Debatte:Gleichstellung im Schneckentempo

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In Markt Schwaben diskutierten Esther Fischer-Homberger und Bascha Mika über "Unterschied. Frauen, Männer, Menschen"

Von Johanna Feckl, Markt Schwaben

Die Frau ist eine Missgeburt. Die Frau ist ein missratener Mann. So zitierte Esther Fischer-Homberger den antiken Philosophen Aristoteles. Als Psychiaterin und Medizinhistorikerin weiß die 77-jährige Schweizerin, dass die Tradition, die Frauen als minderwertig und Männer als übermächtig klassifiziert, Jahrtausende in die Vergangenheit zurückreicht - durch schriftliche Quellen ist das sogar schon vor dem von Fischer-Homberger zitierten Aristoteles belegbar: Aristoteles' Lehrvater Platon etwa schrieb in einem seiner Dialoge, dass feige Männer zur Strafe als Frauen wiedergeboren würden. Und "viele Autorinnen mussten früher auch unter einem männlichen Pseudonym schreiben und veröffentlichen, weil sie wussten, dass sie ansonsten nicht gelesen werden", sagt Bascha Mika, langjährige Chefredakteurin der taz und seit 2014 in dieser Funktion bei der Frankfurter Rundschau.

Ganz so drastisch wie einst sind die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen heute freilich nicht mehr. Die aktuellen Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs gegen Hollywood-Mogul Harvey Weinstein und der Hashtag #metoo, unter dem Frauen auf sozialen Netzwerken ihre eigenen Belästigungs- und Missbrauchsgeschichten offenbaren, machen aber eines deutlich: Es gibt sie, diese sozialen Ungleichheiten der Geschlechter. Passend zu dieser aktuellen Debatte diskutierten Esther Fischer-Homberger und Bascha Mika bei der 89. "Sonntagsbegegnung" in Markt Schwaben über das Thema "Unterschiede. Frauen, Männer, Menschen".

Auf die derzeitige Missbrauchsdebatte bezogen, ausgelöst durch die schweren Vorwürfe gegen Harvey Weinstein, zeigte sich die 63-jährige Mika unzufrieden und warnte eindringlich vor einer mangelnden Differenzierung. "Wir können eine Vergewaltigung und ein Antatschen - was auch eklig ist - nicht in einen Topf werfen." Sie erzählte aus ihrer eigenen Vergangenheit, als ein Wirtschaftsfunktionär bei einem beruflichen Treffen vor versammeltem Redaktionsteam darüber zu sprechen begann, wie er ein gemeinsames Schlafzimmer mit Mika einrichten würde. "Ich fand das daneben, aber ich habe keinen psychischen Schaden davon genommen. Das ist doch etwas völlig anderes, als wenn ich vergewaltigt worden wäre."

Dem stimmte auch Mikas Gesprächspartnerin Fischer-Homberger zu. Sie ging sogar noch einen Schritt weiter und stellte die Frage in den Raum, ob der Tatbestand der sexuellen Belästigung - im Gegensatz zu dem des sexuellen Missbrauchs - überhaupt gesetzesfähig im Sinne einer strafrechtlichen Verfolgung ist, oder ob er nicht doch eher in den Bereich der Sitten fällt und dort auch bleiben sollte. Der Grund: die schwierige Nachweisbarkeit. Eine Antwort auf ihre Frage blieb die 77-Jährige schuldig. "Es ist eben ein wahnsinnig schwieriges Thema", urteilte sie.

Die beiden Frauen waren sich einig, dass man bei einer Diskussion über die Unterschiede zwischen Mann und Frau nicht umhinkommt, über Körper und Biologie zu sprechen. Mika nannte als Beispiel die amerikanische Fernsehserie "Sex and the City", die zwischen Ende der 1998 und 2004 ein Millionenpublikum begeisterte. In einem Film der Serie aus dem Jahr 2010 sagte eine Protagonistin, so Mika, dass eine Frau keine richtige Frau mehr sei, sobald sie in die Wechseljahre komme. Körper und Biologie sollen also alleinstehend dafür verantwortlich sein, wer oder was ein Mensch ist?

Die 63-jährige Publizistin machte klar, dass sie das für absurd und überholt hält. Denn interessant ist: "George Clooney wurde mit Mitte 40 zum 'Sexiest Man Alive' gekürt - und wir Frauen?" Alte, weise Männer würden gerne einmal schnell zum Helden der Nation erklärt, so wie es bei dem vor zwei Jahren verstorbenen SPD-Politiker Helmut Schmidt der Fall war. "Aber die Frauen, wenn die alt werden, verschwinden sie einfach", war sich Mika sicher.

Hat sich also nur oberflächlich etwas verändert, bei der Gleichstellung von Männern und Frauen, lautete etwas später eine der Publikumsfragen. Dem stimmten weder Fischer-Homberger noch Mika zu. "Seit den 1970er-Jahren dürfen wir Frauen ein eigenes Konto haben, unsere Ehemänner dürfen nicht mehr unsere Arbeitsstelle kündigen und seit den 90ern dürfen wir nicht mehr in der Ehe vergewaltigt werden", zählte Mika auf. Es sei also schon einiges passiert, vor allem aus gesetzlicher Sicht, aber eben auch alles sehr langsam. "Ich hätte gerne einen Rennwagen und keine Schnecke."

© SZ vom 07.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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