Pliening:Gefährliche Bäume

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Das Staatliche Bauamt in Rosenheim und die Untere Naturschutzbehörde ringen seit Jahren um die Pappelallee zwischen Landsham und Pliening

Von Alexandra Leuthner, Pliening

"Alberi pericolosi" liest man, wenn man auf den Straßen Italiens unterwegs ist, manchmal auf rot-weiß-gestreiften Warnschildern am Straßenrand. Sie stehen unmittelbar vor den dicken Stämmen von "gefährlichen Bäumen" und warnen den Autofahrer, der nicht schon selbst eingesehen hat, dass der Straßenraum für 95 Sachen vielleicht zu eng sein könnte, explizit vor der Gefahr, die von der ungezügelten Natur am Straßenrand ausgeht.

In Deutschland sind solche Schilder nicht nötig, weil gefährliche Bäume nicht beschildert, sondern beschnitten werden. Oder abgeschnitten. So geschehen zwischen Landsham und Pliening entlang der Staatsstraße 2082, wo noch vor einigen Jahren eine Pappelallee stand und als weithin sichtbares Landschaftsmerkmal dem Auge Halt bot in der flachen Weite. Bis das Straßenbauamt einschritt und die Bäume nach und nach umsägen ließ.

"Da hätten niemals Pappeln gepflanzt werden dürfen", sagt Horst Zandtner, der Zuständige beim Straßenbauamt Rosenheim. Pappeln seien Bäume, die selbst im gesunden Zustand große Äste abwürfen. "Wir sind für die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer verantwortlich. Auf der Staatsstraße 2082 sind täglich 16 000 Fahrzeuge unterwegs." Nachdem bei den ersten Pappeln die "Vitalität nur noch sehr eingeschränkt erkennbar war", schrieb Bauoberrat Frank Ruckdäschel vom Straßenbauamt an den Plieninger Ortsvorsitzenden des Bund Naturschutz, Franz Höcherl, habe das Amt im Jahr 2012 ein Gutachten in Auftrag gegeben. Mit dem Ergebnis, dass "die Beseitigung weiterer Bäume unumgänglich sei. "Einige der Bäume waren innen hohl", weitere durch den Pappelbock geschwächt, schreibt Ruckdäschel. Nach der Fällung einer Pappel im August 2012 fielen weitere im Jahr darauf, im März dieses Jahres schließlich die letzten. Zum Unmut von Naturschützern, Gemeindeverwaltung und vielen Bürgern. In Pliening tröstete man sich jedoch mit dem Gedanken, dass die jahrzehntealten Pappeln eines Tages ersetzt würden, durch robustere Bäume.

Im Gemeinderat hatte man sich 2011 bereits für Eichen als Pappelersatz entschieden, berichtet Johann Taschner von der Unteren Naturschutzbehörde im Ebersberger Landratsamt. Bis dahin hatte das Straßenbauamt in Rosenheim noch eine Nachpflanzung in Aussicht gestellt, zumal dort immer wieder betont wurde, sich der Bedeutung der Allee für das Landschaftsbild bewusst zu sein. Diese Bedeutung sieht man auch bei der Unteren Naturschutzbehörde, die ihr Einvernehmen zu den Fällungen nur zähneknirschend gegeben hatte. "Wir fühlen uns ein wenig über den Tisch gezogen", sagt Taschner. "Wenn wir gewusst hätten, dass das so ausgeht, hätten wir uns nicht so kooperativ gezeigt."

Bis 2011 habe das Straßenbauamt seine Zusage auf Nachpflanzung aufrecht erhalten, im November 2013 habe es dann aber eine Stellungnahme geschickt, in der es hieß, Neuanpflanzungen könnten im Hinblick auf die Verkehrssicherheit und das Freihalten des Straßenraums von Hindernissen nur noch in erheblich größerem Abstand von der Straße als bisher angelegt werden. Von 4,50 Meter sei darin die Rede gewesen. In seinem Schreiben an den Plieninger BN-Vorsitzenden spricht Bauoberrat Ruckdäschel sogar von 7,50 bis 9 Meter Abstand, die in diesem Abschnitt der Staatsstraße 2082 Gültigkeit hätten. Der Abstand sei von der zulässigen Geschwindigkeit abhängig, so die Richtlinien zum Straßenausbau. "Das aber sind Verwaltungsrichtlinien, kein Gesetz", sagt Taschner. Die Höchstgeschwindigkeit an dem betreffenden Straßenstück ist auf 80 Kilometer pro Stunde begrenzt.

Natürlich, sagt Taschner, sei die Verkehrssicherung ein hohes Gut, aber der Schutz alter Bäume sei es auch. Deren Entfernung stelle nicht nur einen großen Eingriff ins Landschaftsbild dar, jeder Baum habe auch ein Kleinklima, das zerstört werde. Auch das Umweltministerium fordere ganz konkret Ersatzpflanzungen, wenn so große Straßenbäume entfernt würden. In einem Schreiben an das Landratsamt Starnberg, aus dem Taschner zitiert, habe das Ministerium ausdrücklich Kompensation für solche Fälle verlangt. So sollten, wenn es gar nicht anders möglich sei, an anderer Stelle neue Bäume gepflanzt werden - was das Straßenbauamt, wie Horst Zandtner sagt, immer wieder tue, wenn es etwa Grundstücksreste beim Straßenbau bekommen könne. Die Pflicht zur Kompensation, etwa zu Zahlungen an den Bayerischen Naturschutzfonds, verneint allerdings Bauoberrat Ruckdäschel.

Nun haben sich, wie eine Nachfrage im Bayerischen Innenministerium ergab, in den zehn Jahren von 2005 bis 2014 in Bayern 1 079 tödliche Unfälle mit Bäumen ereignet. Die Verkehrssicherungspflicht erlege jedem auf, der eine Gefahrenquelle schaffe oder für sie verantwortlich ist, Schutzvorkehrungen gegen die daraus resultierenden Gefahren zu treffen, heißt es weiter in dem ministeriellen Schreiben. Wo denn "plötzlich und sozusagen über Nacht die enorme Verkehrsgefährdung hergekommen sein soll", fragt der BN-Vorsitzende Höcherl. "Ich wohne seit 30 Jahren in der Gemeinde, kann mich aber nicht an einen einzigen Fall erinnern, wo normal fahrende Verkehrsteilnehmer von einem Baum erschlagen oder von einem Ast verletzt worden sind." Tatsächlich hat es auf Staatsstraße 2082 zwischen Kirchheim und Pliening in den fünf Jahren von 2010 und 2014 drei Mal gekracht - allerdings mit lediglich leicht Verletzten - weil Autofahrer gegen einen der Bäume gefahren waren. "Vielleicht wegen Schneeglätte oder weil wieder mal einer zu langsam gefahren ist", sagt Plienings Bürgermeister Roland Frick (CSU) mit unüberhörbarem Sarkasmus in seiner Stimme . "Wir haben geredet und geredet mit dem Straßenbauamt, aber klar, jeder Baum an einer Straße ist einer zu viel. Man kann sich auch totregulieren."

Was ihn vor allem ärgere, sagt Frick, sei die Ungleichbehandlung der Gemeinden. So das Beispiel der B 304 kurz vor der Ortseinfahrt Eglharting. Weithin sichtbar sind hier junge Eichen zwischen alte Eschen gepflanzt worden, zum Teil hinter einem Parkplatz, zum Teil aber auch direkt an der Straße. Die Zöglinge zwischen den Altstämmen sind noch mit Pfosten gestützt. "Und dann schauen Sie die Straße zwischen Poing und Parsdorf, und zwischen Poing und Grub an." Auch zwischen Pliening und Finsing , wo noch Reste der früheren Allee stehen, die sich von Kirchheim über Pliening bis Finsing zog, sei nachgepflanzt worden. "Überall geht's, nur nicht bei uns", schimpft Frick. "Wir sind hier die Deppen der Nation." Für die Nachpflanzungen in Richtung Finsing habe sich das Straßenbauamt nicht verantwortlich gezeigt, berichtet Frick, auch von den Eichen vor Eglharting will man in Rosenheim nichts wissen. Wer das veranlasst habe, könne er nicht sagen, erklärt Straßenbauamtsvertreter Zandtner, möglicherweise sei das die eigene Grünbauabteilung gewesen. Er hätte Neuanpflanzung an dieser Stelle jedenfalls nicht genehmigt. Allerdings sei die Geschwindigkeit an dieser Stelle auch weniger hoch als an der Staatsstraße 2082 vor Pliening.

Warum dort so gar kein Weg zu einer Neupflanzung führen soll, ist Bürgern, gemeinde und Naturschützern jedenfalls nicht klar. Geschwindigkeitsbegrenzungen in Alleen schließt das Innenministerium explizit nicht aus, als Möglichkeit der Verkehrssicherung, auch Schutzplanken wären eine Möglichkeit. Johann Taschner von der Unteren Naturschutzbehörde weist auf eine weitere Ungereimtheit in der Angelegenheit hin. Das Straßenbauamt habe ursprünglich zugesagt, in der Sache nach altem Recht zu verfahren. Weil es ja nicht um die Neuanlage einer Straße gehe, die in den Richtlinien für die Anlage von Landstraßen von 2012 (RAL) bis auf den Millimeter geregelt ist, sondern um eine bestehende Straße und eine Nachpflanzung, wäre dann nur ein Mindestabstand von 3,50 Meter vorgesehen. Damit aber wäre wohl ausreichend Raum für Neupflanzungen vorhanden, darin sind sich Taschner und die Gemeinde Pliening einig. "Der Straßengrund gehört dem Freistaat und der Rad- und Gehweg daneben auch", sagt die geschäftsleitende Beamte der Gemeinde Pliening, Gabriele Jung. "Wir müssten hinter dem Radweg pflanzen, Die Bauern aber geben keinen Zentimeter her, da ist jeder Quadratzentimeter Gold wert", hält Horst Zandtner entgegen.

Dass in der Angelegenheit das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, lässt zumindest die spürbare Verärgerung bei Johann Taschner vermuten. "Wir sind eine Staatsbehörde und das Straßenbauamt ist das auch. Die eine Behörde hat der anderen keine Anweisungen zu geben. Aber ich glaube, mit einem bisschen guten Willen, wäre die Sache zu lösen." Aber vielleicht gibt es noch Hoffnung für die Verfechter einer neuen Allee. "Wenn uns Grund angeboten würde, würden wir nicht nein sagen", sagt jedenfalls Horst Zandtner. Und dann gibt es noch einen interessanten Satz, der auf den Seiten des Bayerischen Innenministeriums zum Thema Natur und Umweltschutz im Straßenbau zu lesen ist: "Die Umwelt zu schonen, ist Ausdruck verantwortlichen Handelns und eine Voraussetzung dafür, dass das Bauen gesellschaftlich auf Dauer anerkannt und akzeptiert wird."

© SZ vom 30.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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