Eishockey:Als es im Eishockey noch keine Helmpflicht gab

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Als der gelernte Masseur und frühere Torwart Toni Klett mit dem Eishockey anfing, hatte er nur ein Paar Sportschuhe, für Fußball und Eishockey. (Foto: Manfred Neubauer)

Als Kind schnallte er Kufen unter die Schuhe und sprang über Pferdeäpfel: Toni Klett war Torwart beim EC Bad Tölz, als die Mannschaft 1966 letztmals Deutscher Meister wurde. Seitdem hat sich in diesem Sport viel verändert - eigentlich alles.

Von Gerhard Fischer

Einmal hat Trainer Mike Daski seinen Torwart Toni Klett am Tor angebunden. Der Kanadier Daski hatte neue Ideen mit nach Tölz gebracht - unter anderem wollte er, dass sein Keeper nicht in die Knie geht, wenn die Schüsse auf sein Tor kommen. Klett sollte möglichst lange stehen bleiben. "Damit ich gar nicht runtergehen kann, hat Daski mich mit meinen Hosenträgern an der Querstange des Tores angebunden", erzählt Toni Klett. Nicht im Spiel, bloß im Training. Es war eine rabiate Merk-Hilfe.

Und es wirkte. Klett wurde dafür bekannt, dass er nicht in die Knie ging; und dass er deshalb die hohen Distanzschüsse fing wie Fliegen. Der EC Bad Tölz wurde mit Toni Klett und Mike Daski vor genau 50 Jahren Deutscher Meister. Es war der letzte Titel der Tölzer. Sie gingen später genauso unter wie der EV Füssen, der SC Riessersee oder der ESV Kaufbeuren. Heute dominieren die Eishockey-Teams aus den großen Städten, der EHC München oder die Berliner Eisbären. Dort ist das Geld.

Stoisch erzählt Klett kuriose Sachen

Toni Klett ist heute 72 Jahre alt und wohnt immer noch in Bad Tölz. Er ist dort aufgewachsen, er hat sein ganzes Leben dort verbracht, er hatte dort mehr als 40 Jahre lang ein Massage-Institut. Klett ist ein ruhiger Mann. Nie wird er laut im Gespräch, selten zeigt er Emotionen, bloß manchmal lächelt er, wenn er seine Bilder von 1966 zeigt: die Jubel-Fotos nach dem entscheidenden Sieg gegen Füssen, der Trainer auf den Schultern seiner Spieler, Mannschaftsbilder, Spielszenen. Aber meistens sitzt er an seinem rustikalen Holztisch in seinem bayerischen Haus mit dem klassischen Holzstoß an der Außenwand und erzählt stoisch kuriose Sachen.

"Bis 1966 gab es keine Helmpflicht für Eishockeyspieler, auch nicht für Torhüter", sagt er. War das nicht wahnsinnig gefährlich - bei Schlagschüssen erreicht der Puck eine Geschwindigkeit von 175 Kilometern pro Stunde? "Doch", sagt Klett und verzieht keine Miene. "Dem Torwart von Riessersee, dem Hobelsberger, haben sie fast das Auge ausgeschossen, und mein Vorgänger, der Edelmann, hatte überall Narben im Gesicht." Klett deutet an die Wange, an die Stirn. "Da hat ihn überall der Puck getroffen."

Und er selbst? Was war seine schlimmste Verletzung? "Es war der Schneidezahn", erzählt er, "ich habe damals zwar schon eine Maske getragen, aber der Schuss hat sie durchschlagen und meinen Schneidezahn nach hinten gebogen." Und dann? "Bin ich zum Zahnarzt, der hat gesagt, der Nerv ist okay, und dann hat er meinen Zahn wieder nach vorne gebogen." Klett öffnet den Mund ein wenig. "Sehen Sie, ich habe ihn heute noch - er ist nur ein bisschen dunkel."

Vom Größenwahnsinn eines jungen Mannes

Trotzdem: Sich ohne Maske ins Tor zu stellen - das kann man doch nur mit dem Größenwahn eines jungen Mannes, der sich für unverwundbar hält, oder? Klett nickt. "Ja, das war schon Wahnsinn", murmelt er. Dann schaut er wieder in sein Foto-Album, das ihm ein Fan geschenkt hat.

Toni Klett wuchs in den Nachkriegsjahren in Bad Tölz auf. Er spielte zunächst Fußball und Eishockey, aber nicht im Verein, sondern auf der Straße, die damals oft mit einer Eisschicht überzogen war. An den Füßen hatten sie Schlittschuhe, die sie "Rossboinhupfa" nannten, auf hochdeutsch: Rossballenhüpfer. "Es waren damals ja noch Pferde auf der Straße, die manchmal was fallen ließen, und darüber mussten wir mit unseren Schlittschuhen springen", erzählt Klett. Er hatte ein Paar Schuhe für das Eishockey und den Fußball. "Im Winter machten wir Kufen an die Fußballschuhe, im Frühjahr dann Stollen", erzählt er. Toni Klett stand schon damals am liebsten im Tor.

Irgendwann schloss er sich dem EC Bad Tölz an, und mit 22 Jahren war er dann Deutscher Meister. Klett schaut auf ein Mannschaftsfoto von damals. "Eine gute Mischung war's", sagt er. Eine gute Mischung aus Jung und Alt, aus Routiniers wie Kapitän Georg Eberl und großen Talenten wie Lorenz Funk. "Und es war ein toller Zusammenhalt", sagt Klett. "Die Spieler kamen fast alle aus Tölz oder Umgebung."

In Reichersbeuren, einige Kilometer von Tölz entfernt, hatte der Bürgermeister und Eishockey-Fan Hans Harrer eine famose Nachwuchsarbeit geleistet. Von dort kam jener Lorenz Funk, der später einer der bekanntesten Eishockeyspieler Deutschlands werden sollte.

Den Tölzern kam auch noch zupass, dass sich ganz im Süden Bayerns zwei Spieler mit ihrem Vorstand gestritten hatten: Rudi Pittrich und Albert Loibl wechselten vor der Meistersaison vom SC Riessersee nach Bad Tölz. "Die waren eine große Verstärkung", sagt Klett.

In der Vorrunde der Saison 1965/66 lag der EV Füssen noch ungeschlagen vorne. In der Meisterrunde zogen die Tölzer dann vorbei, und am letzten Spieltag trafen sich beide Teams: Tölz hatte einen Punkt mehr als Füssen, ein Remis hätte gereicht, um Meister zu werden. Das Spiel fand in Tölz statt, offiziell waren 6400 Zuschauer im Stadion; "aber es waren wohl mehr als 7000", erinnert sich Klett.

Tölz gewann 8:4. Lange Zeit war das Spiel ausgeglichen, die rustikalen Tölzer und die Techniker aus Füssen schenkten sich nichts - bis Kapitän Eberl beim Stande von 3:3 ein Bully volley ins Gäste-Tor bugsierte. Über diese außergewöhnliche Aktion reden die Tölzer heute noch - ein Bully nimmt man normalerweise nicht volley. Füssen ließ nun nach, Tölz zog auf 8:4 davon. Toni Klett ging kurz vor Schluss vom Eis, damit sein Ersatzmann Fritz Hafensteiner auch noch den Erfolg genießen konnte. Eine schöne Geste. Klett erzählt das nicht selbst. Dafür ist er zu bescheiden.

Wie die Zuschauer die Spieler herzten

1966 wurde der heute 72-Jährige Klett mit seiner Mannschaft Deutscher Meister. (Foto: Manfred Neubauer)

Nach dem Spiel liefen die Zuschauer aufs Eis, herzten die Spieler. Andere Fans zogen in die Innenstadt und stülpten dem Winzerer, dem Ritter-Denkmal in der Marktstraße, ein Eishockey-Trikot über. Das Team ging ins "Café Wald" zum Essen, erzählt Toni Klett, und dann feierten sie noch die halbe Nacht oder manche Spieler gleich die ganze. Verteidiger Hans Schichtl sagte, er sei am nächsten Morgen ausnahmsweise nicht zur Arbeit gegangen, was außergewöhnlich war für die pflichtbewussten Männer dieser Generation.

Der Masseur Toni Klett fand sich am Montag am Arbeitsplatz ein. Sagt er. Es gab damals übrigens keine Profis. "Pro Spiel bekamen wir 20 Mark", erzählt Klett. Später ging Funk nach Berlin, Otto Schneitberger und Josef Reif wechselten nach Düsseldorf - dort war mehr Geld zu verdienen. Und mit dem EC Bad Tölz ging es bergab.

Klett hat auch bei der Nationalmannschaft, für die er sieben Spiele bestritt, kein Geld verdient. Das heißt: Er hat als Torwart dort kein Geld bekommen. Aber man bot ihm an, für 50 Mark pro Tag die Mitspieler zu massieren. Bei den Weltmeisterschaften 1966 in Jugoslawien und 1967 in Österreich war er deshalb Ersatztorwart und Masseur. Das wäre in etwa so, als würde beim Fußball Ron-Robert Zieler Bastian Schweinsteiger und Mats Hummels massieren.

Toni Klett ist dann 1976 mit Bad Tölz aus der Bundesliga abgestiegen. Es gibt ein goldiges Bild, auf dem der abgekämpfte Klett nach dem Abstieg mit einer Ziege zu sehen ist, dem Tölzer Maskottchen, das den Abstieg auch nicht verhindern konnte. Toni Klett hat noch bis 1980 gespielt, immer für Tölz, obwohl es besser dotierte Angebote gab, etwa aus Krefeld. "Aber ich hatte doch hier meine Arbeit, das gibt man nicht so leicht auf", sagt er.

Gespräche über das Tor, die Schnur und die Hosenträger

Klett besaß in Tölz ein Massage-Institut. Erst im vergangenen September hat er endgültig aufgehört zu arbeiten. Außerdem war er noch Trainer im Nachwuchsbereich, meistens beim EC Bad Tölz. Er coachte spätere Nationalspieler wie Andreas Niederberger. Und er trainierte seine Kinder. Klett hat drei Söhne, einer wurde Torwart - und spielte auch mal bei den Tölzer Löwen.

Der EC Bad Tölz heißt jetzt "Tölzer Löwen", so wie der Augsburger EV nun Augsburg Panther heißt oder der EHC 80 Nürnberg heute Thomas Sabo Ice Tigers. Man merkt Toni Klett an, dass er das kindisch findet. Er blättert in seinem Album und zeigt Tabellen von 1973. Die Vereine hießen EV Pfronten und EC Deilinghofen. Das ist wohl eher seine Welt.

Die Tölzer Löwen spielen heute in der Oberliga, der dritthöchsten Spielklasse in Deutschland. Vor einigen Jahren waren sie Meister geworden, haben aber auf den Aufstieg verzichtet - kein Geld. Manchmal geht Toni Klett zu den Spielen der Löwen, es kommen noch 1000 Zuschauer im Schnitt; zu Kletts aktiven Zeiten waren es 4000 bis 5000. Er trifft bei den Löwen andere Meisterspieler von 1966, und manchmal gehen sie auch zusammen ins Wirtshaus und sprechen über die alten Zeiten. Ganz selten ist auch Mike Daski dabei, der mittlerweile 86-jährige Trainer, der heute in Reichersbeuren lebt. Es geht ihm nicht gut, aber sicher spricht er manchmal mit Toni Klett über das Tor, die Schnur und die Hosenträger.

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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