SZ-Interview:Armut hat oft tragische Gründe

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Tanja Voges hat vor elf Jahren die Tafel in Hallbergmoos gegründet und leitet sie bis heute. Inzwischen ist aus der Idee eine kleine Firma geworden. Die Helfer setzen dabei auf Kundenfreundlichkeit, das Leitmotto aber ist: Hilfe zur Selbsthilfe

Interview von Alexandra Vettori, Hallbergmoos

380 Menschen haben derzeit einen Berechtigungsschein für die Hallbergmooser Tafel, die auch Neufahrner und Echinger Bürgern offen steht. Die Zahl steigt kontinuierlich, längst ist die Tafel auf Raumsuche, um sich vergrößern zu können. Tanja Voges, 46, hat die Ausgabe von gespendeten Lebensmitteln vor elf Jahren ins Leben gerufen und leitet die Einrichtung bis heute.

SZ: Was hat Sie dazu bewogen, eine Tafel zu gründen und sie immerhin bereits elf Jahre lang zu leiten?

Voges: Ich bin gern unter Menschen, aber nicht so der Vereins- und Tupper-Party-Typ. Trotz meiner Zeit im Mutterschutz wollte ich damals etwas Sinnvolles tun. Am Anfang war es übrigens schwer, ernst genommen zu werden, manch einer belächelte die Idee. Sogar von gelangweilten Hausfrauen, die nur in die Zeitung wollen, war die Rede. Heute ist die Akzeptanz riesengroß, bei Privatspendern, Sponsoren und vor allem bei den Kommunen.

Die kommunale Unterstützung außerhalb von Hallbergmoos war nicht immer so groß...

Nein, mit der Gemeinde Neufahrn gab es anfangs ziemliche Probleme, der damalige Bürgermeister wollte das Thema Armut am liebsten totschweigen. Doch mittlerweile werden wir dort von vielen Helfern und von der Gemeinde vorbildlich unterstützt. Auch in Eching haben wir zehn Helfer, das läuft alles gut. Mehr Freiwillige können es aber immer sein, wir freuen uns über jedes neue Gesicht.

Erhalten Sie auch Einblick in die Probleme der Menschen, die zur Tafel kommen, in die Ursachen für ihre Armut?

Ja. Vor allem durch unsere Kaffeeecke haben wir einen Raum für Austausch. Nach der Essensausgabe mache ich hier meine Runde und unterhalte mich mit den Leuten. Bei echten Problemfällen gehe ich zu Einzelgesprächen ins Büro. Entgegen weit verbreiteter Meinungen, dass nur Arbeitsscheue oder Ausländer zur Tafel gehen, ist es oft so, dass es tragische Gründe hat. Arbeitslosigkeit wegen Krankheit, Sucht, Trennung, Alleinerziehende. Ein großer Teil der Betroffenen sind Rentner. Die Altersarmut macht mir seit Jahren Sorgen. Denn diese Menschen schämen sich, weil sie ihr Leben lang gearbeitet haben, beim Verlust des Partners jedoch mit einer minimalen Rente da stehen. Und deshalb wird an der Hallbergmooser Tafel Kundenfreundlichkeit auch so groß geschrieben?

Ja. Wobei wir mit unseren Kunden schon auch ehrlich und gerade umgehen. Unsere Helfer sind motiviert, fragen nach, das ist genauso wichtig wie die Essensausgabe selber. Unser Leitmotto aber ist: Hilfe zur Selbsthilfe - und da ist neben Zuhören und Amtsberatung auch mal der berühmte Tritt in den Hintern nötig. Wir haben zum Beispiel einmal Gutscheine für Jugendliche ausgegeben, da waren ein Friseurbesuch, Hilfe beim Schreiben einer Bewerbung und passende Klamotten aus unserer Kleiderkammer dabei. Von vier Jugendlichen sind daraufhin drei vermittelt worden, einer ist zur Bundeswehr gegangen. Oder jetzt gerade gibt es Gutscheine für die Schulausstattung zum neuen Schuljahr, das geht ja immer richtig ins Geld. Wie läuft ein Tag an der Tafel ab?

Der Haupttafeltag ist der Mittwoch. Um acht Uhr fährt ein zweiköpfiges Team mit dem Tafelbus los, um Waren einzusammeln. Angefahren werden Gemüsebauern, Metzger, Bäcker, Lebensmittelläden und die Flughafentankstelle. Gegen 10 Uhr kommt ein Sortierer-Team aus fünf bis sechs Helfern, um die Ware zu kontrollieren, auszusortieren und ansprechend zu präsentieren. Um 14.30 Uhr kommt das Ausgabeteam, bestehend aus sieben Helfern, die Fahrer aus Eching und Neufahrn helfen auch mit. Um 15 Uhr werden die Nummern verteilt, die Kunden zeigen ihren Tafelausweis vor, den sie von mir nach Prüfung der Bedürftigkeit bekommen haben, und zahlen einen Euro.

Und dann gibt es noch viel außerhalb der Lebensmittelausgabe zu tun...

Allerdings. Die Tafel ist von einer Idee zu einer kleinen Firma geworden - und da gibt es auch viele Vorschriften. Es gibt Dienstpläne und jede Menge Bürokratisches. Es müssen Protokolle über Kühltemperaturen geführt werden, der Kontakt zum Tafelverband ist zu halten, Müll zu entsorgen. Dazu öffnen wir noch die Kleiderkammer einmal im Monat, auch da fällt eine Menge Arbeit an, mit Sichten und Sortieren der Kleidung, Ausgabe und Entsorgung übrig gebliebener Ware. In unserem weltbesten Tafelteam ist sich niemand für nichts zu schade und packt mit an.

Auch die Spendenbereitschaft lässt keine Wünsche offen?

Nein, die ist sehr hoch, sowohl von gewerblichen Spendern, Privatleuten, Vereinen oder Firmen. Allerdings fragen gerade Großspender nach der Asylsituation und machen davon dann auch ihre Spenden abhängig.

Inwiefern?

Zum einen wird manchmal kritisiert, dass wir Asylbewerber abweisen. Aber wir bleiben dabei, dass nur anerkannte Flüchtlinge, die Hartz IV-berechtigt sind, einkaufen dürfen. Denn für die Asylbewerber sorgt der Staat anderweitig, sie bekommen Essen und Taschengeld. Noch mehr Spender sehen das wie wir und würden nicht spenden, wenn wir es anders machen würden.

Der Tafel stehen neue Zeiten ins Haus, vielleicht sogar in ein eigenes?

Neue Zeiten auf jeden Fall, wir sind im Gespräch mit der Gemeinde über größere Räume, aber wirklich spruchreif ist noch nichts. Fakt ist, wir brauchen dringend mehr Platz, vor allem zum Lagern.

© SZ vom 29.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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