kann, wenn es zeitlich eng wird.

Stehr: Bei uns in Trudering funktioniert das Netzwerk der Muttis sehr gut. Viele von uns sind berufstätig. Wir organisieren uns untereinander, wenn jemand einen Termin hat oder über Nacht verreist ist. Ich weiß, wohin meine Tochter gehen kann, wenn Schule oder Hort mal eher aus sind. Und als es vor ein paar Jahren mal den großen Kita-Streik gab, haben wir auch eine Lösung gefunden. Da haben wir uns wochenweise abgelöst.

Warth: Bei uns im Glockenbachviertel läuft das ähnlich. Wenn eine Familie mal keine Zeit hat, nehmen andere das Kind vom Turnen mit nach Hause. Ich kann jedem nur raten, Netzwerke zu knüpfen.

Blühdorn: Ja, da merkt man, wie wichtig das Smartphone ist. Ohne Whatsapp würde die Organisation nicht funktionieren.

Irmgard Buchner: Mein Mann und ich planen im Januar das ganze Jahr durch. Welche Wochen übernehmen wir selbst, wann lassen wir die Kinder betreuen? Und welche dieser Wochen machen die Großeltern und wo müssen wir ein Programm suchen?

Blühdorn: Und wenn alles fix ist, kommt das Kind am ersten Ferientag nach Hause und will nicht mehr hingehen. Ich verstehe das sogar. Auch Kinder wollen nicht jeden Tag in der Früh herausgescheucht und weggebracht werden. Wir hetzen in den Ferien oft genauso wie an Schultagen. Das erfordert viel Logistik.

SZ: Gibt es denn genug Angebote?

Anna Seliger: Es gibt viele Ferienprogramme in der Stadt, aber zu wenige, die Familien sich leisten können.

Stehr: Manche kosten horrende Summen. Für den letzten Reitkurs haben wir 300 Euro die Woche bezahlt.

Blühdorn: Weil wir zwei Kinder haben, verdoppelt sich alles. Wir müssten dann bis zu 600 Euro für vier Tage bezahlen.

Buchner: Leider lassen sich nicht alle Kurse von der Steuer absetzen. Ich buche daher nur Programme, die eine echte Ferienbetreuung sind. Dann können wir es absetzen. Ich wundere mich immer, dass kein Anbieter damit wirbt.

Stehr: Aber machen wir uns doch nichts vor. Von vielen Anbietern bekommt man doch nicht einmal eine Rechnung. Andererseits sind die Preise irgendwie auch ein Qualitätskriterium.

SZ: Wie meinen Sie das?

Stehr: Was nichts kostet, ist nichts. Das hört man doch immer wieder.

Blühdorn: Wer ein hochwertiges Programm mit gutem Personal will, muss dafür auch etwas bezahlen.

Seliger: Viele Eltern gehen nach dem Preis, weil sie denken, dass teure Angebote besser sind. Das stimmt so aber nicht. Auch für 75 Euro pro Woche gibt es gute Programme.

SZ: Auf was achten Sie noch, wenn Sie ein Ferienprogramm buchen?

Stehr: Man muss zum Beispiel aufpassen, dass auch in den Ferien die Betreuungszeiten mit den Arbeitszeiten zusammenpassen. Reiterferien habe ich zum Beispiel nur außerhalb Münchens gefunden, in Parsdorf oder Ismaning. Da bin ich ja ewig unterwegs. Wenn ich in der Arbeit angekommen bin, kann ich fast schon wieder zurückfahren.

Buchner: Ja, es geht nicht nur ums Geld, der Fahrtweg muss auch passen.

Blühdorn: Die Schulzeit ist ohnehin schon so durchgetaktet. Und in den Ferien karren wir die Kinder durch die Gegend, sie kommen in eine Gruppe, in der sie niemanden kennen, und müssen ständig neue Sachen machen. Meine Tochter würde gerne mal in Ruhe spielen. Aber in vielen Ferienprogrammen ist ständig etwas los. Vielleicht sollte man mit Freunden eine eigene Betreuung organisieren. Da kennen sich die Kinder und können auch mal nichts machen.

Seliger: Kinder brauchen Zeit für sich. Solche Angebote gibt es auch. Aber die muss man unter allen Angeboten erst finden.

Stehr: Und man muss zum Zug kommen. Die Stadt etwa bietet auch schöne Feriencamps. Aber die sind schneller ausverkauft als das Konzert der Rolling Stones. Wir haben es letztes Mal online probiert und haben die Oma extra noch hingeschickt zum Vorverkaufsstart. Es war unmöglich, einen Platz zu kriegen

Warth: Dieses Problem kennen wir in München. Man hat ständig Stress, bis die Kinder überall angemeldet sind.

SZ: Es fehlt ein Überblick?

Seliger: Ich glaube schon. Man kann derzeit nur herausfinden, ob ein Programm gut ist, wenn man es ausprobiert.

Buchner: Nur kann man nicht jedes Programm vorher selbst ausprobieren.

Warth: Allgemein werden die Programme besser. Die richtig Guten sind aber sehr versprengt. Da muss man gut recherchieren.

Blühdorn: Eine zentrale Plattform würde helfen, auf der Ferienbetreuung nach Qualitätskriterien bewertet wird. Jeder Anbieter könnte sein Angebot einstellen und die Eltern könnten das Programm bewerten.

SZ: Dann aber bleibt es wieder an den Eltern hängen?

Seliger: Ich glaube, dass der Staat in der Pflicht steht. Er sollte mit der Stadt die Ferienbetreuung bereitstellen und bezahlen. Dann muss nicht jede Familie wieder von vorne anfangen. Wir sprechen hier ja von Zehntausenden Kindern in der Stadt

Warth: Der Bedarf für eine Ferienbetreuung ist in Ballungsräumen wie München viel höher als auf dem Land. So viele Kinder muss man erst einmal unterbringen.

Seliger: Es wäre schön, wenn der Ausbau der Infrastruktur nicht immer hinterherhinken würde. Dann gäbe es den Kampf um die guten, bezahlbaren Plätze gar nicht.

Stehr: Ein einheitliches Angebot würde das Planen sehr erleichtern. Dann würde man nicht gleich zum Nervenbündel, wenn mal was nicht so läuft wie gedacht.

© SZ vom 10.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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