Markt Schwaben:Jugend betet

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In Markt Schwaben treffen sich junge Leute, um zusammen den Koran zu lesen. Daraus ist der erste muslimische Jugendverein der Region entstanden

Von Max Nahrhaft, Markt Schwaben

Ein fein geknüpfter Teppich in Türkis und Ocker bedeckt den Boden, den unteren Teil der Wände zieren bunte Kacheln. Der Raum strahlt Erhabenheit und Ruhe aus, die eilig arrangierten weißen Tische eher nicht. An diesen Tischen haben sechs Mädchen und vier Jungen Platz genommen, alle haben einen Koran vor sich liegen. Seit Anfang des Jahres treffen sich die Jugendlichen jeden Sonntag im Gebetsraum der Ditib Ulu Camii Moschee in Markt Schwaben. "Religion stärken, um zu wissen was deren Bedeutung ist", sagt einer von ihnen, das sei das Ziel.

Aus den zunächst losen Treffen ist mittlerweile eine feste Gemeinschaft geworden. Seit April existiert sogar ganz offiziell eine Ditib-Jugendgruppe in Markt Schwaben - die bisher erste muslimische Jugendvereinigung im Landkreis Ebersberg. 33 Mitglieder im Alter zwischen 16 und 24 Jahren sind inzwischen dabei. Seit Oktober ist die Gruppe Mitglied im Kreisjugendring, einem Dachverband der Jugendvereine und -verbände. "Darauf sind wir besonders stolz", sagt der 21-jährige Ali Avci, der von Markt Schwaben aus alle 15 Jugendgruppen im Großraum München leitet und koordiniert. Für den Anfang sei die Anerkennung ein großer Schritt gewesen, sagt Avci, "nun können wir auch finanzielle Unterstützung durch den Kreisjugendring erhalten". Um herauszufinden, was Ditib eigentlich bedeutet, braucht es die Hilfe von Google, dort finden die Jugendlichen schnell eine Übersetzung: Ditib hat nichts mit einem Freihandelsabkommen zu tun, es bedeutet "Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion".

"Ich kannte solche Treffen schon aus München und habe es dann auch für uns im Ort vorgeschlagen", erklärt Sibel Zeylek. Vor den regelmäßigen Treffen in Markt Schwaben hatten die jungen Muslime im Ort nur wenig Kontakt zueinander. Nun sei das anders, man lerne sich einfach besser kennen, sagt Zeylek.

Im Islam haben die Jugendlichen eine Gemeinsamkeit gefunden. Doch allein auf die Religion möchten sie ihre Tätigkeiten nicht beschränken. Auch der Zusammenhalt steht im Fokus, Potenziale sollen gebündelt werden. Konkret heißt das, dass die Jugendlichen sich gegenseitig helfen und bei Herausforderungen unterstützen, auch jenseits von Religion. "Unsere Eltern sind sehr aufgeschlossen", sagt die 20-jährige Seda Celikkol: "Wenn wir hier zusammensitzen, wissen sie, dass wir auf dem richtigen Weg sind."

Den Tatendrang, den die Jugendlichen verspüren, wollen sie auch an die Gesellschaft weitergeben. Die Gruppe hat vor, Waisenhäuser und Altenheime zu besuchen, um sich dort mit den Menschen zu unterhalten und Zeit mit ihnen zu verbringen. Auch mit Flüchtlingen, die in Markt Schwaben wohnen, haben sie schon zusammengearbeitet. Bei all dem sollen die sonntäglichen Koran-Stunden weiterhin der Kern der Treffen sein. Während viele andere ihrer Altersgruppe keinen großen Wert auf Religiosität legen, können die jungen Muslime aus Markt Schwaben diese ablehnende Haltung nur schwer verstehen. An den weißen Tischen im Gebetsraum soll nun die 53. Sure des Korans besprochen werden - die Rolle des Propheten steht zur Debatte. Mit am Tisch sitzt auch ein Erwachsener: Atif Bilgili, er ist seit einem Jahr der Imam in der Moschee und gibt der Gruppe Koranunterricht. Adrett gekleidet in hellblauem Hemd und grauer Anzughose leitet er die Unterrichtsstunde, die jedes Mal ähnlich abläuft: Zunächst liest er einige Zeilen auf arabisch vor und übersetzt sie ins Türkische. Danach erklärt er den Schülern, wie die Worte zu verstehen sind. "Wir wollen uns hier nicht aus anderen Meinungen unsere Meinung ableiten, sondern selbständig nachdenken", sagt Seda Celikkol. Gäbe es den Unterricht nicht, wären sie von den Ansichten der Eltern vorgeprägt.

Das Ziel der Schulung ist, den Koran nicht zu instrumentalisieren, sondern ihn richtig auszulegen. Wichtig sei dabei, dass niemand wegen seiner Meinung ausgegrenzt werde, sagt Ali Avci, "auch für Kritik sind wir alle offen", die harmonische Umgebung der Moschee soll helfen, dass dann vernünftig diskutiert wird.

Ruhig wird es allerdings nach der Frage, wie die Jugendlichen zur Abkehr von Rechtsstaatlichkeit und der Unterdrückung von Andersdenkenden durch die türkische Regierung stehen. Der Imam ist türkischer Staatsbeamter, er wurde dort ausgebildet. Zudem erhält Ditib finanzielle Unterstützung der türkischen Regierung, da sie deren Behörde für Religionsangelegenheiten unterstellt ist. Das Geld sei aber nötig, da der Verband nicht als Kirche, sondern als Verein angesehen wird. Die Antwort, die schließlich doch kommt, klingt diplomatisch: "Ditib vertritt keine politischen Ansichten", sagt Zeylek. "Die Jugendgruppe ist zwar religiös, aber jeder hat eine eigene politische Ansicht." Hier sei kein Platz für jemanden, der andere politisch überzeugen möchte.

© SZ vom 28.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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