Wasserburg:Ein makaberer Gang durch Wasserburg

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Wer ist Zuschauer, wer Darsteller? Die Inszenierung des Tanztheaters "Danse macabre" spielt geschickt mit den Erwartungen der Zuschauer. (Foto: Johanna Feckl)

Gastspiel im Belacqua zeigt einen Totentanz

Von Johanna Feckl, Wasserburg

In Grüppchen stehen die Menschen beisammen. Einige von ihnen haben sich an der Suppe bedient, die aus einem üppigen Topf ausgeschenkt wird. Alle lauschen den Musikern, die mit Klarinette und Gitarre auf einer Holzbank vor einer Kirche sitzen. Sie spielen beschwingte Lieder, manchmal singen sie dazu.

Es ist schon fast eine malerische Szene, die sich da bei spätsommerlicher Abenddämmerung auf dem Platz hinter der Wasserburger Frauenkirche bietet. Wäre da nicht eine junge Frau mit einem Selfie-Stick, die penetrant die Szenerie stört: Mit weitem, hellem Kleid, Turnschuhen, rotem Rucksack und pinkem Hut inszeniert sie sich vor den Musikern und macht ein Selbstporträt nach dem anderen.

Es dauert eine Weile, bis alle Besucher auf dem Platz verstanden haben, dass sie dort keine narzisstische Touristin beobachten. Vielmehr markiert die junge Frau den Beginn der Theateraufführung, für die sie alle gekommen sind: der Danse Macabre.

Bereits vor neun Jahren war Regisseur Ingo Taleb Rashid mit seiner Inszenierung zu Gast im Wasserburger Theater Belacqua. Seit der Uraufführung 2002 in Luzern spielt das Ensemble in verschiedenen Städten und Ländern, zuletzt in der Tschechischen Republik. In Wasserburg zeigten sie ihr Tanztheater nun an vier Abenden.

Das Stück erzählt die Geschichte eines reichen Reisenden auf seinem Weg vom Diesseits ins Jenseits. Mit schwarzem Anzug und edlen Schuhen, die halblangen Haare von einem strengen Zopf gehalten, betritt dieser Reisende die Szenerie hinter der Kirche. Nach und nach folgen ihm immer mehr Figuren; manche von ihnen standen bis eben noch als vermeintlich etwas extravagant gekleidete Zuschauer inmitten der übrigen Besucher: Männer in bunten Jacketts, Tänzerinnen mit wallenden Kleidern, Musiker mit Trommeln.

Eine synchrone Geste aller Darsteller zeigt den Tod des Helden an: eine waagrechte Armbewegung über die Kehle und zur Seite klappende Köpfe. Die Reise beginnt; hinaus aus einer Welt voller Sinneseindrücke, voller Begegnungen, Reichtum und Versuchungen, hinüber ins Jenseits. Und es ist eine wahrlich sehenswürdige Reise: Quer durch die historische Altstadt Wasserburgs lotsen die vielen Figuren ihr Publikum. Einen passenderen Ort hätte man kaum finden können. Das imposante Rathaus wirkt in der Dunkelheit fast bedrohlich. Als sich das Publikum in einen engen, langen Hauseingang hineindrängt, erlischt das Licht. Nur noch mit Anstrengung kann man die eigene Hand vor Augen erkennen. Über einen Innenhof geht es dann an das beschauliche Ufer des Inns.

Eine Tänzerin trägt einen Verstärker, sodass die Musiker weiter hörbar musizieren können. Sie spielen immer noch beschwingte Lieder. Das in Verbindung mit dem unruhigen Gefühl, das die in der Dämmerung liegenden Gebäude und Gassen der Altstadt auslösen, ist ambivalent: Einerseits mit Bedacht, andererseits mit Neugierde folgt man den Darstellern auf ihrem Weg. Die Reise führt über die in orangenem Laternenlicht erstrahlte Innbrücke hinüber ans andere Ufer - der symbolische Übergang vom Reich der Lebenden in das der Toten. Dann geht es weiter in die Räume des Theaters. Dort hängen fünf Bilder, die unterschiedliche Szenen eines Totentanzes zeigen. Diese Zustände zwischen den Welten adaptiert das Tanzensemble mit Untermalung der Musiker.

Als Holztafeln hängen die gleichen Bilder in den Giebelfeldern der Spreuerbrücke in Luzern. 2001 lernte Regisseur Ingo Taleb Rashid das Bauwerk kennen. "Ich war sofort verliebt!" Einige Jahre zuvor machte er Bekanntschaft mit einem brasilianischen Totentanz mit vielen bunten Kostümen. Beide Erfahrungen wollte er in seinem Danse Macabre festhalten.

Während der ganzen bunt-fröhlichen Inszenierung taucht immer wieder eine schwarz gekleidete Figur mit Sichel in der Hand auf: Der Tod als etwas, das im Hintergrund wartet - deshalb aber nicht bedrohlich sein muss. Auch wenn es unmöglich erscheint, alle Symbole und Anspielungen des Abends zu erkennen und zu deuten, tut dies dem Vergnügen keinen Abbruch. Wie Taleb Rashid richtig sagt, ist das ja gerade das Schöne: "Jeder kann etwas anderes darin sehen."

© SZ vom 12.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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